Ein Chassid von Rabbi Schneur Salman, des Gründers von Chabad Lubawitsch, war ein junger Lehrer, der die Kinder eines einfachen, ungebildeten Bauern unterrichtete. Der Bauer betrachtete den Lehrer als seinen Rabbi. Im Elul, dem Monat vor Rosch Haschana, erklärte der Lehrer dem Bauern, er besuche jedes Jahr an den hohen Feiertagen den Rebbe. „Nach den Feiertagen komme ich zurück“, sagte er.
Der Bauer war verstört. Es gefiel ihm nicht, dass sein „Rabbi“ ihn verlassen wollte, um zu einem „Rebbe“ zu gehen. Er hatte angenommen, der Lehrer werde bleiben und die Feierlichkeiten leiten. Der Lehrer erklärte ihm geduldig, Rabbi Schneur Salman sei kein gewöhnlicher Rabbiner, sondern das Oberhaupt vieler Rabbiner, ähnlich wie der Kopf dem Körper sage, was er tun solle.
Der Bauer hörte interessiert zu. Dann rief er plötzlich: „Schön, wenn du zu diesem Rebbe gehen willst, begleite ich dich.“ Er packte, sattelte sein Pferd, spannte es vor den Wagen, und sie fuhren los, um Rabbi Schneur Salman zu besuchen. Als sie ankamen, standen schon zahlreiche Chassidim Schlange und warteten auf ihre Privataudienz beim Rebbe. Der Bauer war etwas verwundert, aber er beschloss, sich den Leuten anzuschließen, und stellte sich ans Ende der Schlange. Als er schließlich das Zimmer des Rebbe betrat, blieb er stumm, denn er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte.
Rabbi Schneur Salman schaute den Neuankömmling eine Weile ruhig an; dann sagte er leise: „Nun?“ Der Bauer schwieg immer noch.
Wieder sagte der Rebbe: „Nun?“ „Warum sagt du dauernd nun?“, fragte der Bauer ungeduldig. Der Rebbe betrachtete den unwissenden Dorfbewohner freundlich und antwortete: „Manchmal macht ein Jude gewisse Fehler, gedankenlos oder unabsichtlich, ohne zu merken, dass er etwas Böses oder Sündhaftes tut. Zum Beispiel ...“ Dann nannte er einige Beispiele, die zufällig mit einigen Sünden des Bauern übereinstimmten.
Der Bauer war verdutzt. „Mein Rabbi hat dem Rebbe wohl von mir erzählt. Das wird er mir büßen!“, dachte er. Abrupt und wütend lief er aus dem Zimmer und suchte den Lehrer. Als er ihn sah, beschimpft er ihn vor allen anderen. „Wie kannst du es wagen, deinem Rebbe von mir zu erzählen!“, schrie er. „Ich habe dich in meinem Haus so gut behandelt. Du bist gefeuert! Ich suche mir einen anderen Lehrer für meine Kinder.“
„Wovon redest du?“, fragte der Lehrer, der nicht verstand, warum der Bauer so aufgeregt war. Nun berichtete der Bauer, was der Rebbe gesagt hatte. „Du irrst dich. Ich habe beim Rebbe kein Wort über dich gesagt.“ „Du bist also nicht nur ein Petzer, sondern auch ein Lügner“, schrie der Bauer. „Woher soll der Rebbe sonst von meinen Sünden wissen?“ Der Lehrer merkte, dass er den Bauern nicht überzeugen konnte. Darum bat er um eine zweite Audienz beim Rebbe und erklärte ihm das Problem.
Rabbi Schneur Salman ließ den Bauern rufen und erklärte ihm, er habe keinen Grund, auf den Lehrer böse zu sein. „Er hat mir gar nichts über dich erzählt“, versicherte er. „Warum weißt du dann über gewisse Dinge Bescheid?“, wollte der immer noch misstrauische Bauer wissen. „Ich habe nie behauptet, dass du das alles getan hast“, sagte der Rebbe. „Ich sagte nur, manchmal mache ein Jude gewisse Fehler. Woher sollte ich wissen, dass du sie ebenfalls gemacht hast?“
„Aber wenn es dir niemand erzählt hat ...“ murmelte der Bauer. Dann fuhr er eifrig fort: „Bitte hilf mir, Rebbe! Ich habe alles getan, was du erwähnt hast. Ich bin nicht so fromm, wie ich dachte. Was soll ich tun?“
Der Rebbe sprach ihm Mut zu, gab ihm einige Anweisungen, und versicherte ihm, G-tt werde seine aufrichtige Reue annehmen und ihn und seine Familie mit einem wahrhaft guten Jahr segnen. Mit viel leichterem Herzen lief der Bauer zum Lehrer und berichtete ihm, er sei jetzt von seiner Unschuld überzeugt und wolle ihn weiter als Lehrer für seine Kinder haben. Von da an gab es keinen treueren Anhänger von Rabbi Schneur Salman als den bis dahin unwissenden, einfachen Bauern, der den Rebbe nun von ganzem Herzen und von ganzer Seele verehrte und seine Erwartungen nach besten Kräften erfüllen wollte.
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