Vor wenigen Monaten sagte ich zu, als man mich bat, eine Nacht im Spital neben einer Koma-Patientin zu verbringen. Ich hatte einen Anruf von der örtlichen Bikkur Cholim-Gruppe erhalten (eine Organisation von Freiwilligen, die Kranken und deren Familien zu Seite steht). Der Ehemann der Patientin weigere sich, seine Frau alleine zu lassen, erklärten sie, und er war aus schierer Erschöpfung bereits mehrmals zusammengebrochen.

Ich brachte ungeheures Mitgefühl mit der Patientin ins Spital mit, und die naive Entschlossenheit, Kontakt ihr herzustellen - und sei es nur für einen Augenblick. Neben ihrem Bett las ich einige Psalmen - in meiner Vorstellung würden die hebräischen Buchstaben und Wörter, die nun im Zimmer schwebten, auf geheimnisvolle Weise die Fesseln des Komas sprengen. Ich hatte auch eine Spendenbüchse mitgebracht und in den frühen Morgenstunden warf ich ein paar Münzen für Zedaka ein - eine Mizwa, der lebensrettende Kräfte nachgesagt werden.

Wir wissen natürlich nicht mit Sicherheit, was in Geist oder Seele eines menschlichern Wesens in Abwesenheit normalen Bewusstseins vor sich geht. Was wie ein sinnloses letztes Kapitel des Lebens erscheinen mag, kann die erlösendste Episode sein. Denn während des Komas kann die Seele noch letzte Aufgaben erfüllen und Dinge in Ordnung bringen - eine Möglichkeit, die eindeutig verloren ist, sobald die Seele endgültig den Körper verlässt.

Aber der direkte Kontakt mit dieser Situation zwang mich, das absolute Befürworten der Halacha (jüdisches Gesetz) von lebensverlängernden Maßnahmen zu überdenken. Ist diese Einstellung nicht etwas vereinfachend? Ignoriert sie nicht wichtige Nuancen in Fällen, wo alles essentielle Leben verebbt ist?

Ich wurde aus meinen Überlegungen aufgescheucht, als ich die Patientin plötzlich mit weit geöffneten Augen sah. „Nur Reflexe” sagte die Krankenschwester beiläufig. Ich sah direkt in die leeren Augen, auf der Suche nach einem flüchtigen Zeichen des Lebens. Ich beobachtete die enormen Bemühungen, ihren scheinbar leblosen Körper zu pflegen. Alle zwei Stunden wird die Patientin umgedreht, um ein Wundliegen zu verhindern. Ihre Ernährung erfolgt durch intravenöse Schläuche, alle körperlichen Funktionen werden von bezahlten Schwestern gehandhabt. Einst Herr über ihre Würde als Mensch, würde sie sich in Entsetzen winden - dachte ich - wenn sie um ihr gegenwärtiges Siechtum wüsste. Und ich fühlte tiefe Trauer, überzeugt davon, dass sie nicht einverstanden gewesen wäre, dass ihr Körper durch medizinische Manipulation im Niemandsland zwischen zwei Welten gehalten wird.

Zum ersten Mal betrachtete ich mit mehr Achtung das Argument gegen übermäßige Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens, wenn dieses, im Grunde genommmen, vorbei ist. Es schien mir nicht mehr unbegreiflich, dass sich jemand in Erwartung eines solchen Endes gegen lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden würde. Und zum ersten Mal erkannte ich, dass Familienmitglieder, die diese Art der Eingriffe ablehnen, nicht notwendigerweise egoistisch oder gefühllos sein müssen, sondern aufrichtig von der Sorge um den Patienten motiviert sein können und dem Wunsch, die Würde eines geliebten Menschen zu erhalten.

Letzte Woche erhielt ich ein weiteren Anruf von der netten Dame bei Bikkur Cholim. Ich war nicht sicher, was ich sagen würde, wenn man mich um eine weitere Nacht oder sogar nur ein paar Stunden bitten würde. Mein erstes Erlebnis hatte mich an den Rand der Erschöpfung getrieben, und schien mir außerdem ziemlich sinnlos.

Aber die Dame von Bikkur Cholim wollte um nichts bitten. Auf Ersuchen des Ehemannes kontaktierte sie die Menschen, die von ihrer Zeit für seine Frau gegeben hatten, um ihnen nochmals zu danken und sie darüber zu informieren, dass sie aus ihrem Koma erwacht war.