Mit der dieswöchigen Sidra beginnt die Tora die Schilderung des ägyptischen Exils. Ein bedeutsamer Vers dazu ist dieser (Exodus 1, 14): Die Ägypter "machten ihr Leben bitter, durch schwere Arbeit mit Lehm und Ziegelsteinen".
Langsam und allmählich wurde die Versklavung schwerer. Die erste Phase bestand darin, dass die Israeliten selbst ihre geistigen Verpflichtungen vernachlässigten, indem sie den ägyptischen Forderungen nachgaben; darauf folgte dann die physische Knechtschaft. Der Anfang war, dass ihr Leben ihnen bitter wurde – das ist die Tora, das wahre Leben jedes Juden.
Das "Sefer Panim Jafot" erklärt: Als Pharao sagte (Exodus 5, 4): "Geht zu euren Aufgaben", meinte er damit den Stamm Levi, der seiner Gewaltherrschaft nicht unterstand. Genau deshalb bediente er sich der Worte: "Geht zu euren Aufgaben." Pharao hatte (so wird dort weiter erläutert) aus einem ganz besonderen Grunde keine Gewalt über die Leviten, und zwar, weil sie das Gebot der Beschneidung einhielten und weiterhin Tora lernten, die ganze lange Zeit hindurch, als dies verboten war. Die anderen Israeliten dagegen, die all dies vernachlässigten, waren Pharao ausgeliefert.
Beim ersten Hinblick ist diese Auslegung schwer zu verstehen. Gewiss, die Pflicht der Beschneidung bestand, weil schon Abraham dieses Gebot erhalten hatte; aber das Lernen der Tora war an sich nicht aktuell. Denn die Tora wurde erst später verkündetet, und es gibt eine traditionelle Ansicht, der zufolge die Israeliten damals noch als "Noachiden" galten, und Selbstaufopferung gehört nicht zu den "sieben noachidischen Geboten". Wenn dem so ist, weshalb wurden sie dann für ihre geistige Nachgiebigkeit mit Knechtschaft bestraft?
Die Antwort lautet, dass eben hierin ein wichtiges Prinzip vorgezeichnet ist: Wenn es sich um geistige Bindungen handelt, dann ist es belanglos, ob der strenge Buchstabe des Gesetzes die Selbstaufopferung vorschreibt oder nicht. Der Stamm Levi jedenfalls verpflichtete sich, wie schon Abraham vor ihm, und dies sogar auf die Gefahr der Selbstaufopferung hin. Also: Wenn es um geistige Dinge geht, gibt es keine Gradunterschiede; Selbstaufopferung ist am Platze. Für den Stamm Levi bezeichnet das Wort "Tora" hier die geistige Verpflichtung insgesamt.
Vom spirituellen Leben hängt das physische ab. Wenn man in geistigen Dingen nachgibt, dann ist es zwangsläufig, dass das Physische bald einbezogen wird. Andererseits, wenn man auf geistiger Ebene entschlossen handelt, dann ist sogar ein Pharao machtlos. Dabei war Pharao absoluter Herrscher über die ganze Welt. Niemand konnte ihm entgehen, und doch war er nicht in der Lage, den Leviten zu diktieren.
Jede Einzelheit in der Tora ist eine Anleitung für den Menschen und seine Beziehung zu G-tt. Maimonides ("Jad", Ende von Hilchot Schmitta) legt fest: "Jeder, dessen Herz ihn motiviert, G-tt zu dienen, wird wie ein Levite angesehen." Gewiss, der Levite hat kein Anrecht auf Landbesitz, aber "G-tt ist sein Erbteil" (Deut. 10, 9); und er erhält es nicht nur in geistiger Beziehung sondern ebenso in physischer. Jeder Jude muss sich daher gleichsam als einen Leviten betrachten.
Friedensstörer oder Umstürzler sind noch nie durch Zugeständnisse besänftigt worden; im Gegenteil, Zugeständnisse führen zu mehr Aufruhr, und damit werden dann auch materielle Güter zerstört. Auf Zugeständnisse folgt: "Und sie machten ihr Leben bitter", und gleich danach kommt "schwere Arbeit mit Lehm und Ziegelsteinen". Wenn man aber beharrlich bleibt und der Tora und den Geboten uneingeschränkt die Treue hält, ist man der Versklavung des Exils enthoben, geistig wie materiell.
In der Tat ist Exil eigentlich Vorbereitung auf Tora. So war es in Ägypten – hinterher wurde die enthüllte Tora gegeben. Nach dem gegenwärtigen Exil wird es ebenso sein: Das wahre, innere Licht der Tora wird zum Vorschein kommen. Wenn wir keine Zugeständnisse machen, dann sind wir – auch wo wir in der Zerstreuung und nicht im Lande Israel leben – nicht der Knechtschaft unterworfen. Der hauptsächliche Gesichtspunkt ist dieser: Wenn immer auf geistiger Ebene sich ein störender oder abschreckender Einfluss geltend macht, so soll man (wie es die dieswöchige Sidra lehrt) nicht nachgeben. Sonder wird man auch physisch versklavt, während Beharrlichkeit zum Erfolgt führt, geistig wie materiell.
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