Zinsen zu verlangen scheint etwas Selbstverständliches zu sein, doch die Haltung des Judentums dazu ist revolutionär. In unserem Wochenabschnitt warnt die Thora vor dem Geldverleih gegen Zinsen. Wir sollen unserem Nächsten in seiner Not eine Geldleihe gestatten ohne davon selbst zu profitieren. Am Ende dieses Verbots heißt es: Ich bin der G-tt, euer G-tt, Der euch aus Ägypten geführt hat um euer G-tt zu sein. Darauf erklären unsere Weisen: „Jeder, der das Joch der Zinsen (jenes Verbot) auf sich nimmt – trägt das „g-ttliche Joch“ (die Erfüllung der Mitzwot); jeder, der das Joch der Zinsen abwirft, wirft das „g-ttliche Joch“ von sich.“1
An uns liegt es diesen Zusammenhang zu verstehen: Warum symbolisiert ausgerechnet das Verbot der Zinsnahme die Bereitschaft das „g-ttliche Joch“ aufzunehmen? Was ist die Besonderheit dieses Verbots, dass gerade von ihm die eigentliche Bindung (die Thora und ihre Gebote) zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer abhängt?
Geld ohne Arbeit?
Was bedeutet eigentlich „Verzinsung“? – Die Forderung oder Annahme von Geldzinsen ist ein Profit ohne Gegenleistung, ohne eigene Arbeit; d.h. das Profitieren von dem Umstand, dass das Geld einst dem Geldverleiher gehörte (denn nun ist es voll und ganz im Besitz des Schuldners. Dieser verpflichtet sich nur Geld in derselben Summe zurückzuerstatten). Wer sein Geld mit Zinsen verleiht, profitiert also von Geld, welches ihm nicht gehört, allein der Tatsache wegen, dass es einst ihm gehörte.
Dies erklärt den Zusammenhang zwischen dem Verbot der Zinsnahme und dem Grundsatz im Dienste G-ttes – der Aufnahme des „g-ttlichen Joches“. G-tt erschuf die Welt auf solche Weise, dass aller Verdienst und Segen – im Materiellen sowie im Spirituellen – nur durch eine Gegenleistung (Arbeit) erhalten werden können. Die Gebote sind Ausdruck für diese Regel, denn nur durch „Arbeit“ (die Erfüllung der Mitzwot) kann der Mensch sich spirituell steigern.
„Brot der Schande“
Warum aber legte G-tt diesen Grundsatz fest? Warum bestimmte nicht G-tt, Der doch vollkommen gütig ist, dass die Bedürfnisse aller erfüllt werden, ohne dass sie dafür irgendeine Arbeit verrichten müssen?
Eben weil G-tt absolut gut ist und immer nur das wirklich Beste für den Menschen will, legte Er fest, dass jede Sache nur durch Arbeit erreicht werden kann! Denn nur etwas, dass der Mensch durch Arbeit und Fleiß erreicht, ist auch wirklich das wahre Gute!
Dinge, die man umsonst bekommt, werden als „Brot der Schande“ bezeichnet. „Bezahlung“ ohne Gegenleistung bringt keine Zufriedenheit und hinterlässt ein Gefühl einer unguten Leere. Aber wenn der Mensch arbeitet – sich bemüht und anstrengt – und danach dafür seinen „Lohn“ bekommt, ist er mit sich zufrieden, seine Freude ist vollkommen und er fühlt, dass er es wirklich verdient hat. Das ist das wahre Gute. Deshalb dienen wir G-tt durch Mitzwot, damit der g-ttliche Segen als „Lohn für etwas“ angenommen werden kann und nicht das „Brot der Schande“ sei, sondern wahres Gutes. (Und wenn das Erfüllen der Mitzwot manchmal schwierig ist, verdeutlicht das nur umso mehr, welch wahres Gute dahinter steckt.)
Der Zins als Symbol
Die Mitzwa, die diesen Grundsatz am meisten verkörpert, ist das Verbot der Zinsnahme. Derjenige, welcher die Verzinsung seines Geldes meidet, drückt damit den Willen G-ttes aus, dass jede Sache nur durch Arbeit erreicht werden soll. Doch jemand, der durch Zinsen profitiert, widersetzt sich diesem Grundsatz und stellt den allgemeinen Dienst des Menschen an G-tt in Frage. Deshalb trägt jener, der dieses Gebot erfüllt, das „g-ttliche Joch“, aber der, welcher vom Geld anderer profitiert, gefährdet seine Bindung mit G-tt, denn er wirft das „g-ttliche Joch“ von sich!
(Likutej Sichot, Band 3, Seite 270)
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