I.

DIE KLEINE PROPHETIN

Das Leben war für die Kinder Israels in Ägypten sehr schwierig geworden. Jeden Tag brachte König Pharao neue und grausamere Erlasse heraus, die das Leben der armen und versklavten Hebräer sehr elend machten. Doch es gab wenigstens eine Familie, die ihren Lebensmut nicht verlor und den anderen Hoffnung und Mut gab. Das war die Familie von Amram, dem Sohn Kehots, dem Urenkel Jakobs. Er und seine Frau Jochewed hatten zwei kleine Kinder, Miriam und Aaron.

Eines Tages lief Miriam im Haus herum, klatschte in die Hände und sagte: „Ich werde einen kleinen Bruder bekommen, der unser Volk aus den Händen der Ägypter befreien wird!”

Und Miriams Worte sollten sich bald bewahrheiten.

Am siebten Tag des Monats Adar wurde Amram und Jochewed ein kleiner Junge geboren, und sofort wurde das Haus von Licht erfüllt. Die Wolken verzogen sich, und die Sonne schien heller als je zuvor. Amram ging zu seiner kleinen Tochter, küsste sie und sagte: „Meine geliebte Tochter, ich sehe jetzt, dass du recht hattest. Dein kleiner Bruder ist kein gewöhnliches Baby. Er wird uns alle retten.”

Drei Monate lang hielten die glücklichen Eltern das Neugeborene vor den Offizieren des Pharaos versteckt, die auf Befehl des Königs von Haus zu Haus zogen, um jüdische Babys zu suchen und sie in den Fluss zu werfen. Nach drei Monaten begannen die Offiziere, das Haus von Amram sehr sorgfältig zu durchsuchen, und Amram und Jochewed wussten, dass sie das kleine Baby nicht länger verstecken konnten. Und so sagte Jochewed: „Ich kann mein Baby nicht länger beschützen, nur G-tt kann das. Ich werde mein Baby in Seine Hände geben.”

Als Jochewed dies sagte, machte sie einen kleinen Korb aus leichtem Schilf und überzog ihn von außen mit Pech, um ihn wasserdicht zu machen. „Mein Baby soll nicht unter dem Geruch des Pechs leiden”, sagte sie, und deshalb überzog sie den Korb nicht von innen mit Pech. Dann legte sie das Baby in den wasserdichten Korb und brachte ihn zum Nil. Sie versteckte den Korb zwischen den Schilfrohrhalmen, die am Ufer des Flusses wuchsen.

II.

DER SCHICKSALSVOLLE TAG

Mit Tränen in den Augen kehrte sie nach Hause zurück. Doch die kleine Miriam blieb am Ufer des Nils zurück, um zu sehen, was mit ihrem kleinen Bruder geschehen würde.

Zu dieser Zeit versammelten sich die Engel vor G-tt und flehten für das kleine Baby. „Oh G-tt”, sagten sie, „Du hast versprochen, dass der Tag kommen würde, an dem die Kinder Israels aus Ägypten befreit und am sechsten Tag des Monats Siwan Deine heilige Tora erhalten würden. Heute ist der sechste Tag des Monats Siwan. Wirst Du zulassen, dass dieses Kind im Wasser des Nils verhungert und erfriert?”

Sofort befahl G-tt der Sonne, mit aller Kraft zu scheinen und alle ägyptischen Frauen und Kinder dazu zu bringen, zum Fluss zu strömen, um sich im kühlen Wasser des Nils zu erfrischen und zu baden.

Prinzessin Batja, die Tochter des Pharao, rief ihre Dienerinnen und ging ebenfalls zum Fluss, um dort zu baden.

Plötzlich bemerkte die Prinzessin einen kleinen Korb im Schilf am Ufer des Nils. Sie schickte eine ihrer Dienerinnen, um ihn zu holen, aber ihre böse Dienerin sagte: „Warum sich die Mühe machen, Prinzessin, mit einem kleinen Korb, in dem sicherlich ein hebräisches Baby versteckt ist? Hat unser mächtiger König nicht befohlen, alle Kinder ohne Mitleid in den Fluss zu werfen?“

Nun hatte die Prinzessin durch eine Krankheit die Kraft in den Armen verloren und dachte: „Wenn ich nur meine Hände gebrauchen könnte, würde ich das Körbchen selbst holen.” Kaum war dieser gute Gedanke in ihr aufgestiegen, da geschah etwas Wunderbares. Sie fühlte plötzlich, dass ihre Hände wieder gesund und kräftig waren. Die Prinzessin ging ins Schilf hinab und hob das Körbchen mit ihren eigenen Händen auf.

Als sie den Korb öffnete, fand sie darin ein kleines Baby mit einem hellen Gesicht, das wie die Sonne leuchtete. Die Prinzessin hatte Mitleid mit dem Baby und sagte: „Sicherlich ist dies eines der unglücklichen hebräischen Babys. Ich werde nicht so grausam sein wie mein Vater; ich werde es retten.”

III.

IN DEN ARMEN SEINER MUTTER

Die Prinzessin befahl einer ihrer ägyptischen Dienerinnen, das Kind zu füttern. Doch sobald die Frau das Baby in die Arme nahm, begann es erbärmlich zu weinen und weigerte sich, gefüttert zu werden. Die Prinzessin befahl einer anderen Dienerin, das Baby zu füttern, aber auch das war erfolglos.

Währenddessen stand Miriam nur ein paar Schritte entfernt und beobachtete aufmerksam, was mit ihrem kleinen Bruder geschah, sagte aber nichts. Als sie ihren kleinen Bruder weinen hörte, trat sie vor und sagte zu der Prinzessin: „Soll ich jemanden rufen, der das Kind stillt?

„Bitte“, sagte die Prinzessin, „und ich werde dich reichlich belohnen.“

Miriam eilte nach Hause zu ihrer Mutter und erzählte ihr alles, was am Flussufer geschehen war. „Beeil dich, Mutter”, sagte sie, „die Prinzessin wartet, und das Baby hat Hunger!”

Jochewed eilte zum Fluss, und kaum hatte sie das kleine Baby in den Arm genommen, hörte es auf zu weinen und begann glücklich zu lächeln. Die Prinzessin konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln, und sie sagte zu Jochewed: „Ich werde dir zwei Schekel pro Tag zahlen, wenn du das Baby für mich stillst.“

„Das werde ich sehr gerne tun”, sagte Jochewed.

„Gut. Ich werde dir das Baby für zwei Jahre anvertrauen”, sagte die Prinzessin, „aber denk daran, dass du mir das Kind am Ende der zwei Jahre unversehrt im Palast zurückbringen musst!”

„Er wird mein Augapfel sein”, sagte Jochewed und trug das Baby in ihr Haus.

IV.

DIE SIEBEN NAMEN

Jochewed hielt ihr Versprechen und brachte das Baby nach zwei Jahren zur Prinzessin. Batja war entzückt, als sie das Baby sah. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie ein so schönes und bezauberndes Kind gesehen.

„Wie soll dieses Kind heißen?“, fragte Batja.

„Wir haben ihm sechs Namen gegeben”, sagte die Mutter. „Jered, Chaver, Jekuthiel, Avigdor, Avi-Socho und Avi-Zonoach!”

„Ich werde ihm einen siebten Namen geben”, sagte Batja. „Ich werde ihn Mosche (Moses) nennen, weil ich ihn aus dem Wasser gezogen habe.”

Und G-tt sprach: „Weil Batja so freundlich und barmherzig war, soll das Kind den Namen tragen, den sie ihm gegeben hat.”

Von diesem Tag an blieb Moses im Palast und die Prinzessin liebte ihn innig, als wäre er ihr eigener Sohn. Jeder, der den Palast betrat und Moses sah, bewunderte die ungewöhnliche Schönheit und die guten Manieren des Kindes. Selbst der grausame König Pharao und die Königin Alpharaohnith liebten ihn und spielten mit ihm.