(Aus einem Brief des Lubavitcher Rebben an einem prominenten religiösen Wissenschaftler.)

In den letzteren Jahren haben sich innerhalb der jüdischen Jugend zwei verschiedene Tendenzen herauskristallisiert, die entgegengesetzte Richtungen einschlagen. Auf der einen Seite hat sich ein gesteigertes Verlangen nach der Wahrheit gezeigt, der tiefe Wunsch, sich inniger mit unserem Volke und unseren Ewigkeitswerten zu identifizieren. Auf der anderen Seite hat die Anziehungskraft von Assimilation, Mischehe usw. ebenfalls an Stärke gewonnen. Mit der Ausnahme von wenigen Hochschulen und Universitäten in ein paar grösseren Städten ist die Situation an den Universitäten, was Kaschrut, Schabbatobservanz usw. betrifft, höchst beklagenswert, von der weit verbreiteten Verwirrung und dem Missverständnis hinsichtlich der elementarsten Grundsätze unseres Glaubens schon gar nicht zu reden.

Wenn die erste der genannten Tendenzen innerhalb unserer Jugend nur gefördert und richtig genützt würde, gerade zu dem jetzigen günstigen Zeitpunkt, so bestünde eine sehr gute Chance, dass diese Strömung an Triebkraft gewinnen, sich verbreiten und im Laufe der Zeit sich auch vertiefen kann. Wie unsere Weisen sagen: Wer eine Menschenseele rettet, der rettet eine ganze Welt. Um wieviel grösser wäre die Leistung, wenn man so viele jüdische Seelen retten würde.

Es braucht wohl nicht erst betont zu werden, dass ein fundamentaler Grundsatz jüdischer Lebensführung dieser ist (Sprüche Salomons 3, 6): "Erkenne Ihn in all deinen Wegen". Dieses Prinzip ist auch im Talmud wiederholt aufgestellt worden, dann in früheren und späteren Responsen, bis es schliesslich in unserem Gesetzeskodex, dem Schulchan Aruch (Orach Chajim, Kap. 231), als eine halachische Entscheidung formuliert worden ist. Dort wird dazu bemerkt, dass es die Aufgabe jedes Juden ist, die Anerkennung G'ttes selbst in den einfachsten Dingen des täglichen Lebens auszudrücken, wie Essen, Trinken und dgl. Mit wieviel grösserer Wichtigkeit erstreckt sich dies auf die mehr komplizierten Aspekte des Lebens, besonders dort, wo jemand spezielle Fähigkeiten, Wissen oder andere Vorzüge besitzt und dadurch einen wirkungsvolleren Einfluss ausüben kann. All dies sind von der G-ttlichen Vorsehung geschenkte Gaben, die der Jude verpflichtet ist, dem Dienste G-ttes zu widmen, und so soll er G-ttlichkeit verbreiten durch Tora und Mizwot bis zu den Grenzen seiner Kräfte, dem Gebote gemäss (Lev. 19, 18): "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" - dem Hauptprinzip der Tora. Und nachdem, wie die Tora weiter besagt, alles in der Welt geordnet und gemessen und nichts überflüssig ist, sind die Pflichten und die Verdienste jedes Juden direkt proportional zu seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Sie, als ein führender Wissenschaftler, können Ihr ganzes bedeutendes Prestige zu einer entschlossenen Förderung von Tora und Mizwot einsetzen.

Ich möchte mit einem Ausspruch des Baal Schem Tov schliessen, so wie ich ihn häufig von meinem Schwiegervater, dem früheren Lubawitscher Rebben sel. A., gehört habe: "G-tt schickt hinunter auf die Welt eine Seele, die ein wirklicher Teil von G-ttlichkeit ist, um in Körperlichkeit 70 oder 80 Jahre auf dieser Erde zu verbringen, mit dem Ziele, einem anderen Juden eine Gunst zu erweisen, sei es materiell oder spirituell" (Hajom Jom, 5. Ijar). Wenn so schon eine einzige Gunsterweisung ein ganzes Erdenleben rechtfertigt, wie gross ist dann erst der Verdienst, wenn man sich dauernd bemüht, einem Juden (oder vielen) im täglichen Leben dazu zu verhelfen, den wahren Weg zu finden, den Pfad von Tora und Mizwot.

Mögen Ihre Worte, die vom Herzen kommen, mit G-ttes Hilfe in die vielen Herzen eindringen, die bereit und in der Tat begierig sind, sich dafür zu öffnen, und mögen diese und all Ihre anderen Bemühungen mit Erfolg gekrönt sein.

Zusammenfassende Übersicht:

Es gibt, ganz allgemein, zwei Tendenzen innerhalb der modernen jüdischen Jugend, spezifisch der studierenden. Die positive Tendenz, zur Annäherung an und schliesslichen Identifizierung mit dem Judentum, muss mit allen Kräften unterstützt und gefördert werden.