„Und es geschah am achten Tag ...“ - so beginnt der Wochenabschnitt Schmini. Er handelt von jenem Tage, an dem der Mischkan, das tragbare Heiligtum, welches uns auf unseren Wanderungen in der Wüste begleitete, eingeweiht wird.
Dieser achte Tag folgte auf sieben Tage, an denen der Mischkan morgens aufgebaut und am Abend wieder abgebaut wurde. Tage, an denen Aharon und seine vier Söhne in die Geheimnisse des Priesteramts eingeweiht wurden. Und doch ist dieser achte Tag in vielerlei Hinsicht ein erster Tag: es war ein Sonntag – also der erste Tag der Woche, es war der erste Tag im Nissan, dem ersten Monat der Tora, es war der erste Tag an sich dem die Schechina – die g-ttliche Gegenwart im Mischkan niederließ, es war der erste Tag der Priesterschaft und der erste Tag des Opferdienstes um nur einige zu nennen. Einer Meinung zufolge, war dies sogar der Jahrestag der Erschaffung der Welt.
Stellt sich die Frage: wenn doch dieser Tag in so vielerlei Hinsicht ein erster war – warum wird er dann in der Tora immer als achter Tag bezeichnet?
Der Kreis schließt sich
Die Zahl sieben spielt eine wichtige Rolle in der Weise wie wir Zeit erfahren. Am bekanntesten ist der siebentägige Zyklus von Arbeit und Ruhe, den wir als Woche kennen und in dem wir die ursprünglichen sieben Tage der Schöpfung wiedererkennen denn „in sechs Tagen schuf G-tt die Himmel und die Erde... und ruhte am siebten Tag“. Jeder Schabbat schließt somit einen Kreis, auf dem ein neuer „erster Tag“ - so heißt der Sonntag in der heiligen Sprache - folgt.
Dies ist der Grund, warum so viele Ereignisse des jüdischen Lebens sieben Tage dauern. Zwei Feste von je einer Woche im genau halbjährigen Abstand rahmen unser Jahr ein: Pessach vom 15. bis zum 21. Nissan und Sukkot vom 15. bis zum 21. Tischrei. Eine Hochzeit wird sieben Tage mit sieben Segnungen – den Schewa Brachot – gefeiert und der Tod eines Verwandten wird - G-tt behüte – sieben Tage betrauert. All diese Ereignisse - der Auszug aus Ägypten, die Freude der Ernte in Freiheit, der Bund der Ehe und der Abschied von den Verstorbenen sind enthalten in den sieben Dimensionen der Zeitlichkeit.
So auch unsere Jahre. Sieben Jahre des Schaffens werden von Schmitta-Jahr gefolgt, in dem das Land ruht, die Schulden getilgt und die Bediensteten entlassen werden. Und auch unsere Jahrtausende folgen dem selben Rythmus. Auf sechstausend Jahre menschlicher Mühe folgt ein Jahrtausend, welches ganz Schabbat und Ruhe ist – das Zeitalter von Moschiach.
Die Kabbalisten erklären diesen Rhythmus der Zeit damit, dass die sieben Tage der Schöpfung die sieben Dimensionen verkörpern, in denen sich G-tt in unserer Welt offenbart. Sieben ist damit nicht nur eine Grundzahl der Zeitlichkeit sondern jeder Existenz und der Realität an sich. Für uns ist dies aus unserem Charakter ersichtlich, in dem wir die sieben Kräfte Liebe, Zurückhaltung, Harmonie, Strebsamkeit, Hingabe, Verbundenheit und Aufnahmekraft erkennen.
Materie und Geist
Jeder der sieben Teile der Woche verkörpern die besonderen Eigenschaften der entsprechenden Sefirah. Allgemein gesprochen, teilt sich jeder Zyklus in zwei Hauptphasen: den weltlichen Teil (Chol) und den heiligen Teil (Kodesch). Auf sechs Tage der Arbeit folgt der heilige Tag der Ruhe, auf sechs Jahre der irdischen Arbeit folgt ein Jahr des Loslösens. Auf sechs Jahrtausende des Ringens mit der Welt folgt ein Jahrtausend, in dem die einzige Aufgabe das Erkennen G-ttes ist.
„Kadosch“, das Wort der Tora welches als „heilig“ übersetzt wird, bedeutet wortwörtlich getrennt und abgesondert. Schabbat und Schmitta-Jahr sind „kadosch“ weil sie der Trennung vom Weltlichen bedürfen. Nur wenn wir während der Woche unsere Arbeit verrichten, um dann am Schabbat uns jeder schöpferischen Tätigkeit zu enthalten, können wir seine ganze Schönheit und Heiligkeit erfahren. Nur wenn wir nach sechs Jahren dauernder Sorge und Anstrengung im siebten Jahr unsere Felder nicht bearbeiten, wird uns die Heiligkeit des Landes offenbar. Und um die Vollkommenheit und Güte der Welt des neuen Jahrtausends zu erfahren, müssen wir erst Neid und Missgunst hinter uns lassen. Dies alles bedeutet nicht, dass jene Phasen der Heiligkeit keinen tiefen Einfluss auf die sie umgebenden Phasen der Weltlichkeit hätten. Im Gegenteil, genau darin besteht ihre Funktion, aber damit sie diese erfüllen können, müssen sie zuerst von der Welt getrennt sein um dann auf sie auszustrahlen.
Doch trotz ihrer Erhabenheit - der siebte Tag, das siebte Jahr und das siebte Jahrtausend bleiben Teil der Schöpfung. Materie und Geist mögen sich von einander unterscheiden – sogar bis zu dem Punkt, an dem sie sich gegenseitig auszuschließen scheinen – und trotzdem unterliegen beide jenen Gesetzen, welche die Realität beherrschen. Der Fakt, dass sie sich voneinander trennen müssen, um Bestand zu haben, beweist ihre Endlichkeit und gegenseitige Abhängigkeit. Obwohl per Definition das Heilige das Weltliche transzendiert, so bleibt es doch immer in seiner eigenen Definition des Transzendenten gefangen.
So können wir auch die folgende Textstelle der Schöpfungsgeschichte in der Tora verstehen: in Bereschit 2:2 lesen wir
„und G-tt vollendete am siebten Tage das Werk, welches er getan hatte“.
Wenn aber das Werk am siebten Tag vollendet wurde, dann war der siebte Tag einer der Tage der Schöpfung. Dies scheint dem zweiten Teil des Satzes zu widersprechen:
„und er ruhte am siebten Tag von all dem Werk was er getan hatte“.
Unsere Weisen erklären, dass mit dem Schabbat die Ruhe geschaffen wurde. Obwohl getrennt von alltäglichen, so sind Ruhe, Spiritualität und Transzendenz doch ein Teil der Schöpfung.
Kreis und Peripherie
Ebenso wie die Zahl sieben die natürliche, geschaffene Realität bezeichnet, so steht die Zahl acht für das Übernatürliche, welches den Kreis der Schöpfung umgibt.
Sieben – das ist Materie und Geist, das Weltliche und das Heilige, Involviertheit und Losgelöstheit verbunden in einem Kreis. Sieben, das ist der Einfluss des Heiligen, der immer währt und doch immer getrennt bleiben muss. Acht, das ist eine Realität jenseits jeder Begrenzung und jeder Definition. Diese achte Dimension (wenn wir sie so nennen wollen) geht über die Natur hinaus und wohnt ihr doch gleichermaßen inne. Sie ist nicht auf Materie oder Geist begrenzt, aber doch in ihnen immer zugegen.
Der Bund der Beschneidung, der Bund zwischen dem Juden und G-tt jenseits von Natur und Konvention findet am achten Tag statt. Das Fest Schmini Azeret – das Fest der Bindung, an dem das Licht der Heiligkeit, welches die Juden in der Sukka umgibt, verinnerlicht und verankert wird, findet am achten Tag statt. Auf sieben Schmitta-Zyklen folgt ein Jowel - das Jubeljahr – an dem wir endlich frei sind von allen Banden. Und so wurde auch der Mischkan am achten Tag eingeweiht.
Auf selbe Weise wird auch auf das von Moschiach geprägte siebte Jahrtausend ein achtes folgen. Dies ist die übergeschichtliche kommende Welt – Olam Haba – in der geschaffene Realität und g-ttliche Realität auf für uns jetzt ganz unfassbare Weise vereint sein werden. In den Worten des Talmud:
„Alle Propheten sprachen nur über die Tage von Moschiach. Was die kommende Welt betrifft – kein Auge kann sie fassen, G-tt, nur Deines.“
Diskutieren Sie mit