Wir können dasitzen und sie stundenlang betrachten.

Sie ist hell, sie ist warm, sie ist romantisch; doch vor allem ist sie spirituell. Ein gelbes Tröpfchen Licht, mit roter Borte, strahlend weiss an den Enden, und blau im Kern, als wäre sie verschmutzt von ihrem Kontakt mit dem materiellen Docht. Doch bevor wir sie zählten, sahen wir all diese Farben nicht – die Flamme selbst ist ein perfektes, einheitliches Ganzes, Ruhe und Frieden ausstrahlend.

Wie kann es sein, dass etwas so Bewegtes wie die Flamme einen solchen Frieden ausstrahlen kann? Die Flamme ist doch ein Zusammenprall von Kräften, die in unterschiedliche Richtung ziehen. Schau genau hin und du siehst, wie sie aufwärts strebt, sich vom Docht weg bewegen will, der sie an die Kerze oder Lampe bindet, und sich in den weiten Energiemengen, die die Himmel erfüllen, verlieren möchte! Doch schau noch einmal und sieh, wie sie an dem Stück geflochtener Baumwolle haftet, das in ihr Herz stösst, und sie mit dem Brennstoff versorgt, der ihr Licht und Leben erhält. Vor und zurück, auf und nieder strebt sie, schwankend zwischen Sein und Nichts, zwischen Gegenwärtigkeit und Vergessen.


„Die Seele des Menschen ist eine Kerze G-ttes“ (Mischlej 20.27). Denn auch die Seele des Menschen ist ein Zusammenstossen verschiedener Kräfte und entgegengesetzter Bestrebungen.

Wir sehnen uns danach uns, von unserem „Docht“ loszureisen – vom Körper, der uns an die physische Realität kettet, und uns mit physischen Bedürfnissen und Wünschen hinunterzieht. Wir streben nach oben, wollen das Physische, das Menschliche und das Kleinliche transzendieren, und uns mit dem Universellen und dem G-ttlichen verbinden. Gleichzeitig haften wir am Körper, an dem bisschen Materie, das uns als dynamische und produktive Teilnehmer in G-ttes Welt erhält.

Es ist dieses ständige Wechselspiel von „auf und ab“, dieses stete Schwanken von Selbstverbundenheit zu Selbstlosigkeit und wieder zurück, das wir Leben nennen. Es ist diese ewige Spannung zwischen unserem Wunsch, dem Physischen zu entkommen und unserer Verpflichtung, es zu bewohnen, zu entwickeln und zu heiligen, die uns zu beseelten Wesen macht.

Wir können dasitzen und die Flamme stundenlang betrachten, denn es ist uns selbst, dass wir betrachten.