Sender war ein armer Mann. Er lebte von den paar Pfennigen, die er von den Leuten für einfache Arbeiten bekam: Holz hacken, Abfall verbrennen oder Wasser holen. Trotzdem war er glücklicher als viele Reiche. Reichtum macht nämlich nicht glücklich, sagen unsere Weisen: „Wer hundert Silbermünzen hat, will zweihundert haben.“

Sender war auch nicht gebildet, aber er trug immer die Worte des berühmten Ben Zoma im Herzen, das ihn froh machte: „Wer ist reich? Wer mit seinem Schicksal zufrieden ist.“ Er hatte diese Worte von einem wandernden Maggid gehört, der einmal in der Synagoge gepredigt hatte. Sender, der immer aufmerksam zuhörte, aber wenig verstand, hatte die Synagoge an diesem Schabbat fröhlich verlassen - denn ein weiser Mann hatte genau das gesagt, was Sender immer zu seiner Frau Bryna sagte, wenn sie über ihre Armut klagte.

Schade, dass sie nicht auf ihn hören wollte! Sie schämte sich, wenn sie in geflickten und alten Kleidern aus dem Haus gehen musste, während alle Nachbarinnen neue Kleider und Schals trugen. Wie üblich sprach Sender zum Schluss seiner Morgenandacht Tehillim (Psalmen). Und wie üblich schimpfte Bryna und nannte ihn faul. Sender war nicht faul, aber er wäre lieber verhungert, als dass er sein Haus verlassen hätte, ohne alle Psalmen König Davids aufzusagen.

Das war sein G-ttesdienst, und daraus lernte er viel. Es machte ihm Sorgen, dass er nie mehr hatte lesen können als die Bibel. Darum konzentrierte er sich auf die Tehillim. Darin, so dachte er, bin ich den großen Gelehrten gleich. Er erwachte bei den ersten Anzeichen der Dämmerung und war fertig, wenn andere Leute aus ihren warmen, bequemen Betten krochen. Dennoch schalt seine Frau ihn immer wegen seiner angeblichen Faulheit.

Einmal hatte sie einen guten Grund, unzufrieden zu sein. Der Winter war kalt, und die Leute blieben zu Hause, anstatt hinaus in die Kälte zu gehen. Sender konnte sich diesen Luxus nicht leisten. Er hatte seine Stammkunden besucht, aber sie alle hatten gerufen: „Komm ein anderes Mal!“ So ging es die ganze Woche, und am Erew Schabbat war kein Pfennig Geld im Haus. Schlimmer noch - Kälte und Schnee wollten nicht aufhören, so dass er keine Arbeit fand.

Sender hatte ein schlechtes Gewissen, als er schnell die letzten Tehillim sprach, während Bryna über ihr trauriges Schicksal und ihren faulen Mann klagte, der auf Wunder angewiesen war und Psalmen sprach, anstatt ins Dorf zu gehen, um etwas Geld für den Schabbat zu verdienen. „Brynale, ich bin in einer Minute fertig, dann gehe ich, und wenn G-tt mir hilft, werde ich viel Geld und gutes Essen für den heiligen Schabbat mitbringen.“

„Natürlich!“ sagte seine Frau schnippisch. „Ein Wunder wird geschehen, du alter Narr. Warum nimmst du nicht den vertrockneten Lulaw, den du nach Sukot mit nach Hause gebracht hast - wer weiß, vielleicht verwandelt er sich in Gold!“

„Still, liebe Frau“, versuchte Sender sie zu beruhigen. „Wenn G-tt will, kann sogar der alte Lulaw für mich zum Segen werden.“ Dass ihr Mann sein Schicksal so geduldig ertrug, machte die Frau wütend. Sie holte den alten Lulaw aus der Ecke und warf ihn nach ihrem Mann. „Da hast du deinen Schatz, geh und bring etwas zu essen für den Schabbat!“

Sender schwieg zu den Beleidigungen seiner Frau. Er schloss sein abgegriffenes Gebetbuch, nahm den alten Lulaw in die Hand und verließ das Haus.

„Schaut, da geht Sender mit einem alten Lulaw mitten im Winter!“ riefen die Kinder und pressten die Nase an die gefrorenen Fensterscheiben. Auch ihre Eltern lachten. Aber das kümmerte Sender nicht. Voller Glauben sprach er die Worte der letzten Kapitel der Tehillim, die er zu Hause nicht hatte beenden können. Ohne nach rechts oder links zu schauen, ging er geradeaus durch den tiefen Schnee. So trottete er weiter, bis die Berge hinter ihm lagen und er das tiefe Tal erreichte, dessen üppige Felder jetzt mich weichem, funkelndem Schnee bedeckt waren. Er vertraute fest auf die Hilfe G-ttes, als er sagte: „All meine Seele soll G-tt preisen, halleluja.“ Immer wieder sprach er diese letzten Worte König Davids, und mit ihm sangen jeder Baum und jeder Ast, jeder Klumpen gefrorener Boden und die Wolken am Himmel. Das ganze Universum schloss sich Sender an, als er G-tt lobte.

„Wo bin ich?“ wunderte sich Sender, als er sich umschaute. Er befand sich in einer herrlichen Stadt mit schönen Häusern aus weißem und grauem Marmor, umgeben von gepflegten Gärten und Parks. „Ist es denn hier nicht Winter? Oder träume ich etwa?“ Er zwickte sich, um zu prüfen, ob er wach war. So hatte sein Dorf nie ausgesehen, nicht einmal in den schönsten Frühlings- und Sommertagen. Entzückt von der Schönheit, die ihn umgab, ging Sender in seinen alten, geflickten Kleidern durch die Straßen. Den vertrockneten Lulaw hielt er in der Hand. Plötzlich stand er auf einem großen Platz vor einem Palast aus weißem Alabaster. Eine große Menschenmenge hatte sich vor dem riesigen Messingtor versammelt, als warte sie auf etwas Wichtiges. Sender ging näher heran, denn er wollte wissen, worauf die Leute warteten. Als er einen Mann nach dem Grund der Versammlung fragte, brachte dieser ihn mit einer Geste zum Schweigen. Jetzt war Sender wirklich neugierig. Er schob sich durch die Menge, die den zerlumpten Fremden mit seinem alten Ast erstaunt ansah. Aber man ließ ihn durch. Nichts, was er sah, gab ihm einen Hinweis darauf, was hier vorging. Nach einigen Minuten öffnete ein Herold die Glastür des Balkons, trat heraus und wandte sich der stummen Menge zu. Dann verlas er eine Botschaft: „Hiermit gebe ich meinen Untertanen bekannt, dass ich denjenigen reich belohnen werde, der einen Palmzweig besitzt und dem Kronprinzen eine Frucht geben kann. Nur der Saft einer Dattel kann sein Leben retten. Zögert nicht. Kommt sofort, wenn ihr einen Palmzweig habt.“

Wie alle anderen in der Menge schaute Sender sich um und suchte nach dem Glücklichen, der einen Palmzweig besaß. Aber keiner meldete sich. Die Leute fragten einander: „Was ist ein Palmzweig? Habt ihr je von einer solchen Pflanze gehört?“ Nach einer Weile brachten einige Leute viele seltsame Früchte zu dem Wächter am Tor des Palastes. Doch jedes Mal kehrten der Wächter gleich zurück, schüttelte den Kopf und sagte: „Tut mir leid, die Ärzte sagen, das sind keine Datteln.“ Also hörten die Leute auf, ihm Früchte zu bringen. „Pass doch auf!“ rief ein Mann, den Sender unabsichtlich mit seinem Lulaw gestupst hatte. Sender entschuldigte sich und betrachtete den Zweig in seiner Hand. „Oh, ist das nicht ein Palmzweig?“ sagte er. Die Menge machte ihm Platz, als er sich zum Posten am Tor durchdrängte.

„Ich glaube, das ist ein Palmzweig“, sagte er. „Aber ich fürchte, er nützt dem Prinzen nichts, weil er alt und vertrocknet ist und keine Früchte trägt.“

„Wovon redest du?“ rief der Soldat aufgeregt. „Hast du keine Augen im Kopf?“ Sender schaute nach dem Lulaw - und siehe, er war grün und frisch wie der Lulaw, den der Rabbi an Sukkot benutzt hatte und den die ganze Gemeinde so bewundert hatte! „Gelobt sei G-tt“, dachte er, als man ihn durch wunderschöne Säle in den Palast und eine Marmortreppe hinauf führte.

„Willkommen, Fremder“, sagte der König, der selbst zur Treppe gekommen war, um den Retter seines geliebten Sohnes zu begrüßen. Er führte Sender in ein riesiges Schlafzimmer, das mit Ebenholz und Elfenbein ausgelegt war. Ein hübscher Junge lag auf einem mit Seide bedeckten Bett. Sein Gesicht war bleich und verzerrt. Neben dem Bett stand ein alter Arzt. „G-tt sei dank, du bist gerade noch rechtzeitig gekommen!“ Er nahm den grünen Palmzweig, stellte ihn in ein großes, mit Erde gefülltes Becken, und o Wunder - vor Senders Augen begann sein alter Lulaw zu knospen und Früchte zu tragen!

Schöne Kutschen, gefüllt mit kostbaren Geschenken und von vier Pferden gezogen, brachten Sender in sein Dorf zurück. Bryna stand vor ihrer armseligen Hütte und rang die Hände, weil Sender so lange fortblieb. „Ach, wäre ich doch nicht so grob zu ihm gewesen!“ jammerte sie. „Wer weiß, was ihm zugestoßen ist? O G-tt, bitte bring ihn zu mir zurück, auch wenn er nichts verdient hat.”

Plötzlich sah sie eine herrliche Kutsche kommen. Hinter ihr rannten alle Kinder des Dorfes. Ein livrierter Kutscher öffnete die Tür - und Sender sprang heraus! Der Kutscher reichte ihm ein Packet mit Geschenken nach dem anderen.

„Das ist alles für dich, Bryna. Der alte, vertrocknete Lulaw war tatsächlich ein großer, wundersamer Schatz!“ sagte Sender zu seiner verdutzten Frau.