Mit der heutigen Toravorlesung beginnen wir das fünfte Buch Moses, Deuteronomium, oder Dwarim auf Hebräisch. Dieses Buch Dwarim wird auch "Mischne Tora" genannt, das heisst: Wiederholung (Nochmals-Lernen oder Zusammenfassung) der Tora. Moses begann mit dem Vortrag dieses Buches am ersten Tage des jüdischen Monats Schwat.
Dieser für die Wiederholung der Tora gewählte Zeitpunkt war für das jüdische Volk besonders bedeutungsvoll, weil sie alle hierdurch für ihren Einzug in das Gelobte Land vorbereitet wurden. Während der Jahre ihrer Wüstenwanderungen waren ihnen all ihre Bedürfnisse, Speise, Wasser, Kleidung und Unterkunft, durch Wunder gesichert. Das köstliche Manna kam täglich herunter, Miriams Quelle versorgte sie ständig mit Wasser, während die Wolken der Herrlichkeit sie gegen alle Gefahren schützten, die Gebirgspfade ebneten und ihre Kleidung bewahrten (siehe die "Betrachtungen" zur Sidra Chukat vor einigen Wochen).
Nunmehr waren die Israeliten dabei, dieser Wüste, in der sie jahrelang keine materiellen Nöte erlitten hatten, den Rücken zuzukehren und sich in einem Lande niederzulassen und einen Lebensweg einzuschlagen, die sie zwangen, selbst den Boden zu bearbeiten und all die anderen weltlichen Pflichten auszuüben. Jetzt war in der Tat der richtige Augenblick, ihnen die Tora nochmals vorzulegen; denn sie brauchten jetzt zusätzliche geistige Kräftigung und Eingebung, damit sie nicht in den auf sie zukommenden neuen Verhältnissen einer rein materialistischen Weltanschauung und folglich einer Niveau-Erniedrigung verfallen würden. Lag doch, im Gegenteil, der ganze Zweck ihrer Niederlassung im Heiligen Land darin, sie auf einen höheren Stand von Heiligkeit zu bringen und auch die völlig materiellen Dinge des täglichen Lebens zu vergeistigen - somit also alles Materielle in etwas Geistiges zu verwandeln, durch Tora, G-ttesdienst, Einhaltung der G-ttlichen Vorschriften, Wohltätigkeit und andere menschliche Liebesdienste.
Dieser G-ttliche Zweck, wie er sich beim Einzug in das Heilige Land manifestierte - nämlich das ganze praktische Leben zu vergeistigen -, ist gleich dem Ziel, das jeder einzelne Jude zu jeder Zeit in all seinen weltlichen Betätigungen verfolgen muss. Wie es der "Alte Rebbe", der Begründer des Chabad-Lubawistch-Chassidismus, ausgedrückt hat: "Die materiellen Belange der Juden sind spirituelle; G-tt gibt uns materielle Dinge, damit wir sie vergeistigen. "G-tt gewährt dem Juden seine Parnassa, das ist: Lebensunterhalt, und er seinerseits nutzt sein Geld für Mizwa-Zwecke allgemein und für die Förderung von Torastudium im besonderen, weil doch das Lernen der Tora allen anderen Mizwot zusammen gleichwertig ist. Auf diese Weise wandeln wir durchaus das Materielle (Geld und anderen weltlichen Besitz) in etwas Spirituelles um.
Diese Umformung kann auch auf noch andere Weise erfolgen, zum Beispiel dadurch, dass man seine Geschäftsgepflogenheiten und überhaupt sein ganzes Berufsleben auf Ehrlichkeit und richtigem Verhalten aufbaut, wie dies von der Tora gefordert ist, und so ein Beispiel für andere setzt. Gewisse Leute meinen, der Hauptzweck von Tora-Erziehung liege darin, Rabbiner, Schochtim und dergleichen Beamte auszubilden. Das ist keineswegs so; der wesentliche und hauptsächliche Zweck religiöser Erziehung und Belehrung ist, Laien auszubilden, die, schon bevor sie in das Geschäfts- oder Berufsleben eintreten, von den Tora-Werten und von G-ttesfurcht erfüllt sind. Solche Laien, Glieder innerhalb unserer Gesellschaft, tragen dazu bei, ihr gesamtes Milieu auf ein höheres Niveau zu bringen, indem sie jedem Juden, mit dem sie zu tun haben oder in Berührung kommen, Liebe zu G-tt, Liebe zur Tora, Liebe zum Nebenmenschen eingeben - überall in der täglichen Praxis.
In allen Bereichen von Heiligkeit und Heiligung muss man stetig ansteigen; man muss sich bemühen, immer mehr Geistigkeit aus materiellen Dingen herauszuholen. Auf diese Weise wird die Segnung "Gedeihen durch Wohltätigkeit" in die Praxis umgesetzt, wobei G-tt mehr und mehr materiellen Wohlstand gewährt und dadurch uns befähigt, mehr und mehr Geistigkeit zu verbreiten - und der ganze Vorgang ist ein wechselseitiger, der immer weiter anwächst und um sich greift.
Zusammenfassende Übersicht:
Mit Moses' Vortrag des Buches Dwarim begann die unmittelbare Vorbereitung der Israeliten zum Übergang aus dem Schutze, der ihnen in der Wüste zuteil war, in die materiellen Aufgaben, die sie im Heiligen Lande erwarteten, nämlich alle materiellen Belange zu vergeistigen. Diese Aufgabe obliegt auch heute noch jedem Juden.
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