Der dieswöchige Schabbat wird „Schabbat Chason“ – „Schabbat der Vision“ genannt. Der Grund dafür ist, dass an diesem Schabbat in der Haftara (einem Abschnitt aus den Propheten welcher im Anschluss an die Toravorlesung von einem Laien vorgetragen wird) ein Abschnitt aus dem Buch „Jeschajahu“ vorgetragen wird, welcher mit den Worten „Eine Vision des Jeschajahu ...“ beginnt. Dieser Abschnitt wird jeweils am Schabbat vor Tischa beAw (des neunten Aw, jüdischer Nationaltrauertag wegen der Zerstörung zweier Heiligtümer) vorgetragen.

Während der drei Wochen zwischen dem 17. Tammus und dem neunten Aw, ist es jüdische Tradition, einige Trauergebote einzuhalten. So wird zum Beispiel während dieser Tage keine Musik gespielt und gehört und man schneidet sich nicht die Haare. Doch an den Schabbatot ist man fröhlich und zeigt keinerlei Trauer. Ganz im Gegenteil: Es ist bei verschiedenen Gemeinden Tradition, am Schabbat vor Tischa beAw besonders fröhliche Melodien anzuschlagen, um zu zeigen und zu verhüten, dass jemand auf den Gedanken kommen sollte, irgendwelche Trauer zu zeigen.

Dafür dass man am Schabbat während dieser drei Wochen besonders fröhlich sein soll, gibt es eine sehr schöne Erklärung: Im Tischgebet am Schabbat sagen wir über diesen Tag, dass er „eine Andeutung und ein Vorgeschmack der zukünftigen Welt“ sei. In der zukünftigen Welt, im messianischen Zeitalter, werden wir am Tischa beAw nicht mehr trauern und fasten, weil wir dann unser Heiligtum wieder errichten werden. Dieses Heiligtum wird in jeder Hinsicht den ersten zwei Heiligtümern überlegen sein. Nur so kann auch der Sinn des Galut – Exils verstanden werden: Das Exil und die Zerstörung des zweiten Tempels ermöglichten es dem jüdischen Volk nach vielen Läuterungen, die hohe Stufe des dritten Tempels zu erreichen. Deshalb wird in der zukünftigen Zeit der Fasttag Tischa beAw zu einem der größten Feiertage werden.

Manchmal gelangt ein Lehrer plötzlich während seines Unterrichts zu einer wunderbaren neuen Einsicht, die er gerne mit seinen Schülern teilen würde. Damit er die Idee jedoch klar formulieren kann, muss er den Unterricht kurz unterbrechen, um sich seinen eigenen Gedanken zu widmen. Die Schüler könnten dies missverstehen und meinen, der Lehrer habe sich von ihnen abgewandt. In Wirklichkeit jedoch, findet diese kurze Unterbrechung nur zu Gunsten der Schüler statt, die davon nur profitieren können. Die zukünftige Erlösung durch Maschiach wird neue Dimensionen und geistige Perspektiven öffnen, wie sie zuvor von Menschen noch nie erlebt wurden. Doch um diese geistige Welt zu verwirklichen, musste zuerst der Glanz des ersten Heiligtums verschwinden.

So können wir auch erklären, weshalb unserem Vorvater Abraham das Exil gerade im Zusammenhang mit „Brit ben Habetarim – dem Bund zwischen den Stücken“ (einem im Buche Bereschit beschriebenen Bund zwischen Abraham und G-tt) vorausgesagt wurde. Als G-tt mit Abraham einen Bund schloss, war dies ein Zeichen großer gegenseitiger Liebe und Zuneigung. Denn ein Bund soll bescheinigen, dass Menschen zusammenhalten werden, auch wenn die äusseren Umstände ihrer Liebe sich verändert haben und sie allen Grund hätten, diese Liebe nicht mehr zu empfinden. Nur eine sehr große Liebe bewegt Menschen dazu, auch für den Fall eingetretener Änderungen in den gegenseitigen Gefühlen, diese Liebe durch einen Bund zu besiegeln. Aus dieser Sich betrachtet, erscheint es verwunderlich, dass ausgerechnet dieser große Moment dazu verwendet wurde, Abraham über das Exil zu informieren. Doch damit wollte ihm G-tt zeigen, dass das Exil gerade aus dieser Liebe heraus entstammt und, dass es auch von Seiten des jüdischen Volkes so aufgefasst werden sollte.

Nun verstehen wir, weshalb in manchen Gemeinden am Schabbat Chason besonders fröhliche Melodien angeschlagen werden: An diesem Schabbat haben wir eine kleine „Vision“ und einen „Vorgeschmack“ der zukünftigen Erlösung. Nach der Erlösung wird jedoch der traurigste Tag im Jahr - „Tischa beAw“ zum größten Feiertag mutieren und deshalb die große Freude am Schabbat vor „Tischa beAw“.