Was ist eine Mizwa? Die einfache Bedeutung lautet: Etwas, das G-tt uns befohlen hat. Wie z.B. anderen zu helfen, zu Ihm zu beten, Tefillin zu legen oder am siebten Tag zu ruhen. Einige werden sagen, dass eine Mizwa eine spirituelle Handlung ist. In Wirklichkeit jedoch ist eine Mizwa jenseits jeglicher Spiritualität. Aber total jenseits!
Heute spricht jeder über Spiritualität. Sogar Geschäftsleute sprechen über Spiritualität. Aber seien wir doch ehrlich: Spiritualität in seiner irdischen Form ist im Eimer.
Stell dir ein Wesen ohne Körper vor. Reiner Intellekt, unbeeinträchtigt von irdischen Vorstellungen. Wir nennen solche Wesen „Malachim“ – üblicherweise als „Engel“ übersetzt.
Engel haben ihre eigenen Welten und obwohl sich unsere Welt von der ihrigen ableitet, kann man sie wirklich nicht vergleichen. Erstens fahren Engel total auf G-ttliche Energie ab. Verstehst du, jede Welt verfügt über eine eigene Energieform, die sie am Leben erhält und ihre Form bestimmt. Stell dir die Welt als ein Computerspiel vor, das durch die Energie, die durch den Computer läuft, gespeist wird – ausser, dass in diesem Fall die Hardware auch Energie ist.
Eigentlich erhält auch unsere Welt diese Art von Energie (allerdings sehr reduziert und gefiltert), aber wir haben keinen blassen Schimmer davon, was abgeht. Malachim kapieren es, und sie sind völlig davon besessen. Im Verhältnis zur Menge, die ihr Riesenhirn von dieser Energie aufnehmen kann, ist auch das Ausmass der Freude, die sie erleben. Und so verbringen sie ihre seligen Tage und Jahre. Man könnte sie spirituelle Junkies nennen.
Malachim kommen in allen möglichen Sorten daher, auf endlosen Stufen in immer höheren und höheren Welten. Auf dem Dachstock der höchsten Welt jedoch, auf der Schwelle der Realität, wo die Existenz auf die Vorexistenz stösst und alle Dinge zum Dasein erweckt werden, residiert der Engel Michael. Kein Wesen jeglicher Welt versteht mehr, kein Wesen erfreut sich grösserer Wonnen als er, sitzt er doch am nächsten beim Ursprung, bei der Quelle allen Lebens.
So, das war’s zum Thema Engel. Mittlerweilen tappt die menschliche Seele, hier unten auf der Erde, in der finsteren Dunkelheit herum. Diese plumpe Körperhülle, in die sie eingesperrt wurde, hat keine Ahnung von der Aufgabe dieser Seele, von der Bedeutung des Lebens oder von irgendetwas G-ttlichem oder Transzendentem. Einerseits erstickend vom Rauch eines brennenden, tierischen Herzen und andererseits unterkühlt durch den kalten Intellekt dieses Fleischstückes, das man Gehirn nennt, versucht die Seele verzweifelt einen Lufthauch zu erhaschen, das Minimum an Kontrolle zu ergattern und nicht im Konkurrenzkampf erbarmungslos niedergetrampelt zu werden.
So ist es halt: Die erfolgreichste Seele hier auf Erden wird niemals so anmutig tanzen wie der plumpste Engel. Der Engel tanzt in einer Welt von Ausdruck und Ideen, währenddem die Seele genauso gut in einem Fünf-Tonnen schweren Asbestanzug gekleidet sein könnte. Für die Seele werden Wirbel und Drehungen zu Saltos und Stürzen mit allem Schmerz und Schmutz, die dazugehören. Dann fühlt man sich schuldig und minderwertig, braucht einen Seelenreiniger in der nächsten Welt, und muss zu einer nächsten Runde in einem weiteren Leben antreten. Wenn Versagen unvermeidlich ist, dann ist Verzweiflung angesagt. Und Verzweiflung bedeutet Tod für die Seele.
Dann kam Rabbi Jisrael, der “Baal Schem Tov“ auf unserer Welt und erzählte uns ein Geheimnis. "Der Malach Michael“, so enthüllte er, "ist auf jeden Einzelnen von uns eifersüchtig. Er würde alles hergeben, sein ganzes Wissen um das G-ttliche Licht, inklusive der ganzen Freude und Wonne, die er daraus schöpft, nur für einen Bruchteil einer Mizwa einer Seele auf dieser Welt.“
Wie kann das sein? Die Schüler des Baal Schem Tovs erklärten: Der Malach Michael hat Licht, sehr viel Licht. Hier jedoch, in der Dunkelheit, haben wir, wenn wir eine Mizwa tun, den Ursprung des Lichts. Wir haben G-tt selbst.
Was ist denn dieses "G-ttliche Licht“ schlussendlich? Man kann sich das folgendermassen vorstellen: G-tt verfügt über eine unendliche Vorstellungskraft, die Er dazu benützt sich die Engel und ihre Welt einerseits und uns und unsere Welt andererseits vorzustellen. Und es ist diese Vorstellungskraft die unsere Existenz generiert. Mit einem Wimpernschlag könnte das Ganze verschwunden sein, wie wenn es nie existiert hätte, so wie ein verrückter Tagtraum, der kommt und geht.
Nur, dass in dieser Fantasie, der Autor Selbst eine winzige Nebenrolle einnimmt. Und wo ist das? In den Mizwot, die wir tun. Dort, in diesen scheinbar unbedeutenden Handlungen fantasiert Er nicht mehr. Die Mizwa, das ist Er, das ist das zu tun, was Er wirklich tun will, das ist der Grund und der Zweck wofür Er all diese Welten erschuf. Und wie bringt Er all dies zustande? Durch uns. Und so sind wir in einer Mizwa in Wirklichkeit ein Teil von Ihm, das, was Er wirklich ist. Und das ist etwas, was ein Malach nie sein kann.
Es stimmt zwar, dass wir G-tt leider nicht spüren. Die exstatischen Freuden, nach denen diese Engel so süchtig sind, sind nicht für uns. Aber das ist nur deshalb so, weil wir es mit etwas zu tun haben, das total jenseits unseres Verständnisses liegt, etwas, das alle Sicherungen eines Verstandes verjagen würde und sich völlig jenseits dessen befindet, das ein menschliches Herz auf seiner jetzigen Reise bewältigen kann. Dafür werden wir auf das warten müssen, was sie "die kommende Welt“ nennen, so wie die Weisen lehrten:
"Ein Augenblick in der kommenden Welt enthält mehr Schönheit als alles Leben dieser Welt.“
Dann werden wir einen Verstand und ein Herz haben, die von der beeindruckenden Schönheit, die wir in diesem Leben durch unsere Handlungen hervorgerufen haben, Kapitel schlagen können. Sie lehrten jedoch auch folgendes:
“Ein Augenblick der Rückkehr und guten Taten in dieser Welt enthält mehr Schönheit als die gesamte kommende Welt.“
Und so soll man jeden Augenblick des Lebens feiern. Es stimmt zwar, dass wir immer wieder pfuschen und vermasseln. Und es stimmt auch, dass wir immer wieder leiden, wenn wir mit den Auswirkungen dieses Gepfusches konfrontieren werden und es auf uns zurückfällt wie ein Pingpongball, der zurückgeschmettert wurde.
Aber vielleicht, nur vielleicht, werden wir, währendem uns noch ein weiterer Tag hier auf Erden gewährt wird, die Möglichkeit erhalten noch eine Mizwa zu tun. Und im blendenden Licht dieser einen Mizwa wird das ganze Leiden, die ganze Schuld und Unzulänglichkeit, die wir spüren, vergessen sein. Und das ist es wert.
Tja, vielleicht sind es sogar zwei Mizwot. Oder drei. Oder mehr.
Und was den Malach Michael anbelangt, so soll er doch in seinem G-ttlichen Licht weiterschwelgen!
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