Die Tora beschreibt in der dieswöchigen Sidra Chaje Sara die Reise, die Abrahams Diener Elieser unternahm, um für Isaak eine Frau zu finden. Dabei wird betont, dass dieser (Genesis 24, 10) "alle Besitztümer seines Herrn in seiner Hand" hatte, wozu Raschi noch weiter ausführt: "Abraham stellte an Isaak eine Übereignungsurkunde aus, die seinen gesamten Besitz in sich einschloss, damit sie leichter geneigt seien, ihm ihre Tochter zu schicken." Weiter unten wird dies von Elieser selbst, in seiner eigenen Rede, ebenfalls unterstrichen (Genesis 24, 36): "Sara gebar meinem Herrn einen Sohn, und diesem hat er alles übereignet, das er besitzt."
Ohne Zweifel opferte Abraham damit alles, das er hatte; er machte sich, schon im vorgerückten Alter, geradezu arm, nur um sicher zu gehen, dass sein Sohn eine gute "Partie" machte.
Dazu ist zu bemerken, dass hohe Ausgaben oft mit jüdischen Hochzeitsfeiern verbunden sind, auch in heutiger Zeit; zudem ist es in verschiedenen Kreisen üblich, sich auf eine Mitgift festzulegen. Es ist jedoch sehr selten, dass ein Vater so weit gehen würde, dass er seinem Sohne, als Mitgift, all das schenken würde, das er sein eigen nennt!
Was die ganze Angelegenheit noch seltsamer erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass Isaak zu jenem Zeitpunkte, als all dies sich zutrug, kein Kind mehr war. Raschis Berechnungen zufolge (zu Genesis 25, 20) war er schon mehr als 37 Jahre alt, als Elieser sich auf die Reise machte. Er würde ganz gewiss seinen Mann stellen können, um sich zu ernähren. Auch was Isaaks Geisteshaltung betraf, hatte Abraham keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Dies war der "Junge", der bereitwillig seinen Vater zum Berge Moria begleitet hatte, zur "Bindung Isaaks" nach dem Willen G-ttes. Der Vater hatte seinen Sohn gut erzogen und ihm einen Geist von Hingabe und Selbstaufopferung eingeflösst.
Höchstwahrscheinlich wäre es daher Isaak nicht schwer gefallen, eine passende Frau zu finden, auch ohne schwere finanzielle Bedingungen einzugehen. Die Frage drängt sich daher auf: Weshalb ging Abraham so weit, dass er seien ganzen Reichtum aufgab, nur um eine "Partie" zu finden, die vermutlich auch ohnedies akzeptabel gewesen wäre?
Wie schon oft betont, ist die Tora kein gewöhnliches "Geschichtenbuch". Jede Einzelheit, jede Schilderung' ist vielmehr bedeutungsvoll und enthält eine Lehre für uns.
Im vorliegenden Falle nun besteht diese Lehre geradezu aus einem Schulbeispiel und zwar darin, dass Abraham für uns ein Vorbild ist, was Verantwortung für die Kinder betrifft und was diese Verantwortung wirklich bedeutet. Nämlich: Man sollte unter Umständen bereit sein, sein Alles herzugeben, wenn man dadurch die Zukunft der Kinder in jeder Hinsicht gewährleisten kann.
Denn Eltern und Kinder leben nicht in zwei getrennten Welten. Im Gegenteil, die ältere und die jüngere Generation sind so eng miteinander verknüpft, dass ein Vater sich die größte Mühe geben muss, um die Zukunft für seinen Sohn zu erschließen und seinen Sohn für die Zukunft zu ertüchtigen.
Wie steht es aber um einen Sohn, der bereits alt genug ist, um seine eigenen Entschlüsse zu fassen? Kann und darf dann ein Vater sich noch in das Leben seines Sohnes einmischen? Hatte er nicht schon längst genug getan, als der Sohn noch ein Kind war? Ist es nicht ausreichend, wenn man im Entwicklungsalter Einfluss nimmt, und sollte man ihn später nicht seine eigenen Entschlüsse fassen lassen? Wo genau ist die Grenze für die Selbstaufopferung, die von den Eltern zu erwarten wäre? Hat das Kind kein Recht auf eigene Freiheit, auf die Entfaltung seiner Willensfreiheit?
Auf all dies Fragen gibt Abrahams Haltung und Tat die Antwort. Letzten Endes hört die Verantwortung eines Vaters für seinen Sohn niemals auf und Selbstaufopferung kennt keine Begrenzungen. Die Generationen sind vielmehr auf alle Zeit miteinander verbunden.
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