Rosch HaSchana und Jom Kippur haben einen gemeinsamen Nenner: Beide werden „Kopf des Jahres“ genannt: Rosch Haschna, weil er eben der Beginn des Jahres ist; doch auch Jom Kippur wird in den Propheten „Rosch HaSchana“ bezeichnet. Der Prophet Jecheskel1 erzählt über eine seiner Visionen, die er zu „Rosch HaSchana, am zehnten des Monats“2 empfing. Es gibt nur einen Feiertag am zehnten des Monats, und zwar Jom Kippur. Somit heißt auch Jom Kippur „Rosch HaSchana“.

Rosch HaSchana und Jom Kippur unterscheiden sich allerdings sehr. Zu Rosch HaSchana ist das Fasten verboten; es ist sogar eine Mitzwa zu essen, und zwar „fettes Fleisch und Süßigkeiten“.3 Jom Kippur hingegen ist ein Fasttag, an dem wir sogar unseren Körper kasteien müssen.

Alles hängt vom Kopf ab

Dies zeigt den wesentlichen Unterschied dieser zwei Tage auf: Zu Rosch HaSchana liegt die Betonung auf das Materielle und an diesen Tag wird der Segen für das Materielle im kommenden Jahr festgelegt. Zu Jom Kippur liegt die Betonung auf das Spirituelle. Wir steigern uns sehr im Spirituellen, bis wir nicht mehr auf die Bedürfnisse des Körpers achten.

Rosch HaSchana ist der „Kopf“ (und alles hängt vom Kopf ab) für alle materiellen Angelegenheiten des Juden. Deshalb wird er da vor allem über den materiellen Bereich seines Lebens gerichtet; Jom Kippur ist hingegen der „Kopf“ für die spirituellen Angelegenheiten des Juden, sprich seine Verbundenheit zu G-tt. Dieser Tag beeinflusst sein religiöses Leben im kommenden Jahr immens.

G-tt stets ehrfürchtig vor Augen

Rosch HaSchana erweckt den Juden zur Tschuwa und gibt ihm Kraft, sich auch in seinem weltlichen Leben als Knecht G-ttes zu fühlen, sprich zu halten. Man könnte irrtümlich glauben, dass dies nur im religiösen Bereich des Lebens, wie beim Beten und Thoralernen, notwendig ist, nicht aber wenn man Geschäfte macht, isst und trinkt. Doch Rosch HaSchana, bei dem die Betonung auf das weltliche Leben liegt, bringt uns bei, dass auch in seinen weltlichen Angelegenheiten der Jude sich als Knecht G-ttes fühlen muss und dann werden auch all seine weltlichen Angelegenheiten im Einklang mit dem g-ttlichen Willen stehen.

Jom Kippur hingegen erweckt uns zur Tschuwa und gibt uns Kraft für unser religiöses Leben im kommenden Jahr; die Kraft für aufrichtige Gebete, ein andächtiges Erfüllen der Mitzwot und ein seriöses Lernen der Thora, und zwar nicht, um bloß seine Pflicht G-tt gegenüber zu erfüllen, sondern aus tiefer Erkenntnis und Überzeugung.

Wovon hängt der weltliche Erfolg ab?

Mehr als das: Jom Kippur verleiht uns auch die Kraft, dass die Auseinandersetzung mit dem Materiellen kein Störfaktor für unser religiöses Leben wird. Zwar hat der Jude ständig mit der Weltlichkeit zu tun; er muss arbeiten und essen, doch dies muss ihn nicht in der Ausübung der Mitzwot stören. Er kann andächtig beten, Zeit für das Thoralernen finden und Schabbat halten, ohne sich Sorgen zu machen. „Doch was ist mit der Weltlichkeit?“, wird ihn Mancher fragen. Da kommt Jom Kippur und bestärkt den Juden sogar darin, dass sein materielles Leben von seinem spirituellen Leben abhängt und nicht umgekehrt. Denn der Segen im Materiellen kommt durch das Erfüllen der Mitzwot, wie eben die Mitzwa von Jom Kippur (Fasten und die Kasteiung des Körpers) den Segen für unser kommendes Jahr, sowohl im Spirituellen als auch im Materiellen, besiegelt.

Somit treffen diese beiden Aspekte von Rosch HaSchana und Jom Kippur zusammen. G-tt möchte eben die Verbindung zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen. Das weltliche und religiöse Leben des Juden soll miteinander verschmelzen. Denn G-tt ist überall und möchte jeden Winkel unseres Herzens und unseres Lebens füllen.

(Sefer HaSichot, Jahrgang 5748, Band 1, Seite 5)