Man mag fragen, "Wie kannst du Kinder aufziehen, ohne dass sie in die Schule gehen?" Zuallererst stellte sich die Frage nach Schabbat und Jom Tow1. Am Schabbat fand in Russland Schule statt, und wenn du regelmäßig am Schabbat fehltest, dann machten sie dir endlose Schwierigkeiten und setzten alle Mittel ein, die sie hatten, um die Kinder davon zu überzeugen, ihren Eltern nicht zu gehorchen und doch am Schabbat, G-tt behüte, zur Schule zu gehen. Ihre Argumente klangen so überzeugend und ihre Gehirnwäsche war so beharrlich, dass es schon ganz besondere Kinder sein mussten, um sich dem zu entziehen. Die Eltern wurden ständig unter Druck gesetzt und belästigt. Ihnen wurde darüber hinaus angedroht, dass man ihnen ihre Kinder wegnehmen würde, G-tt behüte, wenn sie sich nicht anpassten und die Kinder am Schabbat und Jom Tow zur Schule schicken würden. Es gibt ein sehr gutes Buch von A. Chazan mit dem Titel, „Tief in der russischen Nach“, das sich mit diesem Thema ausführlich befasst.
Über die Problematik des Schabbat hinaus war der Einfluss einer kommunistischen Schule auf ein gutes jüdisches Kind extrem zerstörerisch. Die Kinder wurden in sehr eloquenter Sprache durch eine Art Gehinwäsche dazu gebracht, an falsche Werte zu glauben. Kinder wurden sogar dazu angehalten, ihren Eltern nachzuspionieren und ihre sogenannten „kriminellen Akte“ den Behörden zu melden, „Verbrechen“ wie die Befolgung des Judentums. Kein Wunder, dass Vater seine Kinder nicht zur Schule gehen ließ. Das bedeutete eine Menge an Mesirat nefesh (Selbstaufopferung), wie ich auf den folgenden Seiten erklären werde.
Im sowjetischen Russland begann die Schule mit acht Jahren. Sie war selbstverständlich Pflicht. Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schickten, wurden als Feinde des Staates angesehen, da sie ihren Kindern die kommunistische Erziehung vorenthielten. Wenn herausgefunden wurde, dass jemand seine Kinder nicht zur Schule schickte, dann konnte derjenige eine harte Gefängnisstrafe erwarten oder sogar in Exil nach Sibieren geschickt werden. Vater, der die spirituellen Fallgruben der sowjetischen Erziehung sehr wohl kannte, behielt seine Kinder zuhause trotz des damit verbundenen Risikos. Wir lebten in einer Wohnung inmitten von anderen Nachbarn, also musste jeder Verdacht mit allen Mitteln vermieden werden.
Die eigenen Nachbarn beim NKWD (Geheimpolizei) zu denunzieren, war im sowjetischen Russland eine weit verbreitete Praxis. Zunächst einmal wurde jeder bedrängt, alles Mögliche über alle anderen weiterzugeben, aber dann erhielten Informanten auch Privilegien von der Regierung. Das hieß, dass wenn Nachbarn die Kinder im Schulalter den ganzen Tag zuhause sahen, führte es zu Problemen. Da die Toiletten auch gemeinsam benutzt wurden, wussten die Nachbarn genau, wer zuhause war. Ein Plan musste entworfen werden, um Verdacht abzulenken.
Erst einmal kaufte Vater zwei Schultaschen. Er brauchte eigentlich drei, aber die waren zu teuer. An jedem Schulmorgen vor 9 Uhr verließen die drei älteren Kinder das Haus. Jizchok ging in die Wohnung von jemand anderem, um dort zu lernen, und die beiden älteren Mädchen gingen zu Eisik Karasik. Um ein Uhr kamen sie nach Hause. (Die Schule war bis ein Uhr für die Morgenschicht, und die anderen Kinder gingen in die Nachmittagsschicht.) Für die Nachbarn sah es so aus, als ob die Kinder in die Schule gingen, obwohl sie es nicht taten.
Eines Tages fiel sozusagen eine Bombe hernieder, was mit dem Besuch von Tante Brocha anfing. Dazu müssen wir etwas vom Hintergrund der Familiengeschichte wissen. Meine Mutter war die Älteste in einer großen Familie. Ihr Heim lag in einem kleinen Schtetl namens "Borzhna" in der Ukraine. Mein Zeide (Opa) Jizchok verließ diese Welt in einem sehr jungen Alter und ließ Bobbe (Oma) mit einer großen Familie kleiner Kinder zurück, die sie allein aufziehen musste. Ich bin Bobbe persönlich nie begegnet, was mich sehr geschmerzt hat. Sie lebten weit von uns entfernt und Kommunikation war damals sehr schwierig.
G-ttfürchtige Juden im sowjetischen Russland zu erziehen, war die schwierigste Sache in der Welt. Es gab keine amtliche religiöse Erziehung und die Umwelt war voller negativer Einflüsse, die man nie vermeiden konnte und die schon in der Schule anfingen. Wenn du aber eine Frau bist, die ganz allein ihren Kindern Mutter und Vater sein musst, wie kannst du dann ihre spirituellen Bedürfnisse erfullen, wenn der Kampf um das Überleben schon mehr ist, als einer allein schaffen kann?
Die beiden älteren Mädchen, meine Mutter und ihre Schwester Fruma blieben religiös, der Rest der Kinder aber leider nicht. Ich weiß wirklich kaum etwas sonst über die Familie meiner Mutter, außer dass es einen Bruder gab, der ein Schriftsteller war.
Das jüngste Kind in der Familie meiner Mutter war Brocha, und sie besuchte uns in Leningrad. Da sie mit sowjetischen Prinzipien aufgewachsen war, konnte sie mit unserem Lebensstil überhaupt nichts anfangen. Sie begriff noch nicht einmal die Dinge, die für uns am wichtigsten waren. Was sie am stärksten verstörte war jedoch der Umstand, dass die Kinder nicht zur Schule gingen. Als sie Mutter fragte, warum, mochte Mutter keine Diskussion anfangen und antwortete einfach, "Weil mein Mann sie nicht lässt."
Das Thema wurde nicht mehr angeschnitten, aber eine Woche nach ihrer Abreise, erhielt Mutter einen Brief von ihrer Schwester. Im Brief schrieb Brocha, wie sehr sie Mitleid hatte mit ihr, weil die Kinder nicht in die Schule gingen. Nach vielem Überlegen, schrieb sie, entschloss sie sich, ihr einen "Gefallen" zu tun und ihr zu helfen, die Kinder in die Schule zu schicken. Also, fügte sie hinzu, war sie zum NKWD gegangen und hatte die Leute über ihren Schwager informiert, der darauf bestand, die Kinder zuhause zu behalten.
Dieser Brief löste Panik aus und gab Anlass zu großer Sorge. Vater überlegte rasch und entwickelte einen Aktionsplan. Er kaufte einen großen Postkasten für unsere persönliche Post, damit die Nachbarn nicht sehen würden, wenn der unvermeidliche, amtlich aussehende Brief mit der Vorladung vor die Behörde kommen würde. Danach schrieb er die drei älteren Kinder in die Schule ein, jedes in eine andere. Ich war noch nicht im Schulalter.
Der Grund für verschiedene Schulen war, dass wenn sie am Schabbat und Jom Tow fehlten, würde es nicht offensichtlich sein, dass sie alle absichtlich fehlten, sondern es sähe so aus, als ob sie krank wären.
Als die Kinder anfingen, zur Schule zu gehen, trug ihnen Vater auf, sich sehr häufig entschuldigen zu lassen. Sie verstanden nicht, warum, machten aber, was ihnen gesagt worden war. Als Nächstes prägte er ihnen ein, dass sie unter keinen Umständen ihr Judentum verleugnen sollten, noch nicht einmal unter der Androhung, erschossen zu werden, G-tt behüte.
Dann gab es noch eine andere Sache. Die russische Nationalhymne enthielt einen bestimmten Satz, der eine blanke Leugnung von Haschem, G-tt behüte, enthielt. Es war Sitte, die Hymne jeden Tag in der Schule zu singen, und wenn man zu diesem speziellen Satz kam, standen alle auf als Zeichen der Ehrerbietung vor dieser Philosophie. Vater verbot seinen Kindern, die Hymne mitzusingen und bei diesem Satz aufzustehen. Anstatt zu singen, konnten sie ihre Lippen bewegen und so tun als ob, und sie konnten vorher aufstehen und während der gesamten Hymne stehen bleiben, so dass sie sich also nicht speziell erhoben, um die Leugnung von Haschem, G-tt behüte, zu ehren. Die Kinder hielten sich natürlich an alle Wünsche unseres Vaters.
Dann kam die gefürchtete Vorladung vom NKWD. Am Tag seines Termins mit den "zerstörenden Engeln", dem NKWD, blieben die Kinder zuhause und alle sprachen Psalme und weinten und beteten zu G-tt um die sichere Heimkehr des Vaters.
Als Vater vom NKWD verhört wurde, erzählte er ihnen die folgende Geschichte. "Ich habe eine sehr schwache Blase und leider haben meine Kinder das von mir geerbt. Deshalb müssen sie sehr häufig zur Toilette gehen. Deshalb haben sich meine Kinder immer geweigert, zur Schule zu gehen, um ihre Schwäche vor den anderen Kindern nicht zugeben zu müssen. Da ich sehr gut wusste, was sie damit meinten, habe ich ihnen nachgegeben und nach ihrem Willen gehandelt. Vor kurzem erkannte ich jedoch, dass sie aufwachsen und nichts wissen, also habe ich mich durchgesetzt und gesagt, 'Genug ist genug!' Ich habe alle gezwungen, zur Schule zu gehen und jetzt sind sie regelmäßig da."
Die Erklärung meines Vaters wurde gut geschluckt, Dank sei G-tt, und er wurde freigelassen. Als er nach Hause kam, waren wir sehr erleichtert und voller Freude. Das war wirklich ein Wunder.
Die Kinder gingen weiter zur Schule, bleiben aber am Schabbat natürlich zuhause. Der freie Tag in der Schule war an jedem sechsten Tag, anstatt einmal pro Woche. Das hieß, dass es jedes Mal ein anderer Wochentag war. Gelegentlich fiel Schabbat auf den freien Schultag und das half. Wenn jedoch wie meistens ein anderer Wochentag frei war, nahmen sie sich am Schabbat auch frei. Am nächsten Tag kamen sie alle mit einem bandagierten Arm oder Bein und einer schriftlichen Entschuldigung.
Das funktionierte eine Weile lang, dann bestanden die Schulen aber darauf, dass eine Entschuldigung der Eltern nicht ausreichte, sondern ein ärztliches Attest nötig sei. Noch dazu stand das Passah-Fest bevor, und Vater fiel kein Vorwand ein, seine Kinder die ganzen acht Tage von Pessach zuhause zu behalten.
Fußnoten
1.
Wann es verboten ist zu schreiben, und säkulare Dinge zu lernen.
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