Mit Sukkot beginnt die Zeit der Freude im Monat Tischrej nach der bangen Atmosphäre der „Tage der Ehrfurcht”, Rosch Haschana und Jom Kippur. Es besteht ein tiefer Zusammenhang zwischen diesen Feiertagen, obwohl sie von gegensätzlicher Stimmung scheinen. Die Lehre der Chassidut erklärt1, dass alle Aspekte, welche die Tage der Ehrfurcht kennzeichnen, sich im Sukkotfest wieder finden, allerdings mit einem Unterschied: An den Tagen der Ehrfurcht waren sie verborgen, und nun zu Sukkot werden sie offenbar.

Auf besondere Weise findet dieser Prozess in einem der zentralen Motive von Rosch Haschana und Jom Kippur seinen Ausdruck – die Vereinigung ganz Israels. In den Tagen der Ehrfurcht liegt dieser Aspekt im Verborgenen, während er zu Sukkot klar, deutlich und unmissverständlich zur Sprache kommt.

Der gemeinsame Nenner

Zu Rosch Haschana und Jom Kippur enthüllt jeder Jude das Tiefste seiner Seele, jenen verborgenen jüdischen Funken, der bei allen gleich ist und alle miteinander verbindet. Als Einheit stehen alle zu Rosch Haschana vor G-tt, um Ihn zum König über die Welt zu krönen. Als Einheit besinnen sich alle zu Jom Kippur zur wahren Tschuwa und verkünden ihr wahres Wesen und ihre Sehnsucht: eine Verbundenheit mit G-tt und die immer währende Treue zu Ihm.

Diese Vereinigung in den Tagen der Ehrfurcht aber verschließt sich der Tatsache der Unterschiede zwischen den Einzelnen. Sie offenbaren den tiefen Kern, der alle Volksschichten Israels verbindet, und erheben sich über alle im Verhältnis dazu unwichtigen Unterschiede und Gegensätze.

Der Wahrheit ins Auge blicken

Mit dem Sukkotfest aber erreichen wir einen viel höheren Grad der Vereinigung, und so entwickelt und offenbart Sukkot die grundlegende Vereinigung der Tage der Ehrfurcht. Eines der charakteristischen Gebote zu Sukkot sind die Vier Arten, welche die verschiedenen Menschentypen im jüdischen Volk symbolisieren:

  1. Juden, die sowohl Gelehrte der Thora als auch Wohltäter und aktive Erfüller von Mitzwot sind – der Etrog, der duftet (Thora) und Geschmack hat (gute Taten);
  2. nur Gelehrte der Thora – der Lulaw, der nur Geschmack hat, mittels seiner Früchte;
  3. nur Wohltäter – die Hadassim, die nur duften;
  4. jene, die weder in der Thora gelehrt sind noch gute Taten üben – die Arawot, die nicht duften und nicht schmecken.

Nicht nur, dass wir zu Sukkot die Gegensätze zwischen dem einen und seinem Nächsten nicht ignorieren, sondern wir blicken ihnen ins Auge und erwähnen sie in aller Ausführlichkeit. Wir schrecken nicht davor zurück in der Arawa das zu sehen, was sie wirklich ist, ohne Duft und Geschmack. Und trotz aller Unterschiede vereinen wir uns, wie die Vier Arten nur vereint in einem Bündel die Erfüllung jenes Gebots ermöglichen!

Der Tag danach

Das ist wahrhaftig eine viel höhere Stufe der Vereinigung. Es fällt viel einfacher sich mit anderen zusammenzuschließen, wenn man dabei gegensätzliche Unterschiede „übersieht“ und nur auf den gemeinsamen Nenner blickt. Aber auch Verbundenheit zu spüren, wenn alle Gegensätze klar vor Augen liegen – das ist wahrhaftig eine große Leistung.

Das Sukkotfest offenbart uns, dass die erlangte Vereinigung zu Rosch Haschana keinesfalls zeitweilig war. Sie ist echt und beständig, eine Vereinigung, die auch dann noch anhält, wenn das gemeinsame Ziel erreicht und das Hohe Gericht zu Jom Kippur beendet ist und alle Unterschiede wieder in den Vordergrund kommen (zu Sukkot).

Diese Nächstenliebe und Vereinigung begleiten uns auch nach Sukkot das ganze Jahr über und verleihen uns die Kraft zusammenzuhalten, auch dann wenn (vielleicht) unserer verschiedenen Ansichten wegen dies nicht immer einfach scheint!

(Likutej Sichot, Band 4, Seite 1159)