Der Raum, in dem wir leben hat drei Dimensionen. Also stehen uns sechs Richtungen zur Verfügung – links, rechts, unten, oben, vorwärts und rückwärts –, wenn wir beschließen, irgendwo hinzugehen. Und wohin wollen wir am liebsten gehen? Es wird oft behauptet, die Sprache und vor allem ihre Redensarten enthüllten besonders viel von unserem Wesen. Wenn das stimmt, strebt unser Herz eindeutig nach oben. Wir besteigen eine Karriereleiter, haben eine hohe Meinung von manchen Menschen (während wir auf andere herabsehen), schwelgen in Hochgefühlen, verfolgen hohe Ziele und betrachten den Himmel als Symbol all dessen, was im Leben gut und edel ist. Gewiss, wir suchen auch den rechten Weg, wollen vorwärtskommen und vertiefen uns in Probleme; aber die meisten Redensarten weisen nach oben.
Haben Sie schon einmal Kinder beobachtet, die sich darüber streiten, wer größer ist? Sie vergleichen nicht ihre Breite, nicht die Länge ihrer Beine und auch nicht ihr Alter, sondern ihre Größe. Größe und Höhe sind uns eben wichtiger. Darum sagte König Salomon: „Der Geist des Menschen strebt nach oben“, und darum nennen die Kabbalisten die Seele eine Lampe G-ttes, denn von den vier Elementen (Erde, Feuer, Wasser, Luft) greift nur das Feuer nach oben.
Was bedeutet es, nach oben zu streben? Die chassidischen Meister erklären, dass es zwei Arten von Wachstum und zwei Arten von Fortschritt gibt. Einmal gibt es Wachstum in unserem derzeitigen Leben. Wir alle haben eine bestimmte Natur, bestimmte Interessen, Talente und Potenziale. Innerhalb dieses Rahmens können wir uns „ausdehnen“, immer neue Ziele erreichen und immer erfolgreicher werden. Das alles geschieht jedoch auf einer bestimmten Ebene der Realität: auf der Oberfläche dessen, wer und was wir sind.
Nach oben streben heißt, die zwei Dimensionen dieser Ebene nicht akzeptieren, sondern durch die Decke unseres Lebens brechen und ein neuer Mensch werden. So können wir werden, was wir nie waren und was wir gemäß unserem Potenzial scheinbar gar nicht werden konnten. Diese Fähigkeit besitzt nur der Mensch. Kein anderes Wesen verspürt den Wunsch, etwas Neues zu werden. Ein Stein will ein Stein sein, ein Elefant will ein Elefant sein, und ein Engel will ein Engel sein. Nur der menschliche Geist strebt nach oben. Und darum, sagt der Lubawitscher Rebbe, benutzt die Tora einen sehr ungewöhnlichen Ausdruck, wenn sie berichtet, wie Aharon angewiesen wird, die Menora im Heiligen Tempel anzuzünden: Behaalotcha et haneirot („Wenn du die Lampen hochhebst“). Die Lampen der Menora symbolisieren die „Lampen G-ttes“, also die Seelen der Menschen, die Aharon als Kohen Gadol (Hoherpriester) inspirieren sollte. Es geht also nicht nur darum, die Lampen anzuzünden – sie müssen „erhöht“ werden. Aharons Aufgabe besteht also darin, das Potenzial der Menschen so zu erhöhen, dass „eine Flamme von selbst aufsteigt“ und das Dach der Welt, ja sogar den Himmel anhebt.
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