Anmerkung1 zum Name des 32. Kapitels

Die Erfüllung der oben erwähnten Dinge – den eigenen Körper mit Verachtung und Abscheu zu betrachten2 und seine einzige Freude allein die Freude der Seele sein zu lassen3 – ist ein geradliniger und einfacher Weg, zur Erfüllung des Gebotes „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“4 gegenüber jedem Juden von Groß bis Klein, zu gelangen.

Da ihm sein Körper Abscheu und Grauen ist, während bezüglich der Seele und des Geistes gilt: Wer kennt ihre Größe und ihre Erhabenheit in ihrer Wurzel und ihrem Ursprung – im Lebendigen G‑tt? Darüber hinaus sind sie alle gleichwertig, alle haben sie einerlei Vater – deshalb werden alle Juden wirkliche „Brüder“ genannt5, aufgrund der Wurzel ihrer Seele im Einen G‑tt. Es ist bloß, dass die Körper getrennt sind. Daher kann zwischen denjenigen, die ihren Körper als vorrangig und ihre Seele als nebenrangig betrachten, nicht wahre Liebe und Bruderschaft herrschen, sondern nur „[Liebe,] die von einer Sache abhängig ist“6.

Dies ist, was Hillel der Ältere über die Erfüllung dieses Gebotes sagte: „Dies ist die gesamte Tora und das übrige ist Erklärung etc.“7 Fundament und Wurzel der gesamten Tora ist es nämlich, die Seele auf- und emporzuheben über den Körper hoch in die Höhen bis zum Zentrum und zur Wurzel aller Welten, wie auch das Licht des gesegneten Ejn Sof in die Gemeinschaft Israels herabzuziehen, wie im Folgenden erklärt wird8, d.h. in die Quelle der Seelen ganz Israels, sodass ausdrücklich „Eines in Einem“9 besteht. Dies ist unmöglich, wenn, G‑tt behüte, Trennung zwischen den Seelen herrscht, denn „der H.g.s.E. ruht nicht an einem mit Makel behafteten Ort“10. So sprechen wir [im Gebet]: „Segne uns, unser Vater, alle zusammen mit dem Licht Deines Angesichtes“11, wie andernorts ausführlich erklärt wird12.

Die Aussage im Talmud, dass jemand, der seinen Gefährten beim Sündigen sieht, ihn zu hassen hat, und [diesen Vorfall] auch seinem Lehrer mitzuteilen hat, damit er ihn hasse13, bezieht sich bloß auf seinen [ebenbürtigen] Gefährten im Studium der Tora und der Erfüllung der Gebote, und er hat mit ihm bereits das Gebot erfüllt: „Du sollst Amitecha [deinen Nächsten] zurechtweisen“14 – [wie unsere Weisen sel. A. erklären15, kann man dies auch deuten als:] „Im Itcha“ [mit dir, ebenbürtig]. [Du sollst zurechtweisen,] wer „Im Itcha“ [dir ebenbürtig] ist in Tora und Gebot, und trotzdem nicht von seiner Sünde umgekehrt ist, wie im Sefer Charedim steht16.

In Bezug auf eine Person jedoch, die weder zu seinen Gefährten zählt, noch ihm nahesteht, sagte Hillel der Ältere: „Sei von den Schülern Aharons, der Frieden liebt etc. pp. […], die Geschöpfe liebt und sie der Tora näherbringt.“17 Das heißt, sogar diejenigen, die weit von der Tora G‑ttes und Seinem Dienst entfernt sind und deshalb allgemein als „Geschöpfe“ bezeichnet werden, muss man mit dicken Seilen der Liebe heranziehen. Nach all dem gelingt es einem vielleicht, sie der Tora und dem Dienst G‑ttes näherzubringen. Auch wenn es nicht gelingt, büßt man nicht den Lohn für das Gebot der Nächstenliebe ein.

Sogar in Bezug auf diejenigen, die ihm nahestehen, und die er bereits zurechtgewiesen hat, die von ihren Sünden aber nicht umgekehrt sind – sodass man sie zu hassen verpflichtet ist, ist man auch verpflichtet, sie zu lieben. Und beide sind wahr: Hass aufgrund des Bösen in ihnen und Liebe aufgrund des in ihnen verborgenen Guten – der Funke der G‑ttlichkeit in ihnen, der ihre g‑ttliche Seele belebt. Auch soll man in seinem Herzen Erbarmen für [die g‑ttliche Seele] erwecken, denn im Fall der Bösen befindet sie sich im Exil innerhalb des Bösen von der Sitra Achra, das sie überwältigt18. Und das Erbarmen löscht den Hass aus und erweckt die Liebe, wie aus dem Vers hervorgeht: Zu „[…] Jaakov, der Avraham erlöste.“19

(Der Ausspruch König Davids, Friede mit ihm: „Mit äußerstem Hass hasse ich sie … …“20 bezieht sich ausschließlich auf die Häretiker21 und Ketzer22, die keinen Anteil am G‑tt Israels haben23, wie im Talmud, Beginn des 16. Kapitels von Traktat Schabbat, geschrieben steht24.)