„Rabbi, die Tora wurde vor sehr langer Zeit geschrieben. Ihre Gebote waren nie für die moderne Zeit gedacht, für aufgeklärte Menschen mit moderner Technik.“ Diese Perle der Weisheit wurde mir zum letzten Mal vor einigen Wochen während einer Diskussion über die Tora und ihre Gebote an den Kopf geworfen.
Ich erklärte, die jüdische Auffassung von G–tt sei zeitlos. Das bedeutet nicht nur, dass G–tt unsere heutige Zeit berücksichtigt hat, als er unseren Ahnen die Tora gab, sondern auch, dass G–tt in einer Dimension existiert, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfasst und ihre eigenen Grenzen transzendiert.
Es mag verwirrend klingen, aber wir glauben, dass G–tt in der Zukunft lebte, als er unseren Vorfahren die Tora gab. Er gab die Gebote des Schabbats, des koscheren Lebens und andere Gebote nicht nur unseren Ahnen in der Vergangenheit, sondern auch uns in der Gegenwart. Sie waren für alle Generationen gedacht, auch für unsere moderne, technische und aufgeklärte Zeit.
Eine Freundin von mir belegte einmal einen Kurs über das Judentum und studierte die Gebote über Schabbat und koscheres Leben. Ihr Lehrer sagte oft zu ihr: „Manche Leute halten diese Gebote ein, aber Sie brauchen das nicht zu tun – sie sind nur etwas für die Orthodoxen.“
Wirklich? Ich erinnere mich nicht daran, dass G–tt den orthodoxen Juden spezielle Gesetzte gab. Wir alle waren am Berg Sinai anwesend, ein Volk, eine Tora. Dort waren nicht nur unsere Vorfahren und nicht nur die Orthodoxen. Wir waren alle dort.
Die anderen sind schuld
Das erinnert mich an den Mann, der den Text der Feiertagsbeichte nicht mit seinem Verhalten in Einklang bringen konnte. Wie konnte er die Worte „Wir haben gesündigt, wir haben betrogen, und wir haben gestohlen“ sprechen, obwohl er sich dieser Vergehen nicht schuldig gemacht hatte?
Andererseits war sein Nachbar Chaim ein Sünder, sein Freund Mosche ein Häretiker und sein Chef Levi ein Dieb. Also beschloss er, für sie zu beichten.
„Oschamnu, wir haben gesündigt“, rief er und dachte für sich: „Ja, Chaim hat gesündigt.“ „Bogadnu, wir haben betrogen“, sprach er und dachte heimlich: „Ja, Mosche ist schuldig.“ „Goslanu, wir haben gestohlen“, rezitierte er und dachte insgeheim: „Ja, mein Chef ist ein Dieb.“
Wenn wir die Gebote der Tora anderen Juden oder unseren Ahnen auferlegen, dann ist das so, als würden wir für andere beichten. Zuerst nehmen wir uns aus und verpflichten andere, dann beichten wir ihre Sünden und halten uns für sündlos. „Oschamnu, andere haben gesündigt ... Bogadnu, unsere Ahnen haben dich betrogen.“
Gerettet von einem Wunder
Drei Juden diskutierten über ihre Verdienste. Jeder behauptete, er sei der Frömmste. Um das zu beweisen, erzählte einer die folgende Geschichte. In der Wüste drohte einst ein heftiger Sandsturm, ihn zu blenden. Also betete er, und plötzlich legte sich der Sturm. Sand wirbelte zehn Meter zu seiner Rechten und zehn Meter zu seiner Linken hoch, aber dort, wo er stand, war alles ruhig.
Der Zweite wollte nicht zurückstehen und berichtete ebenfalls von einem Wunder. Als er an einem Sonntagnachmittag segelte, erhob sich ein gewaltiger Sturm und drohte ihn zu verschlingen. Er betete zu G–tt und wurde gerettet. Der Sturm raste zehn Meter zu seiner Rechten und zehn Meter zu seiner Linken weiter, aber um sein Schiff herum war das Meer ruhig.
Nun erzählte der Dritte seine Geschichte. Er ging an einem Schabbatnachmittag spazieren und fand einen Geldschein auf dem Boden. Da Juden am Schabbat kein Geld in die Hand nehmen dürfen, blieb er stehen und betete. „G–tt ist mein Zeuge“, sagte er, „es war Schabbat zu meiner Rechten und Schabbat zu meiner Linken, aber dort, wo ich stand, war ein schöner Dienstagnachmittag.“
So unvernünftig sind auch wir, wenn wir sagen, die Schabbatgebote gelten nur für die Juden zu unserer Rechten und für unsere Ahnen, aber nicht für uns!
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