Quanten-Tora

Im Artikel G-tt im Talmud befasste ich mich mit der Frage, wie die unendliche G-ttliche Weisheit in den lebhaften Diskussionen des Talmuds gefunden werden kann. Doch um das herauszufinden, müssen Sie hinter die äußerliche Bekleidung blicken – die Kühe, Esel, Fässer und anderen Gegenstände – um den Gedankenprozess, der den Debatten und Dialogen unterliegt, zu entdecken. Der Talmud ist vielmehr ein erweiterter Raum als eine Zusammenfassung jüdischer Gesetze – und beschäftigt sich weniger damit, wo Sie hingehen, als vielmehr wie Sie dort hinkommen.

Einige Leser haben sich beschwert, dass ich keine konkreten Beispiele dieser Tiefgründigkeit bringe. In diesem Artikel hoffe ich, mich ausschließlich diesem Ziel widmen zu können: Eine komplexe Halacha zu nehmen, sie auf den Operationstisch zu legen, ihre Atmung herauszufinden und eine Spur der G-ttlichen Weisheit zu zeigen, die dort auf uns wartet.

Entdeckungen der modernen Wissenschaft haben für uns Begriffe der Tora geklärt, die sonst sehr schwer zu begreifen wären

Unterwegs möchte ich Ihnen zeigen, dass die Entdeckungen der modernen Wissenschaft Begriffe der Tora für uns geklärt haben, die sonst sehr schwer zu begreifen wären. Insbesondere möchte ich hier eine Idee aus der Quantenlogik heranziehen, die uns hilft, eine halachische Entscheidung des Rambams (Maimonides) zu verstehen, eine rätselhafte Talmud-Geschichte, ein Midrasch über die Spaltung des Schilfmeeres, und eine rabbinische Lehre über die Beziehung zwischen Tora und Existenz.

Die verheiratete Geschiedene

So merkwürdig es auch klingen mag, einer der populärsten Studientexte in einer Jeschiwa (talmudischen Akademie) ist Gittin, das Traktat des Talmuds, das dem Thema Scheidung gewidmet ist. In Anbetracht der ungewöhnlichen Hingabe zum Familienleben, die die betreffende Bevölkerung allgemein charakterisiert, ist Scheidung aller Wahrscheinlichkeit nach keine in Betracht zu ziehende Option für diese jungen Gelehrten. Selbst wenn sie es wäre, hat der größte Teil ihrer Studien dieses Traktates keine praktische Anwendung. Die Jeschiwa-Studien sind im Allgemeinen weniger beschäftigt mit Fragen wie "warum", "wie genau" und "was, wenn ...", sondern mit legalen Begriffen allgemeinen Anliegens, wie z.B. Absicht, Einverständnis, Vollmacht, effektiver Erwerbungspunkt eines Kaufes und bedingtes Einverständnis.

Hier werden wir uns mit dem bedingten Einverständnis befassen. Genauer gesagt, wir sehen uns ein bedingtes Scheidungseinverständnis an. Doch möchte ich, dass Sie über den Inhalt des spezifischen Falles hinaus schauen und in die Beweisführung, die dahinter steckt, blicken. Die Fälle selbst sind sehr unwahrscheinlich. Die Schlussfolgerung, wie wir das sehen werden, hat Auswirkungen, die so weit reichen, wie wir uns das nur vorstellen können. Hier ist der Fall, wie er in einer Mischna in Gittin beschrieben wird:1

Ein Mann gibt seiner Frau einen Get (Scheidungsbrief) und sagt ihr: "Das ist dein Scheidungsbrief, und er ist gültig, wenn ich nicht innerhalb von zwölf Monaten zurückkomme." Falls er innerhalb dieser zwölf Monate stirbt, gibt es keine Scheidung.

Ein Mann gibt seiner Frau einen Scheidungsbrief und sagt ihr: "Das ist dein Scheidungsbrief, und er ist von jetzt an gültig, wenn ich innerhalb von zwölf Monaten nicht zurückkomme." Wenn er innerhalb dieser zwölf Monate stirbt, ist das eine Scheidung.

"Er ist von jetzt an gültig, wenn ich innerhalb von zwölf Monaten nicht zurückkomme."

Wie ich bereits geschrieben habe, braucht das kein Scheidungsbrief zu sein; es kann eine beliebige, vertragliche Vereinbarung sein. Jemand kann z.B. effektiv sein Haus ab dem aktuellen Datum verkaufen, unter der Bedingung, dass er innerhalb von zwölf Monaten ein neues findet. Was uns interessiert ist die Logik, die dahintersteckt.

Wir studieren den Talmud, indem wir Fragen stellen. Die erste Frage, die hier gestellt werden muss ist: Warum würde ein Mann das tun? Die beste Art, diese zu beantworten ist, eine Geschichte daraus zu machen:

Dave und Miriam sind verheiratet, doch haben sie keine Kinder. Dave wurde für ein Jahr in die Armee eingezogen und weiß nicht, ob er zurückkommen wird.

Um die Sache etwas komplizierter zu machen hat Dave einen Bruder, Joe. Nachdem Dave keine Nachkommen hat, schreibt die Tora vor, dass falls Dave nicht zurückkommt, ist entweder Jibbum (Joe nimmt Miriam zur Frau), oder sie müssen eine Chaliza-Zeremonie abhalten, durch die beide von der Pflicht, einander zu heiraten, befreit würden.2

Doch Dave kann sich nicht darauf verlassen, dass Joe sich um den Jibbum, bzw., die Chaliza kümmern wird. Vielleicht ist Joe nicht imstande, eine solche Zeremonie durchzuführen. Oder vielleicht hat Joe nicht so gute Absichten. Was auch immer der Grund sein mag, Dave möchte dieses Problem umgehen, indem er sicherstellt, dass seine Frau keine Witwe, sondern eine geschiedene Frau sein würde. Denn eine geschiedene Frau braucht weder Jibbum noch Chaliza. Sie kann auf der Stelle heiraten, wen auch immer sie zu heiraten wünscht.

Dave will sich von seiner Frau nicht scheiden lassen. Er hofft, dass er lebend heimkehren wird. Daher sagt Dave: "Nur für den Fall, wenn ich nicht zurückkommen sollte, ist das ein Scheidungsbrief." Doch die Mischna sagt uns, dass so etwas nicht funktioniert. Wenn er nicht zurückkommt, könnte der Grund dafür sein, dass er getötet wurde und tote Menschen können sich von ihrer Frau nicht scheiden lassen.

Daher empfiehlt die Mischna eher einen bedingten, rückwirkenden Mechanismus anzuwenden, der alle Gründe abdeckt: "Falls ich innerhalb von zwölf Monaten nicht zurückkomme, dann ist das dein Scheidungsbrief von diesem Augenblick an." Im Grunde genommen bindet er die Scheidung an ein Ereignis, das sich in Zukunft ereignen könnte – seine Rückkehr. Falls das passiert, waren sie die ganze Zeit glücklich verheiratet und sind es immer noch. Falls das aber nicht passiert, waren sie bereits zwölf Monate geschieden.

Bevor wir weiterfahren, sollten wir uns eine analytische Frage stellen: Was ist Miriams Zivilstand während diesen zwölf Monaten? Die offensichtlichste Annahme, die wir treffen können, wäre: "Wir wissen es nicht." Sie könnte immer noch mit ihm verheiratet sein, sie könnte es aber auch nicht sein. Wir werden es später erfahren. Im Prinzip ist er "noch festzulegen".

Sicher sollte sie keinen anderen heiraten, da Dave zurückkommen könnte. Würde sie aber voreilig handeln und in dieser Periode heiraten, sollten wir abwarten und sehen was aufkommt. Falls Dave nicht zurückkommt, dann war sie schon die ganze Zeit über geschieden und die Ehe ist in Ordnung. Doch wenn Dave zurückkommt, haben alle ein großes Problem.

Doch sind wir noch nicht zum Hauptproblem gekommen – die Diskussion des Talmuds über die Mischna. Die fängt jetzt erst an:

Wir haben gelernt, dass sie es ihr erlaubt haben, wieder zu heiraten ... Rabbi Elasar fragt einen gewissen Älteren: "Haben sie es ihr erlaubt, sofort zu heiraten? Oder musste sie die 12-monatige Periode abwarten?"3

Wer hat wem erlaubt zu heiraten? Und was ist die Frage?

In den Begriffen unserer Geschichte: Sechs Monate sind verstrichen und es wurde berichtet, dass Dave gefallen ist. Seine Leiche wurde identifiziert und sein Ableben ordnungsgemäß nach Anforderungen des rabbinischen Gerichts bestätigt. Miriam kommt zum rabbinischen Gericht und fragt, ob sie wieder heiraten kann. Sie erlauben es ihr, das zu tun. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, ob sie ihr erlaubt haben, sofort zu heiraten, oder ob sie damit gemeint haben, dass sie bis zum Ende der vereinbarten zwölf Monate warten soll.

Was Rabbi Elasar fragt: Ist Miram jetzt eine geschiedene Frau, die sofort heiraten kann? Oder ist sie bis zum Ende der zwölf Monate eine Witwe. Denn in diesem Fall wäre Joe immer noch bis zu jenem Zeitpunkt im Bild.

Wenn wir nun der oben erwähnten Logik folgen, ist Miriams Status nicht mehr "noch festzulegen". Er ist festgelegt – Dave kommt nicht zurück, daher war die Scheidung eine Scheidung und Miriam ist eine geschiedene Frau. Es sollte ihr erlaubt sein, sofort wieder zu heiraten, und Joe hätte in diesem Fall keinen Anspruch auf sie.

Scheint einleuchtend. Doch der Talmud klärt nie Rabbi Elasars Fragen. Etwa tausend Jahre später stellte Rabbi Moshe ben Maimon (bekannt als Maimonides oder der Rambam) einen Kode des ganzen Gesetzeskorpus der Tora-Gebote zusammen, die Mischne Tora genannt wird. Als er das Tat, hat er seine Entscheidung zu vielen ungelösten Fragen und Auseinandersetzungen des Talmuds beigesteuert. Daher haben wir hier aufgeführt, wie der Rambam diesen Konflikt beilegt:

Wenn er innerhalb dieser zwölf Monate stirbt, obwohl die Scheidung eigentlich in Kraft tritt – da es keine Möglichkeit gibt, dass er zurückkommt – falls sie sich in einer Situation befand, wo sie als Witwe den Ritus des Jibbums hätte durchführen müssen, wenn sie keine Kinder vom betreffenden Ehemann gehabt hat, dann sollte sie nicht heiraten, bis die zwölf Monate vorbei sind und die Bedingung erfüllt ist.4

Der Rambam sagt in diesem Fall, dass Miriams Status immer noch nicht klar ist. Joe ist immer noch nicht aus dem Bild – solange die zwölf Monate nicht vorüber sind. Doch da wir wissen, dass Daves Rückkehr ausgeschlossen ist, können wir dann nicht auch davon ausgehen, dass der Scheidungsbrief rechtskräftig war von jenem Moment an, in dem er übergeben worden ist? Miriam war während den letzten sechs Monate nicht verheiratet. Jibbum ist nur für Witwen. Miriam ist keine Witwe, sie ist eine geschiedene Frau. Warum verwickelt der Rambam immer noch Joe in die Geschichte?

Aber der Rambam ist gezwungen, so zu entscheiden. Der Talmud kommt zu keiner Schlussfolgerung dadurch, dass es sich um eine sehr folgenschwere Frage handelt, ist Vorsicht geboten. Doch für uns ist das immer noch keine Lösung. Es muss noch eine spezielle Beweisführung hinter dieser strengen Bestimmung stecken.

Glücklicherweise sind wir nicht die ersten, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen. Rabbi Vidal von Tolosa hat in der späteren Hälfte des 14. Jahrhunderts Anmerkungen zum Kodex des Rambam geschrieben unter dem Titel Maggid Mischne. Niemand studiert heutzutage Mischne Tora ohne diese Randbemerkungen. Gemäß jüdischer Tradition, benennen wir die Autoren im Allgemeinen nach ihren wichtigsten Werken, daher nennen wir Rabbi Vidal "den Maggid Mischne".

Der Maggid Mischne bemühte sich darum, eine andere Entscheidung des Rambams zu verstehen, die keine Quelle im Talmud zu haben schien. Schließlich fand er, dass die Quelle die Entscheidung darstellt, von der hier die Rede ist. Er hat festgestellt, dass der Rambam die strengere Meinung auf eine bestimmte Weise verstanden haben und diese Logik angewendet haben muss, um noch eine andere Bestimmung herzuleiten.

Hier ist der andere Fall, wieder in den Begriffen von Dave und Miriam dargestellt: 5

Dieses Mal wird Dave fies. Er gibt Miriam einen Scheidungsbrief unter der Bedingung, dass Miriam ihm 200 Sus gibt. Doch Dave war unachtsam und hat nie eine Frist gesetzt, bis zu der Miriam diese Bedingung erfüllen muss. Und er stirbt, ohne dass sie die Bedingung je erfüllt hat.

Nachdem Dave nun tot ist, können wir davon ausgehen, dass Miriam seinen erpresserischen Forderungen nicht nachgeben wird. Selbst wenn sie jetzt seinen Erben 200 Sus zahlen würde, wäre das nicht von Nutzen, da das nicht seinen Bedingungen entspricht. So wäre es denkbar, dass Miriam jetzt als Witwe betrachtet werden sollte, da die Scheidung niemals stattfand. Komischerweise bestimmt der Rambam, dass Miriam handeln soll, als ob sie beides wäre, eine Witwe und eine geschiedene Frau: Einerseits kann Joe keinen Jibbum ausführen, doch andererseits kann Miriam auch niemand anderen heiraten, ohne dass Joe eine Chaliza durchführt.

Wie kann sie beides sein? Der Maggid Mischna erklärt:

Das Erfüllen einer Bedingung klärt die Vergangenheit nicht sondern erschafft sie

Der Rambam lernt vom vorangegangenen Beispiel – der Fall mit den zwölf Monaten des noblen Soldaten – dass das Erfüllen einer Bedingung die Vergangenheit nicht nur klärt, sondern sie regelrecht erschafft. Wenn Dave innerhalb dieser zwölf Monate zurückkommt, bedeutet das, dass er Miriam nie einen Scheidungsbrief gegeben hat. Er hat ihr lediglich ein Stück Papier gegeben. Wenn Dave nicht innerhalb dieser zwölf-monatigen Periode zurückkommt, dann bedeutet das, dass er Miriam einen Scheidungsbrief vor zwölf Monaten gegeben hat. Doch Dave hat durch seinen Tod innerhalb dieser zwölf-monatigen Periode nichts erreicht. Die Übergabe des Scheidungsbriefes ist untrennbar verbunden mit der Erfüllung der Bedingung zwölf Monate später. Nichts anderes kann dieser Handlung eine Bedeutung verleihen. Beide Ereignisse sind eine Handlung für sich.

Wenn dem so ist, denkt sich der Rambam, was passiert dann, wenn die Bedingung keine Ablauffrist enthält – wie das im oben erwähnten Beispiel, das Dave als Erpresser darstellt – der Fall ist? In diesem Fall bleibt Miriams Zivilstand, sobald Dave stirbt, ohne sein Erpressungsgeld zu bekommen, zweifelhaft, denn der zweite Teil der Scheidung bleibt für immer offen. Der einzige Weg, Miriams Status klarzustellen, ist die Chaliza zu akzeptieren, und es ihr somit zu ermöglichen, jemand anderen zu heiraten.

Was wir entdecken besteht darin, dass das Erfüllen einer Bedingung die Bewölkung, die einen unbestimmten Status verdeckt, nicht einfach wegbläst, sondern bis in die Vergangenheit zurückreicht, wo sie den gegenwärtigen Status erschafft.6

Der Maggid Mischne schreibt, dass er sich schwer abgemüht hat, um die Logik des Rambams zu ergründen, und kommt zum Schluss, dass diese Entscheidung ein Hinweis auf seinen "wundersamen Intellekt" ist. Fünfhundert Jahre später hat sich einer der brillantesten talmudischen Gelehrten des späten 19. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts, Rabbi Schimon Schkop abgemüht, dieselbe Entscheidung nachzuvollziehen.7 Als er seine talmudisch geschärfte Logik anwendete, war er ganz verwirrt:

Bis die zwölf Monate vorbei sind, ist der Scheidungsbrief entweder gültig oder ungültig. Wie wir das oben erwähnt haben, die Tatsache, dass Dave nicht zurückkommt, klärt die Angelegenheit nicht. Entweder sie entwurzelt eine gültige Scheidung oder lässt eine ungültige Scheidung unberührt.

Handelt es sich dabei um eine gültige Scheidung für diese zwölf Monate? Wenn dem so ist, dann weiß Miriam, sobald Dave tot ist, dass die Scheidung niemals für ungültig erklärt werden kann und es sollte ihr in diesem Fall erlaubt sein, wieder zu heiraten. Das erklärt jedoch nicht die Entscheidung des Rambams. Es wäre einleuchtender, davon auszugehen, dass es sich um eine ungültige Scheidung handelt. Daves Ableben kann sie nicht gültig machen. Nur das Nicht-Zurückkommen macht diesen Scheidungsbrief rückwirkend geltend.

Miriam ist gleichzeitig eine geschiedenen und eine verheiratete Frau

In diesem Fall gehen wir einmal so weiter: Sagen wir einmal, dass es für die betreffenden zwölf Monate keine gültige Scheidung gibt. Und jetzt versuchen wir einmal den Fall zu betrachten, wo Dave keine Frist festsetzt und stirbt bevor Miriam ihm die 200 Sus geben kann. Da es nie eine gültige Scheidung gegeben hat, sollte Miriam jetzt als Witwe betrachtet werden, was es ihr erlauben würde, den Jibbum von Joe anzunehmen. Doch ist sie das nicht. Daher muss die Scheidung gleichzeitig beides, gültig und ungültig sein und macht Miriam daher gleichzeitig zu einer geschiedenen und einer verheirateten Frau.

"Doch ist das weder verständlich noch mit den Sinnen fassbar," schreibt Rabbi Schkop, "wie können zwei Gegensätze in einer einzigen Sache enthalten sein?"

Katze, tot oder lebend

Während Rabbi Schkop seine letzten Jahre als Direktor einer talmudischen Akademie in Grodno (Weißrussland) verbrachte, diskutierte eine eingeschworene Gemeinschaft theoretischer Physiker, nicht weit entfernt von dort, ein verblüffend ähnliches Problem. Doch statt einer verheirateten Frau betraf das Thema eine Katze.

Es war im Sommer 1935 und Erwin Schrödingers Gedanken waren mit dem Schicksal einer kleinen Katze beschäftigt, die in einer Metalldose gefangen war mit einem Glasgefäß das Cyanid enthält. Ein kleiner Hammer hing bedenklich über dem Gefäß, der an einen Geigerzähler gebunden war, auf welchem sich eine Substanz befand, die ein einzelnes Atom eines radioaktiven Stoffes (Stickstoff -13) enthielt. Die Katze war zweifellos in Gefahr, denn sobald das Atom zerfallen würde, würde die Geiger-Vorrichtung den Hammer fallen lassen, so dass er die Flasche zertrümmern würde, wodurch das Cyanide freigesetzt und die Katze töten würde.

Wie kam Dr. Schrödinger überhaupt zu dieser Katzengeschichte? Es scheint, dass sein Kollege, Albert Einstein ihm diese Idee gegeben hat. Den ganzen Sommer haben sie sich gegenseitig Briefe geschickt und beklagten sich über ihre Unzufriedenheit mit Niels Bohr und seinem jungen Grünschnabel, Werner Heisenberg und ihrer Anhängerschaft, die behaupteten, dass die Quantentheorie grundsätzlich vollständig war. Diese beiden älteren Wissenschaftler fanden, dass die Theorie selbst konsistent, erfolgreich und erstaunlich präzis war – doch auch absurd.

Um ehrlich zu sein, war es der gute alte Albert, der "den Ärger" angefangen hat. Dreißig Jahre vor dem war er der Erste, der wahrgenommen hat, das Licht in der Form von diskreten Quanten reist, die als Wellen handeln und als Partikel erkannt werden. Und es wurde immer wieder bewiesen, dass er recht hatte. Doch hat er immer gedacht: "Das ist etwas seltsam" und dass eines Tages jemand eventuell die Sache auf eine etwas klarere Weise erklären würde.

Doch taten sie das nicht. Und sie gingen noch weiter und erschufen ein ganzes Modell, "das Kopenhagen-Modell", das auf der Idee basiert, dass – bis zur genauen Messung einer Sache – überhaupt nichts definitives über irgendetwas in der subatomaren Welt zu sagen ist. Es gilt, die Wahrscheinlichkeiten aufzulisten betreffend der Frage, wie die Sache wohl aussehen mag, wenn wir einen kurzen Blick darauf werfen würden. Bevor wir nachsehen, verhält sich dieses Quantenmaterial wie Energiewellen, die sich durch den Raum ausbreiten. Doch sobald wir einen Blick darauf werfen, verhalten sie sich wie Partikel mit genau festgelegten xyz-Positionen. Bis zu diesem Augenblick haben sie keine wirklichen Positionen und Impulse, sondern ausschließlich Wahrscheinlichkeiten sich an einer bestimmten Stelle zu befinden, wenn wir sie dort suchen. Wenn wir es fertigbringen, die Eigendynamik eines dieser Partikel zu erfassen, hat es keine reelle Position mehr – und umgekehrt. Und das einst-heilige Diktum der Wissenschaft von Ursache und Wirkung wird revisionsbedürftig, denn wenn wir nicht sagen können, was jetzt gerade los ist, wie können wir dann jemals sagen, was daraus resultieren wird?

"Wenn dieser Quantenwahnsinn wahr ist, wozu sind wir dann noch Wissenschaftler?" vertraute er Niels an

Erwin hat sogar die Mathematikformeln für all diese Wahrscheinlichkeiten aufgeschrieben. Doch konnte er seine eigenen Notizen nicht schlucken. "Wenn dieser ganze Quantenwahnsinn wahr ist," vertraute er Niels an, "wozu sind wir dann noch Wissenschaftler?

Ziemlich verärgert ließ Schrödinger seinen Frust auf die Katze aus. Er hat nicht wirklich eine Katze in eine Dose gesteckt. Es war kein Laborexperiment; es war etwas sehr talmudisches mit dem Aroma, das die Physiker "Gedankenexperiment" nennen. Doch hat er einen Zeichner angestellt, um das Experiment zu verbildlichen.

Wie Sie sehen, kann die Quantenmechanik das halbe Leben eines Elementes genau vorhersagen. Sie kann z.B. vorhersagen, dass wenn ich einen Ballon habe, der mit Stickstoff-13 gefüllt ist, wird etwa 50% des in diesem Ballon enthaltenen Gases innerhalb von 9.97 Minuten zu Kohlenstoff-13 werden. Doch sobald wir die Angelegenheit von Fall zu Fall bewerten – warum beeilt sich dieses Positron schon nach zwei Minuten das Atom zu verlassen während ein anderes das nicht tut bevor mindestens zehn Minuten verstrichen sind und andere sogar zwanzig Minuten damit warten – klingt die Quantentheorie schon mehr wie ein Aktienmarkt, als wie eine Wissenschaft.

Wie bereits erwähnt, bis die Sache genau beobachtet wird, bekräftigt die Kopenhagen-Interpretation mit Nachdruck, es gibt keine diskrete Lagen, es gibt nur Wahrscheinlichkeiten. Nach der Halbwertszeit von zehn Minuten ist jedes Atom in der Lage, gleichzeitig beides – ein Stickstoff-13 – und ein Kohlenstoff-13-Atom – zu sein. Erst wenn wir eine Messung aufgezeichnet haben entscheiden sie sich, was sie genau sind, die einen den einten Weg, die anderen den anderen.

Katzen sind entweder tot oder lebendig. Daher, erklärte Erwin, ist das ganze verrückt

Wenn Bohr und Heisenberg Recht haben, was wäre dann der Status meiner armen kleinen Katze nach zehn Minuten? Da das Stickstoffatom eine Halbwertszeit von zehn Minuten hat, haben wir eine 50%-ige Chance, dass wir eine lebendige Katze vorfinden, wenn wir die Dose öffnen. Doch welchen Status hat die Katze, bevor wir die Dose öffnen? Etwas ähnliches wie diese Atome: Sie ist gleichzeitig tot und lebendig. Was nicht bedeutet, dass sie depressiv ist.

Katzen sind entweder tot oder lebendig. Daher, erklärte Erwin, ist das ganze verrückt.

Zum großen Bedauern ihrer Kollegen waren Bohr und Heisenberg noch begeisterter. Heisenberg war der Sohn eines Altphilologen. Er wurde philosophisch was antike Auffassungen des Seins, Werdens und der potentiellen Möglichkeit betrifft. Bis wir die Welt beobachten, behauptete er, ist sie nur in einem Stadium des Potentiellen ("des Werdens"). In diesem Stadium passiert in Wirklichkeit nie etwas. Es ist nur im aktuellen Stadium – in der Welt in der wir leben – dass die Dinge entweder so oder so sein müssen.

Niels Bohr erforschte noch einen anderen Blickwinkel, den er "komplementär" nannte. Gemäß dieser Weltanschauung hat alles, was existiert ein Gegenstück das sein Gegenteil darstellt. Raum kann als ein reibungsloses Kontinuum angesehen werden, oder als eine Vielzahl an verschiedenen Standorten. Jedes Objekt kann als Teil des Ganzen betrachtet werden oder als eigenständige Einheit. Zeit kann als ein umfassender Prozess gesehen werden oder als eine Reihe von Ereignissen. Auf ähnliche Weise ist ein Elektron in gewisser Hinsicht eine Welle, doch in anderer Hinsicht ist es ein Partikel. Das Problem ist nur, dass wir entweder die eine oder die andere Wirklichkeit beobachteten können, doch nicht beide gleichzeitig. Bohr hat das als universale Wahrheit angewendet. Einer seiner Lieblingssprüche war: "Eine hervorragende Wahrheit ist diejenige, deren Gegenteil ebenfalls eine hervorragende Wahrheit ist."

Was Albert betrifft, so hatte dieser keinerlei Geduld für diese Ideen. Als er Schrödinger in jenem Sommer einen Brief schrieb, nannte er Bohr einen "talmudischen Philosophen".

Was haben eine geschiedene Frau und ein Photon gemeinsam?

Ich schätze, dass sich Rabbi Schkop sehr gefreut hätte, wenn diese Neuigkeiten nach Grodno gekommen wären. Einstein und Schrödinger vertraten die Position der nachsichtigen Meinung im Talmud, während Bohr und Heisenberg die strengere Meinung adoptierten, die der Rambam als rechtskräftige Halacha festlegte. Miriam könnte beides, verheiratet und geschieden, gleichzeitig sein, bedingt durch die Erfüllung der angegebenen Bedingung, genauso wie sich Quantenmaterial in einer Überlagerung von zwei sich gegenseitig widersprechenden Stadien befinden kann, bedingt durch unsere Beobachtung desselben.

Was aber wäre passiert, wenn unser freundlicher Physiker damals einen wahren talmudischen Philosophen jenseits der polnischen Grenze beachtet hätte? Die beiden könnten darauf aufmerksam geworden sein, dass dieses seltsame Zusammenspiel zwischen Messung und Bestimmung auch rückwirkend Einfluss hat, statt auf John Archibald Wheeler zu warten, um Jahrzehnte später von der Sache eine Ahnung zu bekommen. Genauso wie Daves Heimkehr oder Nicht-Heimkehr Miriams Zivilstand bis zu zwölf Monate vor dem Ereignis bestimmt (inbegriffen den Status jedes Kindes, das aus einer eventuellen zweiten Ehe, die in jener Periode geschlossen wurde, stammt), bestimmt auch die Messung der Position der subatomaren Teilchen rückwirkend den Weg, auf den es dorthin gelangt ist.

Zurück zu unserem Fall, jetzt in der Sprache der Quantenmechanik:

Sobald Miriam den bedingten Scheidungsbrief erhalten hat, ist sie in ein undefinierbares Stadium gelangt

Sobald Miriam den bedingten Scheidungsbrief erhalten hat, wurde ihr Zivilstand unbestimmt. Doch unbestimmt bedeutet nicht, wie wir das weiter oben gedacht haben, "noch zu bestimmen" wie in "wenn wir es einmal wissen werden, werden wir es wissen, doch im Moment wissen wir es nicht." Unbestimmt bedeutet eine Überlagerung von zwei gegensätzlichen Stadien: Miriam ist beides - verheiratet und gleichzeitig geschieden. Verheiratet, weil Dave zurückkommen könnte und geschieden, weil auch die Möglichkeit besteht, dass er nicht heimkehrt, und die einzige Sache, die ihren Status verändern kann, ist der Ablauf der zwölfmonatigen Periode, die es ermöglicht, dass entweder die eine oder andere Möglichkeit betreffend Miriams Zivilstand eintritt. Sobald das passiert, ist die andere Möglichkeit aufgehoben, als ob sie nie existiert hätte.

In diesem Fall trifft dasselbe auch dann zu, wo sich Dave als erpresserischer Peiniger zeigt: Als Dave ihr den bedingten Scheidungsbrief überreicht, wird Miriam in denselben unbestimmten Zustand geworfen. Sie wurde gleichzeitig zu beidem, zu einer geschiedenen und einer verheirateten Frau. Dave weilt nicht länger unter uns, doch gibt es auf der Bedingung keine Zeitbeschränkung, so dass Miriam keinen Ausgang aus diesem zweideutigen Zivilstand hat. Sie kann nicht heiraten, bis sie von Joe eine Chaliza bekommt – da sie Witwe ist. Noch können Joe und Miriam die Mizwa des Jibbums erfüllen und sich verbinden – da sie geschieden ist. Sie ist zwei Miriams in einer einzigen Person. Die beste Lösung ist, dass sie von Joe eine Chaliza bekommt, wodurch auch ihre Witwenseite heiraten kann.

Doch falls jemand sie fragt: "Miriam, bist du eine Witwe oder eine verheiratete Frau?" wird sie antworten: "Ja." Das wäre in etwa genauso, als ob wir ein Photon fragen würden, ob es ein Partikel oder eine Welle ist.8

Doch hier liegt das Rätsel, worüber sich die Physiker bis heute streiten: Wir sprechen hier nicht über Phänomenologie – über die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung. Wir sprechen darüber wie unsere Beobachtung von Dingen einen regelrechten Einfluss auf deren Verhalten hat. Warum soll der Status der Wirklichkeit von unserer Beobachtung abhängen? Warum kann sie das nicht selbst entscheiden?9

Wenn wir diesen Ort nicht erschaffen haben, warum soll ihr Status dann von uns abhängig sein?

Ja, Miriams Zivilstand hängt von einer Bedingung ab, die ihr Mann stellte, als er ihr einen Scheidungsbrief übergab – das ist noch leicht zu verstehen. Doch was ist mit all den Elektronen, Positronen, Photonen und all den Sachen, die all das, was wir beobachten können, zusammenstellen, dass sie zur Bestimmung ihres Status von unseren Handlungen abhängig sind? Wir haben sie sicherlich nicht erschaffen – wir verstehen nicht einmal, wie sie funktionieren! Haben wir mit ihnen je ein Abkommen getroffen?

Dazu müssen wir die Spaltung des Schilfmeeres besprechen.

Spaltung der Haare, Spaltung der Flüsse

Während Bohr und Co. damit beschäftigt waren, Quantenmechanik zu entwickeln, studierte ein talmudischer Schützling an der Universität in Berlin, besuchte die Vorträge von Erwin Schrödinger und war von ihnen begeistert.10 Als dieser Student später zum Lubawitscher Rebben wurde, wendete er eine sehr ähnliche Logik in der Entwicklung talmudischer Ideen an – nicht indem er Quantenmechaniken zitierte, sondern indem er dieselben Dynamiken in der Halacha, dem Midrasch und der Kabbala entdeckte. Doch wenn Sie wissen, was Sie suchen, werden Sie es dort finden.

Die Geschichte der Spaltung des Schilfmeeres stellt ein solches Beispiel dar. Lassen Sie uns einmal mit der Wiedererzählung anfangen:

Nachdem sie der Sklaverei entkommen waren, setzten die Kinder Israels ihren von Wundern begleiteten Weg zur Sicherheit auf trockenem Boden, durch die von G-ttlicher Hand arrangierte Spaltung des Schilfmeeres, fort. Die ägyptische Armee, die ihnen dicht auf den Fersen war, wurde versenkt, die Räder der Kriegswagen durch den Schlamm entrissen, Reiter und Wagen von ihren Pferden in den Abgrund gezogen.

Nun hält Moses seinen Stab einmal mehr über das Meer. In der wörtlichen Sprache des hebräischen Textes lesen wir:11 "Das Meer kam wieder zu Kräften" – und ertränkte mit Zorn die ganze Armee auf einmal.

"Das Meer kam wieder zu Kräften": Das hier benutzte Wort für "zu Kräften" ist le'ejtano. (לאתנו). Die Rabbiner des Talmuds machen daraus ein Wortspiel indem sie die Reihenfolge der Buchstaben verändern. Le'ejtano, sagen sie, kann auch als litenao (לתנאו)—gelesen werden, was "zu seiner Bedingung" bedeutet.12

Welche Bedingung? Eine Bedingung, die G-tt ihm gestellt hat als Er es erschuf: "Wenn die Kinder Israels an diesen Punkt gelangen, sollst du dich spalten, damit sie dich durchqueren können. So kannst du existieren."

Diese Art talmudischer Wortspiele gehört einem Genre an, das Midrasch genannt wird. In der Tat kommt diese spezielle Lehre nicht im Talmud vor, sondern in einer Sammlung von Midraschim, die Zeitgenossin des Talmud ist und Midrasch Rabba genannt wird. Doch die Rabbiner "erfinden" die Midraschim nicht einfach zum Spiel. Sie möchten uns eine besondere Sache lehren. Die Botschaft dieser Lehre scheint ziemlich eindeutig zu sein: Alles wurde im Voraus arrangiert. Warum Dinge im Voraus arrangiert werden müssen, wird nicht erklärt. Wenn die Dinge nicht von vorn herein festgelegt geworden wären, hätte es der Schöpfer aller Dinge doch ebenso fertiggebracht. Genauso wie Er ein Meer erschaffen hat, wird Er dieses Meer spalten. Wozu muss Er diese Angelegenheit überhaupt mit dem Meer besprechen und eine Vereinbarung daraus machen?

Abgesehen von dieser Frage stellt der Rebbe diesen Midrasch in seinen eigenen Begriffen zur Rede. Das Spielen mit den Wörtern der Tora hat sicherlich eine gültige Basis in unserer Tradition. Die hebräische Bibel stellt oft Wörter auf diese Art und Weise nebeneinander. Doch in diesem Fall stehen die beiden Zusammenstellungen im Gegensatz zueinander: Le'ejtano – zu (seinen) Kräften; litenao – zu seiner Bedingung. Eine Bedingung schwächt ein Abkommen. In diesem Sinn stehen die beiden Leseweisen im Gegensatz zu einander.13

Die Antwort befindet sich in einer anderen Geschichte über einen anderen Wasserkörper, der sich, als die Sache notwendig war, teilte. Diese Geschichte wird im Talmud über einen großen Weisen und Mann guter Taten, Rabbi Pinchas Ben Jair, erzählt:14

Rabbi Pinchas Ben Jair war unterwegs, um die Mizwa, jemanden aus der Gefangenschaft zu erlösen, auszuführen. An einem bestimmten Punkt blockierte der Fluss Ginai seinen Weg.

Er befahl: "Ginai, teile deine Wasser so dass ich durchgehen kann!"

Der Fluss antwortete: "Du bist daran, den Willen deines Meisters auszuführen und ich bin daran, den Willen meines Meisters auszuführen. Doch könntest du einen Misserfolg haben, während ich sicher Erfolg haben werde."

Es ist dabei zu beachten, dass der Fluss hier ein gültiges Argument hat. Rabbi Pinchas führt den Willen seines Schöpfers sicherlich aus. Er ist beauftragt, unschuldige Menschen von ihrem bösen Entführer zu befreien. Doch der Fluss erfüllt ebenfalls den Auftrag seines Schöpfers. Er fließt genau dort, wo er es soll, – egal wie unbequem das auch immer sein mag für Rabbi Pinchas. Warum sollte der eine dem anderen Platz machen? Hier sehen Sie, wie er darauf geantwortet hat.

Er antwortete: "Wenn du dich nicht teilst, werde ich verordnen, dass niemals Wasser in dir fließen soll."

Der Fluss spaltete sich.

Haben Sie sein Argument mitbekommen? Dazu brauchen wir die Worte des Meisterlehrers und Kabbalisten Rabbi Dov Ber, am besten bekannt als "der Maggid von Meserich". Der Maggid wurde als der Erbe des Baal Schem Tows betrachtet, von dem er gesagt hat, dass er seine Lehren von ihm erhalten hat:15

Als Rabbi Pinchas dem Fluss Ginai erwiderte: "Wenn du dich nicht teilst, werde ich verordnen, dass nie Wasser in dir fließen soll!" sagte er dem Fluss nicht, dass er austrocknen werde. Er erklärte ihm, wenn er ihn weiterhin bei seiner Mission behindert, hat er nie existiert. Niemand würde sich daran erinnern, dass es da einst einen Fluss gab, weil es nie einen gegeben hätte.

Niemand würde sich daran erinnern, dass es da einst einen Fluss gab, weil es nie einen gegeben hätte

Mit welchem Recht? Weil der Fluss, erklärte der Maggid, nur das Wort seines Schöpfers ausführte. Doch Rabbi Pinchas Ben Jair führte den Willen seines Schöpfers aus. Es gibt da einen Unterschied. Wort steht für das, was ist. Wille steht für das, was sein sollte.

Der Schöpfer legt mit Seinem Wort das dar, was ist, wie ein Autor, der eine Geschichte aufstellt oder ein Programmierer, der die Parameter seines Programms anordnet. Doch das, was ist, ist nicht nur da, um das zu sein, was es ist. Es gibt einen Grund dafür. Es ist so, damit der Wille des Schöpfers ausgeführt werden kann – das, was sein soll. Und was sein soll wurde uns zur Vollendung überlassen.

Als der Schöpfer Seine Welt erschuf, hatte Er bereits entschieden, wie sie sein soll. Was sein soll ist Halacha, die Pfade auf denen Sein Wille durch unsere weltlichen Bemühungen in diese Welt eindringen soll. Entsprechend diesem "Soll" hat Er das, was ist entworfen. Das bedeutet: Das wirkliche Ist einer Sache wird durch deren Erfüllung als ihr Soll bedingt.

Das wollten uns die Rabbiner mitteilen, als sie lehrten, dass G-tt dem Schilfmeer eine Bedingung gestellt hat, als Er es schuf. Nicht nur mit dem Schilfmeer sondern mit der ganzen Schöpfung. Das ganze Universum ist eine bedingte Schöpfung, wie der Prophet sagt: "Wäre es nicht für Mein Bündnis Tag und Nacht, hätte ich die Gesetze von Himmel und Erde nicht festgelegt."16 "Mein Bündnis" bezieht sich auf das Bündnis zwischen G-tt und dem Menschen – der Tora – dem, was sein sollte. Jeder Augenblick, egal ob am Tag oder in der Nacht, existiert nur durch die Bedeutung, mit der das Bündnis ihn inspiriert. Ein Augenblick, der seiner wahren Bedeutung widerspricht oder der ganz einfach leer von Bedeutung bleibt, ist ein Augenblick, der nie war. Selbst die Gesetze von Himmel und Erde sind nie gemacht worden, falls sie dem Bündnis widersprechen.

In der Tat scheint es da am Anfang einen Konflikt zu geben: Unschuldige Menschen sind in Gefangenschaft geraten. Rabbi Pinchas muss sein Tora-Studium unterbrechen und sein Leben riskieren, um sie zu retten. Und dann kommt dieser Fluss und blockiert den Weg und verweigert Rabbi Pinchas den Durchgang. Wenn wir die Dinge betrachten, werden wir nicht den Zweck herausgekommen. Das entfaltet sich erst mit dieser Geschichte.

Es gibt Zeiten, da liegt der Zweck versteckt und wartet auf den großen Zaddik, der ihn ausgräbt oder auf einen von uns Durchschnittsmenschen, der sich mit der Welt und der Tora auseinandersetzt, bis er ihn herausgefunden hat. Von außen betrachtet, mag das ganze Universum schreien. Innerlich jedoch wurde jedes Detail genau so festgelegt, dass es irgendwie, auf seine eigene, wunderbare Weise, den Willen seines Autoren erfüllt.

Und Er ist ein wunderbarer Autor: "Alles, was G-tt in Seiner Welt erschaffen hat, hat Er für Seine Herrlichkeit erschaffen."17

Das Existieren als Nicht-Wesenheit

G-tt tut in diesem Fall etwas ähnliches wie das, was Dave tat. Nicht mit einem Scheidungsbrief sondern mit einem Existenzbrief. Er sagt der Schöpfung: "Ich gewähre dir von diesem Augenblick an eine Existenz, doch unter der Bedingung, dass die Menschen, die ich in die Welt setzen werde, dich zu jener Welt machen werden, die ich wirklich im Sinn hatte."

Wie Sie sich erinnern werden, hat Dave, als er diese Bedingung stellte, Miriam in eine Überlagerung von zwei Zivilständen geworfen: Miriam war für ein ganzes Jahr beides, verheiratet und geschieden. Als der Schöpfer aller Dinge Seiner ganzen Schöpfung eine Bedingung gestellt hat, in welche Lage hat er sie dann geworfen? Unserer Argumentation zufolge sind beide Lagen gleichzeitig existent und inexistent vorhanden.

Wenn wir G-tt fragen würden, ob die Welt existiert oder nicht, würde Er uns antworten: "Ja, das ist die Frage."

In anderen Worten, wenn wir G-tt fragen würden, ob die Welt existiert oder nicht, würde Er uns antworten: "Ja, das ist die Frage."

Was passiert jedoch, wenn die Bedingung einmal erfüllt ist, also wenn Sein Wille ausgeführt wurde und die Welt nicht nur zu dem wird, was ist, sondern zu dem, was sein soll? Hier finden wir im Talmud eine weitere, vielsagende Anekdote, die den Tag beschreibt, an dem die Tora am Sinai-Berg übergeben wurde:

"Vom Himmel ließest Du das Gericht erhört werden; die Erde zitterte und war reglos." (Psalmen 76:9)

Wenn die Erde zitterte, wie konnte sie reglos sein? Und wenn sie reglos war, wie konnte sie zittern?

Doch zuerst zitterte sie, und gleich darauf wurde sie reglos.18

Ohne unsere Erklärung einer bedingten Existenz ist es schwer zu verstehen, was das uns sagen will. Was war die Frage und was ist der springende Punkt der Frage? Nun wird alles klar. Am Anfang, wie der Text besagt, zitterte die Erde und war gleichzeitig reglos – sie existierte und existierte nicht. Als die Tora einmal im Verlauf jenes Ereignisses am Sinai-Berg angenommen wurde, hat sich die weltliche Existenz stabilisiert. Rückwirkend wurde die Welt Wirklichkeit. Sie war und war gewesen.

Hoffentlich erinnern Sie sich noch an die vorige Frage. Der Rebbe fragte, was "das Meer, das wieder zu Kräften kam" mit dem Meer, das seine Bedingung erfüllt zu tun hat. Eine Bedingung stärkt nicht, sondern schwächt. Doch nun sehen wir: Sobald die Bedingung erfüllt ist, ist die Superposition des Seins und Nichtseins gelöst. Wenn es seinen Zweck erfüllt, bestätigt es, dass es eine stabile, starke Existenz ist – und schon immer war.

Der Rebbe wendet dasselbe Prinzip auf ein anderes Rätsel in der jüdischen Überlieferung an. Die Liturgie, die wir an Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahr lesen, nennt diesen Tag "den Geburtstag der Welt" und "den Anfang Deines Werkes". Uns wird ebenfalls mitgeteilt, dass das der Tag war, an dem Adam, das erste menschliche Wesen, erschaffen wurde. Doch Adam wurde bis zum sechsten Tag der Schöpfung nicht erschaffen. Warum wird sein Geburtstag dann "der Geburtstag der Welt" genannt?

Erst dann hat die Welt begonnen, fünf Tage zuvor zu existieren

Denn bevor es Adam gab, war da kein Wesen, das diese Schöpfung zur Erfüllung ihres Zwecks bringen konnte. Erst als Adam da war und anfing, Sinn und Zweck seiner Existenz und der Existenz allem, was sich um ihn dreht, zu suchen, erst dann fing die Welt an, etwas von einer wahren Existenz zu haben.19 Erst dann hat die Welt begonnen, fünf Tage zuvor zu existieren.20

Nun können wir die volle Bedeutung der fantastischen Midraschim über G-ttes Verhandlungen mit dem Meer und den Verhandlungen eines Rabbiners mit einem Fluss verstehen: Die wahre Wirklichkeit jeder Schöpfung ist nicht seine offensichtliche, weltliche Funktion, sondern sein Anteil an einem höheren, G-ttlichen Plan. Das innere Wesen von dem was ist, ist das was sein sollte. Dann sind wir also Adam, das Wesen das dafür verantwortlich ist, den G-ttlichen Zweck einer Sache, der bis dahin potentiell war, effektiv zu machen, die Welt von einem vergänglichen Trugbild in einen ewigen Garten der Freude zu verwandeln, einen Ort, wo das Wesen des G-ttlichen scheint.

Nun können wir auf die Frage, die wir vor langem gestellt haben, mit einem entscheidenden philosophischen Rätsel der Quantenrealität antworten. Wenn wir nicht die Schöpfer dieser Welt sind, wie soll dann unsere passive Beobachtung einen so grundlegenden Einfluss auf sie haben? Warum sollen Wellen plötzlich zu Photonen werden, nur weil wir sie "im Einsatz" beobachten wollten? Wie kommt es, - wenn wir irgendetwas auf der Quantenskala beobachten, sich diese von einem Potential an Möglichkeiten zu diskreten Daten verändert, von werdend zu geworden? Warum dieses seltsame Zusammenspiel zwischen unserem Öffnen der Dose und dem Zustand dessen, was sich dort drin befindet?

Ich möchte vorschlagen, dass die Anwendung des Rebben uns mindestens den Wink einer Antwort beschafft: Wenn die eigentliche Existenz des Universums von der Bedeutung abhängt, die wir ihm geben, ist es nicht überraschend, das sich die Einzelheiten ebenfalls nach unserer Interpretation richten. Es ist unser wirklicher Platz in der Schöpfung, nicht der eines außenstehenden Beobachters, sondern der eines integralen Teils eines fortlaufenden kreativen Prozesses: Derjenige, der das Wesen aller Dinge von einer potentiellen in eine effektive Existenzform bringt.21

Es gibt eine weitere rätselhafte Lehre des Talmuds, die eigentlich dasselbe besagt: Sobald er unter das Mikroskop gestellt wird, "muss jeder Mensch sagen: 'Für mich wurde die Welt erschaffen.'"22 Doch wenn wir genauer hinschauen, heißt es nicht "für mich ..." sondern bischwili (auf meinem Weg). Jeder Mensch muss also sagen: "Ich bin der Weg, durch den die Welt erschaffen wurde. Wenn ich den Weg zu einem schiefen Weg mache, wird die Welt dementsprechend herauskommen. Wenn ich ihn zu einem geraden, klaren G-ttlichen Weg mache, wird auch die Welt, in der ich lebe, so aussehen."

Die ganze Wirklichkeit hängt davon ab, wie wir uns entscheiden, den jetzigen Augenblick zu benutzen – die Gedanken, die wir denken, die Worte, die wir sagen und das Wichtigste, die Handlungen, die wir vornehmen. Nicht nur die Zukunft hängt davon ab, sondern auch die Vergangenheit. Es gibt nichts Wertvolleres als den jetzigen Moment. Alles hängt von ihm ab.23

Das bedingte Universum

Es gibt so viel mehr zu sagen. Bohrs Vorstellung von komplementären Ringen des talmudischen Spruches "für alles, was G-tt uns verboten hat, hat Er uns etwas ähnliches geliefert, das erlaubt ist."24
Rabbi Josef Rosen von Rogatschov hat erklärt, wie viele der talmudischen Debatten zwischen den Weisen Abbaje und Rawa sich auf zwei verschiedene Betrachtungsweisen der Zeit beziehen: Sollen wir sie als eine Serie von Punkten betrachten oder als ein flüssiges Kontinuum? Im Allgemeinen zeichnet sich der Talmud dafür aus, dass es für jede Meinung eine Gegenmeinung gibt – und dass diese ebenfalls wahr ist. Als Rabbi Ewjatar nach G-ttes Ansicht zu einem Thema fragte, das er gerade mit Rabbi Natan erörterte, lautete die Antwort: "Nun, mein Kind Ewjatar sagt so während mein Kind Natan so sagt ..." Es wird gesagt, dass eine Stimme vom Himmel einst verkündet hätte: "Beides sind Worte des lebenden G-ttes."

Ich möchte noch bescheiden hinzufügen, das diese Vorrichtung zur Entdeckung der Azmut (endgültigen Wirklichkeit) durch die Konjugation paralleler Gegensätze ein Leitmotiv der Reden des Rebben ist und vor allem seiner tiefgründigsten Maamarim. Dafür gibt es Beispiele, wie das Nebeneinanderstellen vom Endlichen und Unendlichen, dem Spirituellen und Materiellen, dem Glauben und Intellekt, dem Gebet und Vertrauen, der Natur und Wunder – und noch vielem mehr.

Was Heisenbergs Beschreibung der potentiellen und der effektiven Realitäten betrifft, so ist diese der kabbalistischen Vorstellung ziemlich ähnlich, die unsere Welt Olam HaAssija (gegenwärtige Welt, Ist-Welt) nennt, während alle anderen Welten die Welten des Potentiellen, des Werdens sind. Die Quantenwelt, aus welcher diese Welt besteht, ist scheinbar nicht so ganz diese Welt.

Die Schöpfung widerspiegelt in einer prächtigen Form die absolute Einheit ihres Schöpfers

Doch am eindrucksvollsten ist, wie die Quantenmechanik laut und klar schreit, dass das ganze Universum nur als eine einzige Einheit verstanden werden kann. Ein Phänomen kann an einem bestimmten Ort, zu einem bestimmten Zeitpunkt erscheinen, doch die unterliegende Wirklichkeit ist nicht-lokal – Zeit und Raum sind miteinander verbunden als ein einziges Ganzes. Die Schöpfung widerspiegelt in prachtvoller Form die absolute Einheit ihres Schöpfers.

Der Sohar nennt die Wissenschaft "die Quellen von unten" und die Weisheit der Tora "die Fenster vom Himmel". Im "Letzten Tag der Geschichte", habe ich die Vorhersage des Sohars, dass nicht lange vor dem Messianischen Zeitalter eine Flut des Wissens sich ereignen wird, die die Flut von Noah widerspiegelt, zitiert. Die Erkenntnis von oben sowie das Wissen von unten werden beide die Welt überschwemmen, um sie für jenes Zeitalter vorzubereiten. Die Erkenntnis von oben an sich, ist ein externes Wissen, solange wir das Wunder nicht innerhalb unserer Welt entdeckt haben. Das Wissen von unten an sich liefert uns keine Bedeutung, keinen Zweck, nichts Grandioses. Doch zusammen ergeben sie eine perfekte Harmonie.

In Fußnote Nr.10 habe ich Professor Paul Rosenbloom erwähnt, einen prominenten amerikanischen Mathematiker, der viele wichtige Beiträge, vor allem zu Lehrplan und Erziehung, geleistet hat.25
Professor Rosenbloom hatte viele Gelegenheiten dazu, sich privat mit dem Rebben zu unterhalten.

Das erste Treffen Prof. Rosenblooms mit dem Rebben war für 11 Uhr abends festgelegt. Rosenbloom bemerkte, dass der Rebbe viele Leute vor und nach ihm empfangen würde. Ahnend, dass der Bereich, in dem er das größte gemeinsame Interesse mit dem Rebben hatte, Erziehung war, und um dem Rebben etwas Zeit zu ersparen, schrieb er einige seiner Ideen nieder und übergab sie dem Sekretär des Rebben.

Als er sich an den Sekretär wandte, erklärte Prof Rosenbloom die allgemeine Stoßrichtung seines Denkens: Dass die Programme des Tora-Lernens und die Programme der säkularen Bildung in der jüdischen Tagesschule vernetzt werden sollten.

Der Sekretär war empört: "Es muss eine Trennung geben zwischen dem Heiligen und dem Mondänen!" erwiderte er dem Professor. "Ein Kind muss lernen, was heilig ist und was nicht."

Als er sich jedoch an den Rebben wandte, erhielt er ein anderes Bild. "Kinder sollen lernen, alles zu schätzen, was mit der Tora in Verbindung steht." erklärte ihm der Rebbe. "Wenn sie im Labor ein Experiment durchführen sollen sie wissen, dass es G-ttes kreative Macht ist, die die chemischen Reaktionen erzeugt, die sie beobachten."

Der Rebbe fuhr fort: "Es gibt einige, die zwei Büchergestelle haben, eines für Sefarim (heilige Texte) und ein anderes für weltliche Bücher. Das ist eine falsche Haltung. Wenn jemand findet, dass weltliches Wissen von der Tora getrennt ist, dann versteht er weder die Tora noch das weltliche Thema, das er gerade studiert."26

Ich habe damit angefangen, zu erklären, das Talmud – und Tora im Allgemeinen – sich nicht so sehr auf Gedanken beziehen, sondern vielmehr auf die Art des Denkens. Der Unterrichtsstoff – egal ob es sich dabei um Esel, Ochsen, Fässer, Gepäckträger, Scheidungsbriefe oder Hochzeitszeremonien handelt – dient nur als Verpackung, Versendung und Bearbeitung. Die wirkliche Ware ist: Wie denkt mein Schöpfer? Innerlich.27

Doch habe ich auch etwas anderes gezeigt: Dass die Verpackung spricht. Die Einfassung selbst wird ein Lehrer des Geheimnisses, das es birgt. Die Welt selbst wird zu einem Zubehör der Tora, etwa wie das Tuch, in das wir eine Tora-Rolle einwickeln, oder die Silberhand, die vom Leser benutzt wird, um die Wörter beim Lesen anzuzeigen. Es erwartet uns eine Zeit um die Ecke, in der die Welt selbst zu Tora wird, so dass "die Welt mit der Weisheit G-ttes erfüllt sein wird, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken."28

Wie der Rebbe lehrte, wir brauchen nur unsere Augen zu öffnen um zu sehen, das alles schon da ist.


In Angedenken an Reb Lipa Dubrawsky, ein Freund und Lehrer, ein Chassid und Gelehrter.


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