25. Elul 5719 (1959)

... Mögen diese Tage am Ende des Jahres und am Vorabend des neuen Jahres uns Segen bringen, uns zur Selbstprüfung anregen und uns veranlassen, im Lichte dieser kritischen Prüfung gute Vorsätze für das kommende Jahr zu fassen.

So eine Bilanz ist aber nur nützlich, wenn die Selbstprüfung im Rahmen unserer Fähigkeiten und Möglichkeiten ehrlich war. Nur dann können wir die verpassten Chancen in angemessenem Umfang wahrhaft bereuen und beschließen, unser Potenzial von nun an voll zu nutzen.

Die Zeit vor und während Rosch Haschana ist nicht nur eine Gelegenheit für eine allgemeine spirituelle Bilanz, sondern auch für eine innere Bejahung der enormen Fähigkeiten, die wir besitzen – als Mensch, der die Krone der Schöpfung ist, und als Jude, dem der Schöpfer sein Gesetz des Lebens (Toras Chajim) gegeben hat. Denn der Mensch wurde an Rosch Haschana geschaffen.

Nachdem der Schöpfer Adam geschaffen hatte, lobte er seine Fähigkeiten und erklärte ihm den Sinn des Lebens: „Füllt die Erde und erobert sie; herrscht über die Fische im Meer und das Geflügel in der Luft und alle lebenden Wesen auf Erden“ (Gen. 1:28). Der Mensch erhielt also die Macht, die ganze Welt zu erobern und über sie zu herrschen, zu Lande, im Wasser und in der Luft. Das war sein Auftrag. Wie aber soll er diese „Eroberung“ bewerkstelligen, und was ist ihr wahrer Sinn? Unsere Weisen sagen dazu Folgendes:

Als G-tt Adam geschaffen hatte, durchdrang und erleuchtete Adams Seele – sein g-ttliches Ebenbild – sein ganzes Wesen. Darum wurde er zum Herrn der ganzen Schöpfung. Alle Kreaturen dienten ihm und wollten ihn als ihren Schöpfer ehren. Doch Adam wies sie auf ihren Irrtum hin: „Kommt alle her, damit wir G-tt, unseren Schöpfer, verehren.“ Das Wort „Eroberung“, das die Aufgabe und den Auftrag des Menschen bezeichnet, meint die Erhöhung der ganzen Natur, einschließlich der Tiere, damit sie den Menschen dienen. Die Menschen sollten vom g-ttlichen Ebenbild, der Seele, einem wahren Teil G-ttes, durchdringen und erleuchtet sein, damit die ganze Schöpfung erkennt, dass G-tt unser Schöpfer ist.

Bevor ein Mensch die Welt erobern kann, muss er sich natürlich zuerst selbst erobern, und zwar indem er das „Irdische“ und das „Tierische“ in sich besiegt. Das gelingt mit Taten, die völlig mit den Geboten der Tora übereinstimmen, dem Gesetz des Lebens, dem praktischen Leitfaden für den Alltag. Dann wird das Materielle vom Licht G-ttes, unseres G-ttes, durchdrungen und erleuchtet.

G-tt schuf einen Menschen und gab ihm einen Auftrag. Das bedeutet, dass ein einzelner Mensch, jeder Mensch, „die Welt erobern“ kann. Wenn ein Mensch diese Aufgabe nicht erfüllt und seine unschätzbaren g-ttlichen Kräfte nicht nutzt, ist das nicht nur ein Verlust für ihn, sondern er beeinflusst damit das Schicksal der ganzen Welt.

In diesen Tagen der Innenschau haben wir die Pflicht, darüber nachzudenken, dass wir Welten erobern können, indem wir den Auftrag des Schöpfers erfüllen, der in seiner Tora enthalten ist. Jeder von uns muss sich fragen: „In welchem Umfang habe ich dieses Ziel erreicht, und in welchem Umfang habe ich versagt?“ Dann kann er die richtigen Vorsätze fassen.

G-tt, der ins Herz sieht, sieht auch, wie entschlossen wir unsere guten Vorsätze verwirklichen, und er hilft uns dabei. Das erfüllt unser Herz mit Freude und macht uns materiell und spirituell reich.

Mit dem Segen Kesiwo Wachasimo Toiwo für ein glückliches und süßes Jahr.

Gez. Menachem Mendel Schneerson