Was ist Liebe?
„Liebe“ wird in der Umgangssprache als „Gefühl“ definiert. Daraus resultiert die Behauptung, dass der Mensch in diesem Bereich keinerlei Kontrolle habe. Aber die Tora befielt uns „Liebe deinen Nächsten“, „und du sollst Haschem, deinen G-tt lieben“... Wie kann die Tora etwas von uns verlangen, das nicht in unserer Macht steht?
Der Rambam gibt darauf die Antwort (Hilchot Tschuwa 10; 6): „[Der Mensch] liebt den Aibischten nur in dem Maße, wie er Ihn kennt und dementsprechend wird auch seine Liebe zu Ihm sein: wenn er viel über Ihn weiß – groß, und wenn er wenig über Ihn weiß – dann halt nicht so groß.“
Es ist also, unmöglich Haschem zu lieben, ohne Ihn zu kennen, bzw. ohne zu wissen, was Er von uns eigentlich verlangt, - doch das erfahren wir nur durch das Studium Seiner Tora. Die Tora beinhaltet tatsächlich Anweisungen über den Umgang mit unseren Mitmenschen im allgemeinen und den Umgang mit dem Ehepartner im besonderen.
Rabbiner Grossman aus Tel Aviv berichtete, dass schon viele (noch) nicht-praktizierende Juden zu ihm kamen mit der Behauptung, dass sie Haschem eben auf ihre Art lieben. Er antwortete ihnen mit einem „Gleichnis“:
„Nehmen wir einmal an, meine Frau sei Vegetarierin und ich als großer Fleischliebhaber schenke ihr zum Geburtstag eine riesige Gourmet-Fleischplatte. Hätte meine Frau wohl Freude an diesem „ausgewählten“ Geschenk?“ Warum sollte Haschem dann Freude daran haben, wenn wir „für Ihn“ etwas tun, was Seinen Geboten widerspricht?
Wenn wir in der Umgangsprache sagen „ich liebe Fisch“, dann ist gemeint, dass wir die Fische fangen, töten, fritieren und dann essen, - also unseren eigenen Magen durch den Fisch lieben. Auch wenn wir über einen Menschen sprechen, ist der Hintergedanke leider auch nicht nobler. Die Liebe zu Haschem, von der die Tora spricht, besteht in der Liebe zu den Mitmenschen.
Kann es sein, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau wichtiger ist, als die Tora selbst?
Wie ist es möglich, dass das Hohelied im Heiligen Tanach (Tora, Propheten, Schriften) miteinbezogen wurde? Im Bejt HaMikdasch (Tempel), im Heiligsten aller Heiligen, wo der Kohen Gadol (Hohepriester) nur am Jom Kippur hineingeht, steht die Bundeslade mit den beiden Gebotstafeln, den Scherben der ersten Gebotstafeln und jener Torarolle, die Moses eigenhändig geschrieben hat. Als Bewacher stehen sich auf der Bundeslade zwei goldene Cherubim (Engel), ein männlicher und ein weiblicher, gegenüber, - Mann und Frau stehen über den Gebotstafeln und der Torarolle! So entsteht die Frage: Ist die Beziehung zwischen ihnen wichtiger als die Tora und die Gebote?
Es ist erlaubt, eine Torarolle, die als stolzer Familienbesitz nicht verkauft werden durfte, trotzdem zu verkaufen, um damit einem jungen Paar die Hochzeit zu bezahlen. Überdies hat Haschem geboten, Seinen Namen, der sonst unter keinen Umständen gelöscht werden darf, im Wasser aufzulösen, um Frieden zwischen Mann und Frau zu stiften. In Zeiten des Tempels gab es eine spezielle Zeremonie, um herauszufinden, ob eine Frau zu ihrem Mann zurückkehren darf.
Die beiden Cherubim schauen einander nicht direkt, sondern nur aus halbem Winkel an: Ihr Blick ist halb auf die Tora und halb auf den gegenüberstehenden Partner gerichtet.
Um richtig mit dem Ehepartner umzugehen, sollte die Tora befragt werden. Es ist klar, dass die Eheleute sich um das Beste für den Partner oder die Partnerin bemühen, aber oft hat der oder die Andere auch andere Bedürfnisse, die vom anderen Geschlecht nicht unbedingt erraten werden können.
Der Rambam rät dem Mann, seine Frau wie seinen eigenen Körper zu lieben, aber mehr als seinen Körper zu ehren. Für eine Frau ist z.B. Aussehen, Kleidung von größerer Bedeutung als für einen Mann. Im Verhalten sollte ein Mann sehr feinfühlig sein, und seine Frau z.B. nie wie seinen Kegelbruder ansprechen.
Der Rambam rät der Frau, den Wünschen ihres Mannes entgegenzukommen und seine Persönlichkeit zu ehren. Männer brauchen mehr Lob als Frauen. Warum wäre ein Mann sonst bereit, kostenlos Überstunden am Arbeitsplatz zu leisten?
Geschätzt zu werden ist allgemein das stärkste Bedürfnis des Menschen, und indem wir das Gute in ihm sehen, bauen wir ihn auf. Kritisieren und Nörgeln ist das tödlichste Gift für jede Beziehung zwischen Menschen: Den Anderen zu kritisieren heißt, seine Person zu verneinen, - und das bedeutet, sein Leben zu verneinen. Die natürlichste Reaktion ist meist nicht nur Abwehr, sondern ein Gegenangriff, was die Situation eher verschlimmert.
Dem Partner ein gutes Gefühl zu vermitteln ist genauso wichtig, wie das Anlegen der Tefillin am Werktag oder das Fasten am Jom Kippur. Haben die Partner die Geduld verloren und es klappt nicht, eine harmonische Atmosphäre zu schaffen, versuchen sie es eben noch einmal. Genauso wie beim Toralernen, meistert kein Mensch die Lehre der Tora, es sei denn, er hat zuvor versagt. Es ist nie zu spät, einen neuen Versuch zu wagen.
Rabbiner Eliahu Dessler verkündet jungen Paaren: Solange ihr einander Gutes erweisen wollt, werdet ihr glücklich sein. Wenn ihr aber anfangt, Euch gegenseitig Forderungen zu stellen, ist das Glück vorbei. Sobald einer der Partner denkt, dass der andere ihm etwas schuldet, verschwindet nicht nur seine eigene Lebensfreude, sondern auch die des anderen.
Die Kunst zu geben
Der Aibischter wird „heilig“ genannt, denn Er ist vollkommen spirituell (geistig), d.h. Er hat keinerlei Bedürfnisse und will nur geben. Der Mensch besteht aus zwei entgegen gesetzten Mächte: eine G-ttliche Seele mit dem Drang zu geben und eine animalische (tierische) Seele mit dem Drang zu nehmen. Das einzige, was der Mensch als Gegenwert für sein Geben erwarten kann, ist die Glückseeligkeit zu wissen, dass er fähig ist, zu geben. Sie stammt vom G-ttlichen Bilde welches „in uns weilt“, und diese noble Eigenschaft nennt die Tora „Liebe“. Die größte Tat des Gebens vollziehen wir gerade dann, wenn es uns schwer fällt, weil wir dann nicht von dem geben, was wir im Überfluss besitzen, sondern von dem, was wirklich ein Teil von uns ist. Warum liebt der Mensch am meisten seine Kinder? Ganz einfach, weil er sich für sie aufopfert.
Die Ehe ist kein „Rahmen für die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse“, sondern sie ist ein Gebot der Tora. Sie ist der einzige Weg, den Menschen vom Status „nicht gut“ (Genesis 2:18) zum Status „gut“ zu bringen. Warum soll ein Junggeselle „nicht gut“ sein? Weil er nicht wirklich verpflichtet ist, zu geben. Die Ehe ist vor allem ein Rahmen, um das Wahre Geben zu lernen und dadurch das G-ttliche Bild in uns zum Ausdruck zu bringen. Eine Beziehung, die auf physischer Anziehung basiert, gleicht eher einem Geschäft: „Ich liefere dir, was du brauchst unter der Bedingung, dass du mir lieferst, was ich brauche.“ Sobald sich ein besserer Lieferant findet, platzt das Geschäft. Weil die physische Welt es so wollte, dass „neu“ immer die Oberhand über „alt“ hat, findet sich in kurzer Zeit immer ein neuer Lieferant.
Die Kunst zu genießen
Es scheint, als ob die Gesetze der Tora unsere „Vergnügungsmöglichkeiten“ einschränken. Die Wahrheit ist aber, dass sie dem Menschen Anleitungen gibt, wie er das Leben wirklich genießen kann. Unsere Fähigkeit zu genießen ist begrenzt: Selbst der größte Apfelkuchenliebhaber könnte keinen Apfelkuchen mehr sehen, müsste er ihn jeden Tag essen. Die Lösung der westlichen Welt besteht dann entweder in der Erhöhung der Dosis oder dem Ausprobieren von etwas Neuem.
Beide Lösungen sind in der Ehe nicht anwendbar. Doch es kommt noch ein anderes Problem hinzu: Sobald wir auf einen gröberen Anreiz reagieren, verlieren wir die Sensibilität für feinere Stimuli. Der Anblick sehr junger Mannequins in sehr geringer Badebekleidung könnte den Ehemann die mütterliche Hingabe seiner Frau plötzlich weniger schätzen lernen, - und ohne eigentlichen Grund ist dieser Mann plötzlich frustriert. Doch auch den Frauen werden Fantasiehelden angeboten, mit denen der Ehemann niemals konkurrieren könnte.
Wenn im Film ein Mensch erschossen wird, sehen wir dann Blut oder Ketchup? Wir wissen, dass es Ketchup ist und fragen uns, warum soll dann das „ich liebe dich“ echt sein?
Der Mensch gelangt zu wahrem Genuss, den er durch das Befolgen der Anweisungen der Tora erreicht, in genau dem Maße, wie der Mensch den „groben“ Genuss, den er wider allen Regeln der Tora gestohlen hat, zu verdrängen vermag.
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