Die siebentägige Weihe des Heiligtums war vorbei, und obwohl das jüdische Volk voller Erwartung war, hatte G-tt sich nicht offenbart. Selbst nach den Opfern am achten Tag erfüllte die Hoffnung sich nicht. Mosche und Aharon wussten, dass das Volk enttäuscht war. Sie gingen ins Heiligtum und beteten. Jetzt „wurde G-ttes Glorie allem Volk sichtbar. Feuer ging aus von G-tt und verzehrte das Brandopfer ... Das Volk sah es und erhob lobpreisend die Stimme“.
Zwei Männer wollten G-tt noch näher sein. „Aharons Söhne Nadaw und Awihu nahmen ihre Kohlenpfanne, zündeten sie an, gossen Weihrauch darauf und opferten G-tt. Es war ein seltsames Feuer, und G-tt hatte ihnen nicht befohlen, so zu opfern. Feuer ging aus von G-tt und verzehrte sie, und sie starben vor G-tt.“
Mosche lobte sie und sagte zu Aharon: „G-tt will damit sagen: ,Ich werde geheiligt von denen, die mir nahe sind, und ich werde vor dem ganzen Volk geheiligt‘.“ Das klingt paradox. Einerseits scheinen Aharons Söhne etwas falsch gemacht zu haben, denn sie wurden ja bestraft. Darum sprechen unsere Weisen von „der Sünde, die Aharons Söhne begingen“. Andererseits haben sie offenbar auch etwas Positives getan. Nadaw und Awihu waren zu besonderen Dienern G-ttes ernannt worden, und Mosche selbst lobte sie und verkündete, sie seien G-tt nahe und das Heiligtum sei durch ihr Opfer geweiht worden.
Die Kommentatoren erläutern, Nadaw und Awihu seien wegen ihrer großen Liebe zu G-tt gestorben. Mosche und andere Rechtschaffene Männer starben durch „den Kuss G-ttes“, d. h. durch ein erhabenes g-ttliches Licht, das so großartig war, dass sie es nicht ertrugen und ihre Seele aushauchten.
Auch Aharons Söhne starben wegen ihrer großen Liebe zu G-tt: „Obwohl sie wussten, dass sie sterben würden, zögerten sie nicht, sich G-tt zu nähern und sich an ihn zu klammern. Es war ein süßes Band der Liebe ... so dass ihre Seelen den Leib verließen.“
Der Chassidismus geht noch weiter und erklärt, dass unsere Liebe zu G-tt zwei Phasen haben muss: „Razu“, die starke Sehnsucht nach der Verbindung mit ihm, und „Schuw“, den Willen, zurückzukehren und G-ttes Willen zu erfüllen: aus dieser Welt eine Wohnung für ihn zu machen. Aharons Söhne waren von einer überwältigen Sehnsucht nach G-tt erfüllt. Aber sie hätten auch den Willen aufbringen müssen, dieses Band in ihrem Leben auszudrücken. Diesen Willen hatten sie jedoch nicht. Sie stiegen hinauf und konnten danach nicht mehr hinunter gehen. Das war ihre Sünde.
Es war nicht falsch, G-tt nahe zu sein. Der Fehler bestand darin, dass diese Nähe keine Früchte trug – sie starben, ohne dieses Band im täglichen Leben ausgedrückt zu haben. G-tt will nämlich, dass wir unserer tiefsten Liebe zu ihm dadurch Ausdruck geben, dass wir das G–ttliche in jedem Teil der Schöpfung schätzen und dafür sorgen, dass es sichtbar wird. Rückblickend können wir aus dem Verhalten von Aharons Söhnen zweierlei lernen:
- Etwas Positives: Jeder Jude kann G-tt so nahe sein wie sie.
- Etwas Negatives: Unsere Liebe zu G-tt darf nicht auf einem spirituellen Gipfel bleiben, sondern muss sich hier auf dieser Welt manifestieren.
Diese Lektionen müssen wir beherzigen und das Heiligtum weihen, das sich in unserem Herzen befindet – indem wir begreifen, dass die mächtige Liebe zu G-tt auch für uns erreichbar ist, dass wir aber nicht ganz in ihr aufgehen dürfen, weil wir sonst das G-ttliche in unserer Umwelt aus dem Auge verlieren.
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