Bei den kaukasischen Juden

In den Bergen des Kaukasus leben seit vielen Jahrhunderten Juden. Nach ihrer Überlieferung stammen sie von den Zehn Stämmen ab, und ihre Vorfahren zogen in den Kaukasus, nachdem Schalmaneser, der König von Assyrien, das Königreich der Zehn Stämme zerstört hatte.

Auch einige europäische Juden sind in den letzten hundert Jahren in den Kaukasus gezogen, darunter auch einige Lubawitscher Chassidim, die von ihrem Rabbi geschickt worden waren, um Jeschiwot und Talmud-Toras zu eröffnen. Auch in der Stadt Kutais gab es eine Lubawitscher Jeschiwa. In dieser Stadt und in der Stadt Tiflis leben die meisten Juden, etwa 25 000. Sie sprechen einen alten georgischen Dialekt und sind Händler und Handwerker. Im allgemeinen sehen sie aus wie die nichtjüdische Bevölkerung.

Am Tag vor Sukkot bringen nichtjüdische Bauern Bündel mit frisch geschnittenen Ästen von Nadelbäumen (Tannen und Fichten) auf Eseln in die Stadt, um sie an Juden als Dach für die Sukkot zu verkaufen. Die kaukasischen Juden bauen einfache, kleine Sukkot mit vier Stangen, die sie in den Boden stecken, und Wänden aus Ästen.

Manche stellen die Sukka im Garten auf, andere auf dem Hausdach. Die Sukka ist gerade so groß, dass zwei oder drei Männer darin essen können. Die Sukka wird nicht geschmückt. Ihr Rabbi wohnt die ganze Woche in der Sukka und schläft auch darin, wenn nicht starker Regen ihn zwingt, ins Haus zu gehen.

Die Juden sind zu arm, um sich einen Lulaw und Etrog für jede Familie leisten zu können. Darum haben sie einen gemeinsamen Lulaw in jeder Synagoge, der meist aus Persien geholt wird. Der Etrog wird mit viel Respekt und Liebe in die Synagoge gebracht. Man legt ihn auf ein glänzendes Tablett aus Messing, und die Juden nehmen ihn und den Lulaw der Reihe nach in die Hand und küssen ihn zärtlich. Dann sprechen sie den Segen, schütteln den Lulaw, küssen den Etrog noch einmal und legen ihn zurück, damit der nächste in der Reihe das gleiche tun kann. Bald ist der Etrog kaum noch zu erkennen, so oft wird er in die Hand genommen und geküsst.

Am Abend von Schmini Azeret veranstalten die Juden ein großes Fest und jauchzen fast die ganze Nacht, bis es Zeit für den G-ttesdienst am Morgen ist. Die Frauen feiern ihre eigenen heiteren Feste.

In Dagestan

Die Juden in Dagestan werden „Bergjuden“ genannt. Sie leben in den Bergen der Republik Dagestan im Kaukasus. Wie ihre kaukasischen Brüder und Schwestern leben sie dort seit langer Zeit und halten sich ebenfalls für Nachkommen der Zehn Stämme. Sie sprechen einen jüdisch-persischen Dialekt.

Es sind große, kräftige und malerisch aussehende Menschen, die Landwirtschaft, Viehzucht und das Lederhandwerk betreiben. In der alten Zeit lebten sie in eigenen Dörfern, heute mischen sie sich mehr unter die nichtjüdische Bevölkerung, aber sie halten an ihrem Glauben fest und sind stolz darauf, Juden zu sein.

Die Juden von Dagestan bauen schöne Sukkot, die sie mit hübschen Teppichen schmücken, denn im Teppichknüpfen sind sie wahre Künstler. Die Etrogim und Lulawim werden aus Persien oder Südrussland geholt. Nach dem Gebet grüßen sie einander fröhlich und laden sich gegenseitig in ihre Sukkot zu einem Imbiss ein.

So ist jeder Tag von Sukkot ein glücklicher Tag, und alle haben viel Spaß.

Am Abend von Hoschana Rabba gehen sie in die Synagoge, zünden Kerzen an, und die Gebildeten unter ihnen lesen das Buch Dwarim. Dann sprechen sie das ganze Buch der Psalmen. Wenn der Morgen dämmert, folgt ein G-ttesdienst. Sie sprechen Hoschanas und gehen sieben Mal um die Bima.

Am Abend von Schmini Azeret gehen sie noch einmal um die Bima herum (wie in den meisten russischen Gemeinden). Die Frauen sehen von der Galerie aus zu - ihre Gesichter sind hinter Schleiern und Schals verborgen -, während die Jungen sich in der Mitte der Synagoge versammeln und die Torahrollen küssen. Alle Männer und Jungen tanzen fröhlich mit der Torah und sprechen Gebete und Hymnen mit einer seltsamen Melodie.

Bei den kurdischen Juden

Kurdistan gehört zum Iran und zum Irak, ein Teil gehört zur Türkei. Auch dort leben seit vielen Jahrhunderten Juden, heute etwa 15 000. Sie glauben, Nachkommen der Zehn Stämme zu sein, und leben von Landwirtschaft und Viehzucht. Manche kurdischen Juden sind ins Heilige Land emigriert, wo sie eigene Gemeinden haben und ihre Bräuche, ihre Sprache und ihre Trachte beibehalten.

Die kurdischen Juden sind groß und stark. Sie sehen aus wie die Moslems, weil sie die gleichen Kleider tragen: schwere Turbane, weite Hosen mit breitem Gürtel und langärmelige Hemden, die sie über der Hose tragen. Die Frauen tragen weite Blusen mit schweren Gürteln und weiten Hosen. Auf dem Kopf tragen sie Turbane, und ihre dicken schwarzen Zöpfe fallen über die Schultern. Männer und Frauen sehen in ihrer festlichen Kleidung sehr eindrucksvoll aus, vor allem am Schabbat und an Feiertagen.

Sie beten in einfachen Synagogen und sitzen dabei auf Teppichen. Bevor sie die Synagoge betreten, ziehen sie die Schuhe aus. Auch in der Sukka sitzen sie auf Teppichen wie im Haus.

Wie bei den kaukasischen Juden gibt es auch bei den kurdischen zwei Gruppen. Die einen leben in Tälern, die anderen in den Bergen. Die „Bergjuden“ haben eine dunklere Haut und schwarzes Haar. Sie tragen Bärte, die sie nie abschneiden oder stutzen, und darum sehen viele von ihnen grimmig aus, da sie auch noch Dolche an der Seite tragen.

Ihre Bräuche ähneln denen der Juden im Irak. Am Schabbat und an den Feiertagen, vor allem an Sukkot, sind sie sehr fröhlich und ausgelassen.

In Aden

Aden ist eine Hafenstadt am Roten Meer und die Hauptstadt des Jemen. Die Juden dort gehörten zu den ersten Siedlern. Vor etwa fünfhundert Jahren schrieb der große Rabbi Obadia von Bartinuro, es seien „Juden aus dem Land Eden“ nach Jerusalem gekommen. „Diese Juden sind dunkelbraun. Mit dem Talmud sind sie nicht sehr vertraut, nur mit Rabbi Alfasi und Rabbi Mosche ben Maimon.“

Vor dem zweiten Weltkrieg gab es in Aden sieben Synagogen und einige tausend Juden. Die meisten eingeborenen Juden stellen Schilfmatten her, oder sie sind Maurer, Juweliere, Buchbinder oder Träger. Sie essen überwiegend Gemüse, Datteln und Fisch und trinken Wein. Die Frauen tragen einen Schleier wie muslimische Frauen, Hemd, Hose und eine Perücke (Scheitel). Die Männer ziehen Hemd, Kilt, Gebetsfransen, eine Weste und eine lange, lockere Hose mit Gürtel an.

Wenn Sukkot naht, sieht das jüdische Viertel in Aden wie ein grüner Garten aus, denn auf den Hausdächern stehen viele Sukkot, mit grünen Zweigen bedeckt. Die Juden schlafen in den Sukkot, und auch sonst schlafen sie oft auf den Dächern, weil es dort kühler ist. Viele Sukkot sind schön geschmückt. An den Wänden hängen bunte Tücher, und am Dach der Sukka hängen Äpfel, Granatäpfel und Etrogim und erfüllen die Luft mit ihrem angenehmen Aroma.

Die Juden von Aden sitzen gerne in ihren Sukkot. Die Mahlzeiten dauern lange, und man singt dabei, teils hebräisch, teils arabisch. In der Nacht sind alle Sukkot hell erleuchtet. Die hübschen gläsernen Lampen werden aus Indien eingeführt.