Eines der grössten Paradoxe in einem gläubigen Leben betrifft die Notwendigkeit, für einen Lebensunterhalt zu arbeiten. Wenn G-tt die Quelle alles Segens ist, wozu müht man sich ab um ein Einkommen zu verdienen? Und wenn wir arbeiten, wie können wir dann den Gedanken vermeiden, dass es einzig unsere Arbeit ist, die materielle Ergebnisse liefert? Wir scheinen zerrissen zu sein zwischen absoluter Passivität und dem Leugnen von G-ttes Wirken in der Welt.

Also begibt sich ein gläubiger Mensch auf einen Weg, den man „passive Arbeit“ nennen kann. Am Beginn des Wochenabschnitts „Wajakhel“, fordert Moses das Volk Israel auf:

Sechs Tage soll Werk getan werden, doch am siebenten Tag soll dir ein heiliger Tag sein, ein Schabbat der Schabbate für G-tt...

Es heisst hier nicht „Sechs Tage sollst du arbeiten“, sondern „Sechs Tage soll Arbeit getan werden“. Die passive Form lässt anklingen, dass sogar während der sechs Werktage der Woche, wenn es Juden erlaubt ist und sie verpflichtet sind zu arbeiten, sie zwar beschäftigt aber nicht überbeschäftigt sein sollen mit materiellem Streben.

Die chassidische Lehre interpretiert den Vers aus Psalm 128.2 „Wenn du die Mühen deiner Hände isst, wirst du glücklich sein und es wird dir gut gehen“ wie folgt: Was König David hier andeutet – erklären die chassidischen Meister – meint, dass die Arbeit, die ein Mensch zur Deckung seiner materiellen Bedürfnisse (um zu „essen“) leistet, nur von den „Händen“ sein soll – also eine Aktivität des äusseren Menschen, keine innerliche Beteiligung. Die „Hände“ und „Füsse“ sollen den materiellen Bestrebungen dienen, während die Gedanken und Gefühle verknüpft mit G-ttlichen Dingen verknüpft sind. Das ist das gleiche Konzept wie in dem Vers „Sechs Tage soll Werk getan werden“. Man „tut“ die Arbeit nicht, sie wird „getan“, wie von selbst. Das Herz und der Geist sind woanders, und nur die praktischen Fähigkeiten sind in der Arbeit.

„Und G-tt wird dich segnen in allem, was du tust“.Ein Jude arbeitet nicht um „einen Lebensunterhalt zu verdienen“, sondern um ein k’li (Gefäss) zu formen, mit dem er G-ttes Segen erhalten kann. Das ist es, was die Tora meint, wenn sie sagt: „Und G-tt wird dich segnen in allem, was du tust“. Der Mensch wird nicht durch eigene Anstrengung ernährt, sondern durch G-ttes Segen; es ist nur so, dass G-tt wünscht, Seinen Segen in und durch „alles was du tust“ zu realisieren. Das Werk des Menschen stellt bloss einen materiellen Kanal für den G-ttlichen Segen der Ernährung her, und der Mensch muss sich zu allen Zeiten bewusst sein, dass es sich um nichts mehr als einen Kanal handelt. Obwohl seine Hände diesen Kanal vorbereiten, müssen sein Geist und Herz auf die Quelle des Segens konzentriert bleiben.

Die chassidischen Meister gehen noch einen Schritt weiter. Sie sagen, eigentlich sollte es dem Menschen ja gar nicht erlaubt sein, zu arbeiten. Denn von G-tt ist gesagt: „Ich fülle die Himmel und die Erde“ und „Die ganze Erde ist voll Seiner Pracht“. Die angemessene Antwort auf die allgegenwärtige Natur G-ttes wäre es, in absoluter Passivität zu verweilen. Andernfalls wäre man dessen schuldig, was der Talmud „Gesten vor dem König machen“ nennt. Wenn eine Person, die vor dem König steht, irgend etwas Anderes täte, als ihre Aufmerksamkeit dem König zu widmen, würde sie wohl ihr Leben verwirken. Da die Tora aber selbst erlaubt, ja sogar befiehlt: „Sechs Tage soll Werk getan werden“ und „Hashem, dein G-tt wird dich segnen in allem, was du tust“, verstehen wir, dass Arbeit erlaubt und erwünscht wird. Doch über das von der Tora sanktionierte Niveau hinauszugehen – über die „passive Arbeit“ des Herstellens eines „Gefässes“ – das wäre erstens das Zeigen von mangelndem Glauben daran, dass menschliche Ernährung von G-tt kommt, und zweitens wäre es eine Form von „Gesten vor dem König machen“ – ein Akt der Rebellion vor dem Angesicht G-ttes.

Der doppelte Schabbat

Das erklärt den Ausdruck Schabbat Schabbaton - „Schabbat der Schabbate“, den Moses in obigem Vers verwendete. Schabbat ist kein Ruhetag, der sechs Tagen aktiver Arbeit folgt. Vielmehr ist er ein „Schabbat von Schabbaten“, ein Schabbat, welcher auf sechs Tage folgt, die selbst eine Art von „Schabbat“ sind – Tage von passiver Arbeit, in der nur das äusseres Selbst, in die Arbeit einbezogen wird und der wahre Fokus der Aufmerksamkeit auf eine höhere Ebene gerichtet wird.

„Am Schabbat soll man sich so betrachten, als wären alle seine Werke beendet.“Tatsächlich kann ein wahrer Ruhetag nur einer sein, der solch einer Woche folgt. In Bezug auf den Vers „Sechs Tage sollst du arbeiten, und all dein Werk tun“, sagen die Gelehrten: „Am Schabbat soll man sich so betrachten, als wären alle seine Werke beendet.“ Das ist wahre Ruhe, eine Ruhe in welcher man gänzlich frei von allen werktäglichen Sorgen ist. War man jedoch während der sechs Tage unablässlich mit materiellen Dingen beschäftigt, wird man auch am siebenten Tag von Sorgen überschwemmt werden; auch wenn der Körper die Arbeit unterbricht, wird der Geist nicht ruhen. Gibt man aber andererseits der Arbeit unter der Woche ihren angemessenen Platz, wird das Licht des Schabbats den Menschen erhellen, und es wird ein Schabbat Schabbaton – ein zweifacher Schabbat. Denn Schabbat wird dann seine gesamte Woche durchdringen, und wenn der Tag selbst kommt, wird er doppelte Heiligkeit haben.

Der Tag nach Jom Kippur

Dies erklärt auch den Zusammenhang, in welchem Moses die obigen Verse an die Gemeinschaft Israels richtet.

Unsere Gelehrten erklären, wie der Bau des Mischkan (des Heiligtums) eine Wiedergutmachung für die Sünde vom goldenen Kalb war. In der Erscheinung ähnlich (sowohl das Kalb als auch der Mischkan waren eine „Heiligung“ physischer Materie, insbesondere von Gold), war der Mischkan in Wahrheit das genaue Gegenteil des Kalbes: Das Kalb war eine Vergötterung des Materiellen, während der Mischkan eine Unterordnung des Materiellen darstellte, um dem G-ttlichen zu dienen. So übermittelte Moses am Tag nach dem ersten Jom Kippur, unmittelbar im Anschluss an G-ttes Vergebung der Sünde Israels, die Anweisungen G-ttes an das Volk, Ihm einen „Wohnsitz“ in ihrer Mitte zu errichten; an genau jenem Tag spendeten die Leute ihr Gold, Silber und Kupfer für die Errichtung des Mischkan.

Zuvor jedoch versammelte Moses das Volk Israel und befahl ihm in G-ttes Namen: „Sechs Tage soll Werk getan werden; doch am siebenten Tag soll dir ein heiliger Tag sein, ein Schabbat der Schabbate für G-tt...“. Daraus folgt, dass dieses Gebot, so wie der Mischkan, eine Widerlegung und eine Sühne für das Vergehen des Götzendienstes ist.

Maimonides führt den Beginn des Götzendienstes darauf zurück, dass G-ttliche Vorsehung durch natürliche Kräfte und Objekte kanalisiert wird. Die ursprünglichen Götzendiener erkannten, dass Sonne, Mond und Sterne ihre Kraft, die Erde zu nähren, von G-tt erhielten, also gaben sie ihnen göttliche Bedeutung. Ihr Irrtum lag darin, sie als Objekt der Anbetung zu betrachten, obwohl sie nicht mehr sind als Instrumente G-ttes, wie „eine Axt in den Händen des Fällenden“.

In gewissem Sinn ist das exzessive Absorbiertsein mit Geschäft und der materiellen Welt auch eine Form des Götzendienstes. Denn auch sie beinhaltet den Irrtum, einer Sache, die nicht mehr als ein Gefäss oder Kanal für G-ttlichen Segen ist, Signifikanz zuzuweisen. Die Überbeschäftigung des Materialisten mit materiellen Dingen ist eine Form der Verbeugung, eine falsch plazierte Anbetung. Nur wenn eine Person ihre werktägliche Anstrengung als das sieht, was sie tatsächlich ist – ein Weg, einen natürlichen Kanal für G-ttes Segen zu schaffen – wird ihr Werk die passive Form annehmen, und der Fokus ihrer Gedanken wird einzig auf G-tt hingerichtet sein.

So wird Götzendienst – sei es in der offenen oder in der subtileren Form – gesühnt. Sechs Tage passiver Arbeit im Sinne einer geistigen Distanziertheit und die Einsicht, dass menschliches Werk nur ein Instrument G-ttes ist, inspiriert von und kulminierend in einem „Schabbat der Schabbate“, der ausschliesslich auf die Quelle unseres Segens hin konzentriert ist, sind das Korrektiv und die Zurückweisung der Instinkte, die zu Götzendienst führen.