Wir feiern Purim, weil G-tt die Juden durch ein Wunder von dem damaligen Edikt der völligen Ausrottung gerettet hat.

Nach dem natürlichen Stand der Dinge war jene persische Ära eine der sorgenlosesten in der jüdischen Diaspora-Geschichte. Die Juden spielten eine wichtige Rolle im Regierungswesen, war doch Mordechai, Vorsitzender des Sanhedrin (des jüdischen Gerichtshofes), auch ein Staatsbeamter, der unter den Versammelten "am Tore des Königs" saß (Esther 2, 21). Esther war die Gemahlin des Königs. In unserer ganzen Geschichte gibt es keinen Fall außer diesem, da eine Jüdin die Gattin eines Monarchen war, der über die ganze damals zivilisierte Welt herrschte. Folglich duften sich die Juden damals zuversichtlicher in Sicherheit wähnen, als es je in unserem langen Exil möglich war.

Was sich aber in Wirklichkeit abspielte, war das genaue Gegenteil: Gerade in jener Epoche vermeintlicher Sicherheit wurde das Dekret erlassen, alle Juden zu vernichten und niederzumetzeln, "jung und alt, Kinder und Frauen, alle an einem Tage" (Esther 3, 13). In der ganzen Geschichte ist dies der schlimmste Erlass, der je gegen Juden ergangen ist. Zu anderen Zeiten waren sie über verschiedene Länder verstreut. "G-tt hatte uns etwas Gutes getan, dass Er uns unter die Völker verteilt hatte" (Talmud, Pessachim 87b); denn wenn die Vernichtung der Juden innerhalb gewisser Staatsgrenzen beschlossen wäre, würde ihnen in anderen Ländern nichts geschehen, und auch die verfolgten Juden würden vielleicht über die Grenzen fliehen und anderswo Zuflucht finden können.

Sogar unter Pharao, als es völlig aussichtslos war, aus Ägypten zu entkommen, erstreckte sich der Erlass nicht auf alle Juden, sondern allein auf die männlichen – was schlimm genug war. Unter Achaschwerosch hingegen unterstanden sie alle seiner Herrschaft, und keiner konnte fliehen; denn:

a) er regierte uneingeschränkt über die ganze bewohnte Welt;
b) er wollte sie an "einem" Tage vernichten, und daher blieb ihnen ohnehin keine Zeit zur Flucht;
c) das Edikt erfasste alle ohne Ausnahme.

Wie war es möglich, dass sich die Dinge in einer Epoche scheinbarer jüdischer Sicherheit so furchtbar zuspitzen konnten? Die Antwort darauf gibt der Talmud (Megilla 12a): Weil sie an den – jeder jüdischer Sitte und Sittlichkeit abholden – Festlichkeiten des Achaschwerosch teilnahmen.

Hieraus sollte klar hervorgehen, dass das Geschick der Juden auf der einen Seite und eine "naturgemäße" Entwicklung auf der anderen zwei grundverschiedene Dinge sind. G-ttliche Vorsehung, für die Juden, unterliegt nicht den Gesetzmäßigkeiten der Natur. Vielmehr hängt ihr Schicksal allein davon ab, ob sie die Tora und ihre Gebote erfüllen. So war es auch damals in Persien unlogisch, dass eine natürliche Entwicklung zu einem so schlimmen Edikt führen würde; doch das Vergnügen, das die Juden an der verbotenen Mahlzeit hatten, dies war es, was – ihrem speziellen Geschick gemäß – das Vernichtungsdekret heraufbeschwor.

Und als Mordechai und Esther davon hörten, wäre es da an sich nicht "natürlich" gewesen, dass sie bei Achaschwerosch diplomatisch vorstellig geworden wären? Stattdessen jedoch gab Esther diesen Auftrag (Esther 4, 16): "Geh hin und versammle alle Juden ..., und fastet für mich drei Tage lang." Dies war der erste Schritt auf dem Wege zur schließlichen Aufhebung des Ediktes. Außerdem sagte sie (a.a.O.): "Auch ich und meine Mägde werden so fasten." Nachdem Esther dem König mehr als alle anderen Jungfrauen gefallen hatte (Esther 2, 17), würde ein drei Tage anhaltendes Fasten ihrer Schönheit großen Abbruch tun. Wie also ist ihr Entschluss zu verstehen?

Die Antwort ist diese: Wie das Edikt der natürlichen Entwicklung zuwiderlief, genauso musste auch die Errettung auf nicht normale Weise erfolgen. Nein, die Juden konnten nur durch ihre eigene Umkehr und Reue gerettet werden, und eines der Mittel hierzu ist das Fasten. Wenn alle Juden in Schuschan fasten, ist es der Einzelperson nicht gestattet, sich davon auszuschließen; und so ist es selbstverständlich, dass "auch ich und meine Mägde so fasten" werden. Gewiss, es ist ein wichtiges Prinzip, dass man sich nicht auf Wunder verlassen soll. Wenn jedoch die Selbststärkung durch Tora und ihre Gebote ausreichend ist, dann genügt es, dass man sich nach den gegebenen Realitäten richtet.