Die einzigartige Qualität der Tora [und der Umstand, dass die Tora dem jüdischen Volk Bedeutung verleiht] kann verstanden werden anhand der Aussage unserer Weisen s.A.:1 »Die Tora ging der Welt um 2.000 Jahre voraus.« Dies ist keine Aussage über die chronologische Reihenfolge, denn sowohl Zeit als auch Raum sind Schöpfungen und vor der Schöpfung der Welt existierte auch die Dimension der Zeit nicht. Das »Vorausgehen« hier bezeichnet eine höhere spirituelle Ebene. [Die Tora reflektiert eine Ebene der G-ttlichkeit, die höher ist als die in die Schöpfung gekleidete Ebene.]
[G-ttes] emotionale Attribute sind die Quelle für die Welt. Der Sohar erklärt2, dass sich der Vers:3 »Denn in sechs Tagen hat der Ewige [Himmel und Erde] gemacht« auf dieses Konzept bezieht. Das hebräische Original lautet scheschet jamim asa und bedeutet wörtlich »sechs Tage machte«. Das Präfix ב (»in«) fehlt. [Der Sohar erklärt den Grund dafür:] Die sechs Tage stehen für G-ttes sechs emotionale Attribute, wie sie einen großen Abstieg in Asija, die Ebene der Tat, durchgehen.
[Die ursprüngliche Ebene der sechs emotionalen Attribute ist Azilut, die Ebene der Emanation, wo alles Sein eins mit G-tt ist. Um das Hevorbringen einer physischen Welt zu ermöglichen, sanken diese Attribute in die Ebene von Asija ab.]
[Auf dieser Grundlage können wir eine weitere Aussage des Sohar verstehen. Der Sohar erklärt4, dass das erste Wort der Tora] (Bereschit), der erste der zehn Schöpfungssprüche, eine Verbindung zweier Worte ist - (Bor Schit) – »Er schuf sechs« [ein Verweis auf G-ttes sechs emotionale Attribute, durch die alles Sein geschaffen wurde.]
Dieses Konzept kann weiter verstanden werden anhand der Interpretation des Verses:5 »Die Welt soll mit Güte gebaut werden« Es gibt zwei Möglichkeiten, diesen Vers zu erklären:
1) Das Attribut der Güte war nötig, um die Welten zu »bauen«. [Güte ist das erste der sechs emotionalen Attribute. Es motiviert den Ausdruck aller anderen, für die Schöpfung erforderlichen Attribute. Dementsprechend erklärt der Ez Chajim6, dass der erste Tag, der das Attribut der Güte symbolisiert] »zusammen mit allen anderen Tagen geht.«
2) Das Attribut der Güte selbst muss gebaut werden. [In diesem Fall wäre der o.g. Vers zu lesen: »Der Welt zuliebe wurde Güte gebaut.«] Auf ähnliche Weise beschreibt der genannte Ausspruch »Er schuf sechs« das Bauen der sechs emotionalen Attribute, die wiederum zur Quelle für die niederen Welten Beria, Jezira und Asija werden.
[Damit wurde die Verbindung zwischen G-ttes emotionalen Attributen und den niederen Welten erklärt. Sie entstanden, um als »kreative Agenten« diese Ebenen zu schaffen. Die Tora dagegen reflektiert G-ttes intellektuelle Attribute, und existiert unabhängig von der Existenz der niederen Ebenen. Wie oben erwähnt:] »Die Tora ging der Welt voraus.« [So stellt auch der Sohar fest:]7 ] »Die Tora geht aus der Weisheit hervor«, [d.h. aus G-ttes] intellektuellen Attributen, welche die [niederen] Welten vollkommen übersteigen.
[Der Unterschied zwischen G-ttes Attributen des Intellekts und der Emotion kann durch eine Analyse dieser Kräfte im menschlichen Bereich verdeutlicht werden.] Intellekt benötigt keine andere Person. Auch wenn man allein ist, ohne jemanden, mit dem man eine Idee teilen kann, ist es möglich, intellektuell nachzudenken. Die Emotionen hingegen erfordern einen Empfänger. Das Attribut der Güte zum Beispiel erfordert jemanden, der Großzügigkeit und Güte empfängt. Gibt es keinen Empfänger, verschwindet die Emotion, als hätte sie nie existiert. Dieses Prinzip [sehen wir im Bericht der Tora über] Avraham. Er »saß beim Zelteingang in der Hitze des Tages«8 und hielt Ausschau nach Wegwanderern. Er wollte jemanden finden, dem er Güte erweisen konnte, denn ohne Empfänger geht das Potential des Gebers verloren.
Auf ähnliche Weise ist dieses Prinzip bezüglich der spirituellen Welten zu verstehen. [G-ttes emotionale Attribute erfordern gleichermaßen eine Existenz, die sich selbst als getrennt von Ihm begreift.] Und so steht geschrieben:9 »Gedenke Deines Erbarmens ... und Deiner Güte, denn sie haben existiert für alle Zeit.« [Das hebräische Wort MeOlam, übersetzt als »für alle Zeit« kann auch gelesen werden »von der Welt.«] G-ttes Erbarmen und Güte sind mit der Welt verbunden. Wie in der [zweiten] Interpretation des Verses: »Die Welt soll mit Güte gebaut werden« erklärt wird, wurde die Güte der Schöpfung zulieb ins Sein gebracht. Hätte es keine Schöpfung gegeben, wäre das Attribut der Güte nicht erforderlich gewesen. Denn wer würde diese Güte empfangen?
Diese Konzepte erklären die einleitende Aussage des Ez Chajim [über die Reihenfolge bei der Schöpfung]: »Als es in Seinem einfachen Willen aufstieg, gütig zu Seinen Geschöpfen zu sein ...« [Sein Wille wurde angeregt], weil G-tt gut ist und es die Natur des Guten ist, gütig zu sein. Diese Güte wird herabgebracht von der Ebene »Er, der Güte erwünscht«.10 Es reflektiert die Güte, die in G-ttes Willen existiert. [Dieses Potential für Güte existiert nur auf einer Ebene der G-ttlichkeit, die einen Bezug zur Schöpfung der Welten hat.]
G-ttes intellektuelle Attribute hingegen wurden nicht herabgebracht bei der Weltenschöpfung. Freilich finden wir G-ttes Intellekt bei der Schöpfung erwähnt. Unsere Weisen erklärten etwa:11 »G-tt schuf die Welt mit zehn Qualitäten: mit Weisheit, Verständnis, und Wissen.« Ebenso schreibt Sefer Jezira:12 »Die Welt [wurde geschaffen] von drei Sefarim - Sefer, Sofer, und Sippur. Im chassidischen Diskurs mit den Einleitungsworten »Uschavtem«13 erklärt, dass sich Sofer [Schreiber] auf die Stufe der Weisheit bezieht, und Sofer [Buch] auf die Stufe des Verständnisses. So wie ein Schreiber ein Buch schreibt [ist Verständnis ein Produkt der Weisheit.]
[Diese Andeutungen, dass G-ttes intellektuelle Attribute in die Schöpfung gekleidet waren, können damit erklärt werden, dass die intellektuellen Aspekte,] die in die Emotionen [und somit in die Schöpfung] herabkamen, eine [niedrigere], mit den Emotionen verbundene Stufe des Intellektes repräsentieren. Die Essenz des Intellekts hingegen [steht über den Emotionen und über der Schöpfung]. Die Tora geht aus Weisheit, der Essenz von G-ttes Intellekt, hervor. Aus diesem Grund ging die Tora der Welt um 2.000 Jahre voraus.
{[Die Zahl 2.000 ist ebenfalls bedeutungsvoll. Die Wurzel des hebräischen Wortes Alef (Eintausend) ähnelt dem Wort] A’alefcha - »Ich werde dich lehren«. Zweitausend [ist ein Hinweis auf zwei Zugänge zum Lehren, wie es heißt:]14 »Ich werde dich Weisheit lehren, ich wird dich Verständis lehren«.15 [Dies bringt weiter zum Ausdruck, dass] die Tora den Intellekt repräsentiert, wie er der Welt vorangeht, [und die Welt ist verbunden mit] der Ebene der Emotionen.}
Im Licht dieser Erklärung können wir die eingangs zitierte Passage verstehen: Rabbi Elieser erklärte: »Israel sprach zum Heiligen, gepriesen sei Er: ›Herr der Welt, wir wollen uns mühen mit dem Studium der Tora bei Tag und bei Nacht‹«, denn durch das Torastudium bringen wir G-ttes intellektuelle Attribute in Seine emotionalen Attribute herab. Dies ist eine große und wundersame Stufe.
Und weiter:
»... aber wir haben nicht die Möglichkeit.«
Der Heilige, gepriesen sei Er, antwortete: »Erfüllt die Mizwa von Tefillin, und Ich werde es betrachten, als hättet ihr euch mit dem Studium der Tora bei Tag und bei Nacht gemüht.« Dies ist möglich, weil wir durch die Ausführung der Tefillin-Mizwa den H.g.s.E. dazu bringen, Tefillin zu legen, wie oben ausgeführt wird.
[Die Einheit von G-ttes intellektuellen Attributen mit Seinen emotionalen Attributen wird auch in der hier für G-tt verwendeten Bezeichnung angedeutet:] »Der Heilige, gepriesen sei Er« – HaKadosch Baruch Hu – bezieht sich auf den männlichen und weiblichen Aspekt von Azilut. Der männlichen Aspekt – Seïr Anpin, G-ttes emotionale Attribute - werden im Wort Kadosch angedeutet; und der weibliche Aspekt - Malchut, die Kraft der Königsherrschaft - im Wort Baruch16.
Diese Hinweise finden sich auch [in der Erklärung unserer Weisen17, wie Moses während seines Aufenthalts am Berg Sinai in der Lage war, Zeitabschnitte zu unterscheiden]: »Wennn [die Engel] Kadosch sagten, wusste er, dass es Tag war, wenn sie Baruch sagten, wusste er, dass es Nacht war.« [Denn Tag und Nacht beziehen sich auf Seïr Anpin bzw. Malchut.]
G-ttes Anlegen der Tefillin [repräsentiert eine höhere Stufe. Durch Sein Anlegen der Tefillin] bringt Er die Essenz des Intellekts auf die Ebene der Emotion herab.
[Die Verbindung zwischen Tefillin und Intellekt wird durch die Tatsache belegt, dass] ein Kind unter 13 Jahren nicht verpflichtet ist, Tefillin zu legen.18 Er wird nicht als »Mann« bezeichnet und besitzt nur einen kleinen Aspekt des Intellekts. Wenn er 13 Jahre alt wird, wird er zum Mann19 Dann bringt er durch seine Tat des Tefillin-Legens gewissermaßen G-tt dazu, Tefillin zu legen. [Die Verbindung zwischen Tefillin und Intellekt wird weiter durch die Tatsache unterstrichen, dass sie am Kopf angebracht werden.]
Wir sehen also, dass der spirituelle Aspekt der Tefillin das Herabbringen der Essenz des Intellekts ist. Daher repräsentieren Tefillin und das Torastudium dieselbe Stufe. Und so rechnet es uns G-tt an, als hätten wir uns Tag und Nacht mit dem Studium der Tora gemüht, wenn wir die Tefillin-Mizwa erfüllen.
Die Konjunktivform »als hätten« wird gebraucht, denn die beiden [- Tora und Tefillin - sind nicht völlig ident]. Durch das Torastudium werden [G-ttes intellektuelle Attribute tatsächlich] herabgebracht innerhalb der Welt. Durch Tefillin hingegen wird Intellekt nur in den Ursprung der Weltenschöpfung herabgebracht. Nichtsdestotrotz wertet G-tt das Erfüllen der Tefillin gleichwertig mit dem Studium der Tora bei Tag und Nacht. [Tag und Nacht] beziehen sich auf diese niedrige Welt. [Obwohl die beiden also nicht ident sind, veranlasst G-tt, dass unser Erfüllen der Tefillin-Mizwa auf diese Welt genauso wie Torastudium einwirkt.]