Der berühmte Rabbi Tarfon war einer der reichsten Männer seiner Zeit. Er besaß ein riesiges Haus mit vielen Dienern, die putzten, kochten und alles in Ordnung hielten.

Eines aber erlaubte er seinem Personal nicht: seine alte Mutter zu versorgen, die bei ihm wohnte. Sie hatte ihr eigenes Zimmer mit einem hohen Bett. Es fiel ihr schwer, ins Bett und aus ihm heraus zu steigen, und wann immer sie es wünschte, bückte sich Rabbi Tarfon, so dass sie auf seinen Rücken steigen konnte.

Es war ein angenehmer Schabbat im Frühling. Rabbi Tarfons Mutter ging im Garten spazieren. Auf einmal zerriss der Riemen ihres Schuhs. Sie blieb stehen. Selbst eine provisorische Reparatur war nicht erlaubt — es war ja Schabbat. Aber sie konnte auch nicht barfuß zurückgehen, denn der Boden war kalt und nass, und sie war krank und schwach. In ihrem Alter war schon ein Schnupfen gefährlich. Also sah sie sich nach Hilfe um — aber schon war ihr Sohn, Rabbi Tarfon, an ihrer Seite. Er hatte seine Mutter regungslos stehen sehen und war zu ihr geeilt.

Bevor sie ihn davon abhalten konnte, bückte er sich und legte beide Hände unter ihren Fuß, so dass sie einen Schritt machen konnte. So ging es weiter. Bei jedem Schritt waren seine Hände bereit, und ihr Fuß berührte den Boden nicht. Mühsam, Schritt für Schritt, erreichten sie endlich das Haus. Rabbi Tarfon, der reiche Gelehrte und große Tana dachte nicht an seine Ehre. Es war ihm nicht peinlich — er war stolz darauf, dass er seiner Mutter helfen konnte.

Einige Zeit später wurde er krank, und seine gelehrten Freunde besuchten ihn. Als seine Mutter die ehrwürdigen Gäste sah, ging sie zu ihnen, dankte ihnen für ihr Kommen und bat sie mit Tränen in den Augen, für ihren Sohn zu beten.

“Er ist ein guter Sohn. Er behandelt mich so respektvoll. Er hat es verdient, gesund zu werden, und sei es nur wegen seiner kibud em (Hochachtung) für mich. Sagt nicht die Tora, dass wir lange leben, wenn wir unsere Eltern ehren?”

Die Weisen waren neugierig, wie Rabbi Tarfon seinen Respekt ausdrückte. Die alte Frau erzählte ihnen, was ihr Sohn für sie getan hatte.

Sie hörten aufmerksam zu, dann sagten sie: “Das ist gewiss bewundernswert. Doch selbst wenn er tausendmal mehr getan hätte, hätte er für Euch noch nicht einmal die Hälfte dessen getan, was die Tora von ihm verlangt!”