Im Verlauf von 830 Jahren stand ein Gebäude auf einem Jerusalemer Hügel, das als Kontaktpunkt zwischen Himmel und Erde diente. So zentral war dieses Gebäude für die Verbindung zwischen Mensch und seinem Schöpfer, dass beinahe zwei Drittel der Mizwot (Gebote) von seiner Existenz abhängen.

Seine Zerstörung gilt als größte Tragödie der jüdischen Geschichte, und sein Wiederaufbau - als sicheres Zeichen für die bevorstehende Erlösung aus 2.000 Jahren Heimatlosigkeit. Volle drei Wochen unseres Jahres - die drei Wochen zwischen 17. Tammus und 9. Aw - sind eine Zeit der Trauer über die Zerstörung des Tempels und die Folgen - physische Vertreibung Exil und geistiges Exil -, unter denen wir bis zum heutigen Tag leiden.

Fasttag

Der 9. Aw ist ein Fasttag, der bereits am Vorabend mit Sonnenuntergang beginnt. Neben von der Nahrungsaufnahme (keine Speisen und Getränke) sind weitere Vergnügungen untersagt (Waschen, Einsalben, Lederschuhe tragen und Eheverkehr).

Eine Nacht der Trauer

Man geht in der Nacht des Fasttages in die Synagoge, an den Füßen Gummi- oder Stoffschuhe. Nach dem Abendgebet setzt man sich auf den Boden oder einen niedrigen Hocker. Die Klagelieder des Propheten Jeremia über Zerstörung und Exil werden vorgelesen. Den vorletzten Vers: „Kehre uns, H-rr, Dir zu, dann können wir uns zu Dir bekehren. Erneuere unsere Tage, damit sie werden wie früher” liest die ganze Gemeinde laut vor, um die Nacht in einer Stimmung des Trostes und des Optimismus abzuschließen.

Ein Tag der Trauer

Wie Trauernde hüllen wir uns beim Morgengebet des 9. Aw nicht in den Tallit, und wir legen auch keine Tefillin an. Erst am Nachmittag, vor dem Minchagebet, holen wir diese beiden Gebote nach. In der Amida (Achtzehngebet) werden besondere Einschübe für den Fasttag gesagt.

... aber viel mehr als Fasten und Trauern

Aber die Drei Wochen sind mehr als Fasten und Trauern. Der Prophet beschreibt die Fasttage als „Tage des guten Willens vor G-tt” - eine Gelegenheit, Verfehlungen und Versagen in der Vergangenheit als Antrieb für einen dynamischen Neubeginn zu nehmen. Ein Gefühl der Reinheit begleitet das Fasten, ein Versprechen der Erlösung durchdringt das Trauern, und eine Strömung der Freude ist Teil der Betroffenheit. Der Neunte Aw, sagen unsere Weisen, ist nicht nur der Tag der Tempelzerstörung - es ist auch der Geburtstag des Moschiach, der Hauptfigur der zukünftigen Erlösung und kosmischen Harmonie.

„Warum wurde der Tempel zerstört?” fragen unsere Weisen und antworten: „Weil es grundlosen Hass im jüdischen Volk gab.” Wenn also der grundlose Hass Ursache der Zerstörung und des Exils ist, so können wir durch Eliminierung der Ursache auch die Wirkung beseitigen. So lautet dann auch ein guter Vorschlag für die Zeit um den Neunten Aw und das ganze Jahr hindurch: Gönne Dir und Deiner Umgebung eine Extra-Dosis an Ahawat Jisrael (Nächstenliebe) - dann ist alles möglich, auch die langersehnte „Erlösung”.