Der letzte Tag von Sukkot heißt auch Simchat Thora, weil wir an diesem Tag die Thora zu Ende lesen. Dies ist natürlich ein Grund zur Freude und deshalb ist Simchat Thora ein sehr freudiges Fest. Es gibt ein weiteres Fest, das mit der Thora zu tun hat, und zwar Schawuot, der Tag an dem wir die Thora erhalten haben. Weshalb aber veranstalten wir ein Fest für die Thora zu Simchat Thora, wo es doch passender wäre, dies zu Schawuot zu tun (Zwar ist Schawuot auch ein Festtag, doch zu Simchat Thora ist die Freude viel größer)? Schließlich lesen wir zu Simchat Thora die Thora nur zu Ende, zu Schawuot jedoch haben wir die Thora empfangen!
Die Frage ist eigentlich grundlegender: Weshalb wurde der letzte Tag von Sukkot als der Tag für das Beenden und Beginnen der Thora aufs Neue festgelegt (wodurch dieser Tag seinen besonderen Namen „Simchat Thora“ erhielt) und nicht Schawuot? Wäre es denn nicht passender gewesen, die Thora am selben Tag zu beenden und zu beginnen, an dem wir sie auch erhalten haben?!
Die Steintafeln zu Jom Kippur
Die Lehre der Chassidut erklärt,1 dass sowohl das Beenden und Beginnen der Thora, wie auch die große Freude zu Simchat Thora mit Jom Kippur in Verbindung stehen, an dem wir zum zweiten Mal die zwei Steintafeln erhielten, nachdem die ersten zwei Steintafeln wegen der Sünde des goldenen Kalbs zerbrochen worden waren.
Zwar erhielten wir zu Schawuot die Thora und die ersten zwei Steintafeln mit den zehn Geboten, doch die Steintafeln, die wir zu Jom Kippur erhielten, waren um Vieles heiliger. Deshalb, um ihre Besonderheit gegenüber den ersten zwei Steintafeln zu betonen, beenden und beginnen wir zu Simchat Thora die Thora und machen ein großes Fest, im Anschluss auf Jom Kippur.
Freude an der erbrachten Leistung
Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Schawuot und Simchat Thora: Zu Schawuot freuen wir uns über die Thora, wie man sich über ein Geschenk freut. Denn G-tt schenkte sie uns. Zu Simchat Thora freuen wir uns aber, dass wir die Thora zu Ende gelesen haben. Wir freuen uns über unsere erbrachte Leistung beim Lernen und Lesen der Thora.
Echte Freude kommt nicht durch Geschenke. Der Talmud bezeichnet „geschenktes Brot“ als „Brot der Schande“.2 Die Freude ist daran nicht vollkommen. Wodurch erlangt man echte Freude und wahre Zufriedenheit? – indem man etwas durch Leistung und Anstrengung erreicht.
Deshalb veranstalten wir nicht ein Fest zu Ehren der Thora zu Schawuot, da die Freude nicht vollkommen ist; wir erhielten die Thora als Geschenk. Über die Thora freuen wir uns wirklich zu Simchat Thora, nachdem wir mit eigenen Kräften die Thora zu Ende gelesen und gelernt haben. Dadurch verdienen wir uns die Thora und spüren, dass sie wirklich uns gehört.
Die Freude der Baale Tschuwa
Der Unterschied zwischen Schawuot uns Simchat Thora drückt sich auch in den ersten und zweiten Steintafeln aus. Die ersten Tafeln waren das „Werk G-ttes“ und die „Botschaft G-ttes“.3 Doch die zweiten Tafeln waren zwar die „Botschaft G-ttes“, doch nicht das „Werk G-ttes“, denn Mose meißelte sie selbst.4 Die ersten Tafeln drücken den Erhalt der Thora als Geschenk aus. Die zweiten Tafeln drücken den Erhalt der Thora durch die Leistung des Menschen aus. Deshalb hängt die große Freude zu Ehren der Thora mit Jom Kippur, an dem wir die zweiten Tafeln erhielten, zusammen und nicht mit Schawuot, an dem wir die ersten Tafeln erhielten.
Es besteht ein weiterer Unterschied zwischen Schawuot und Jom Kippur:
Als die Kinder Israels zu Schawuot die ersten Tafeln erhielten, hatten sie den Status „Zadikim“ (vollkommene G-ttesdiener). Sie waren alle miteinander vereint, um die Gebote der Thora bedingungslos auf sich zu nehmen.5 Als sie aber zu Jom Kippur die zweiten Tafeln erhielten, hatten sie den Status „Baale Tschuwa“ (die zu G-tt Zurückkehrenden), denn sie waren zu G-tt zurückgekehrt, nachdem sie sich mit dem goldenen Kalb versündigt hatten.
Auch dies erklärt, weshalb die Freude über die Thora gerade mit Jom Kippur zusammenhängt, denn die Freude der Baale Tschuwa über die Thora ist um Vieles größer als die Freude der Zadikim, da sie zu G-tt zurückfanden, nachdem sie gesündigt hatten. Und diese Rückkehr bringt natürlich eine große Freude mit sich.
(Likutej Sichot, Band 14, Seite 156)
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