Ninive ist keine jüdische Stadt, aber der Name ist den meisten jüdischen Kindern vertraut. Im Buch des Propheten Jona, das wir beim Mincha von Jom Kippur als Haftara lesen, steht diese Stadt im Mittelpunkt. Auf die Einzelheiten brauchen wir hier nicht einzugehen, weil die Geschichte bekannt ist. In diesem Buch geht es vor allem um Tschuwa (Reue und Umkehr), und was es uns zu sagen hat, passt sehr gut zum Tag der Buße.

Wenn ein Junge seinen Lehrer vor etwa hundert Jahren im Unterricht über Jona, Nachum oder Zephania (sie alle erwähnen Ninive) gefragt hätte: “Wo liegt diese Stadt? Kann man sie besuchen?”, hätte der Lehrer antworten müssen: “Wir wissen sehr wenig über Ninive.” Heute sind wir besser informiert, denn in den vergangenen hundert Jahren haben Archäologen einen großen Teil der einst schönen und mächtigen Hauptstadt des großen assyrischen Reiches ausgegraben.

Heute ist es nicht schwer, nach Ninive zu reisen. Wir brauchen nur nach Haifa in Israel zu fahren und der berühmten Ölpipeline nach Mosul im Irak zu folgen. Dort, jenseits des Tigris, am linken Ufer und gegenüber von Mosul liegen die Ruinen der einst so stolzen Stadt Ninive.

Ninive war eine der ersten Städte, die je gebaut wurden. Chumasch berichtet, dass König Nimrod (auch Assur genannt), der Vater des assyrischen Volkes, der Erbauer war. Das war zur Zeit Abrahams. Sie wuchs offenbar stetig und wurde vor etwa 3000 Jahren die Hauptstadt Assyriens. Unter den mächtigen assyrischen Königen wurde die Stadt vergrößert und verschönert. Sargon baute eine starke Mauer um die Stadt, die drei andere Städte einschloss. Diese vergrößerte Stadt meint der Prophet Jonas, wenn er von einer Stadt spricht, die “drei Tagereisen groß” war.

Unter Sennacherib wurde Ninive noch größer und schöner. Er errichtete große Paläste in ihr. Eines der Schlösser, die er baute (es wurde nur teilweise ausgegraben) enthielt 71 große, reich geschmückte Räume. Sennacherib baute auch Waffenkammern für seine Soldaten und verstärkte die Festungen, die jeden Teil der langen Mauer bewachten. Er versorgte die Einwohner mit Wasser aus den Bergen, das durch achtzehn Kanäle und einen erstaunlichen Aquädukt in die Stadt geleitet wurde. Im Stadtzentrum ließ der König, der offenbar viel von Stadtplanung verstand, ein “Paradies” anlegen, einen riesigen Park mit Bäumen, Pflanzen und Blumen aus der ganzen bekannten Welt. Niemand durfte um diesen Park herum Häuser oder Werkstätten bauen.

Assurbanipal machte Ninive zur Perle des Ostes. Sein wichtigstes Bauwerk war die größte Bibliothek des Altertums, die vor kurzem ausgegraben wurde. Man fand darin Zehntausende von Tontafeln mit der gesamten babylonischen Literatur und einem großen Teil der damaligen Weltliteratur. Die Ordnung und die Sorgfalt, mit der die Bibliothek geführt wurde, ist verblüffend.

Zur Zeit Jonas war Ninive das Zentrum der Unmoral und Verderbtheit. Es ist verständlich, dass der Prophet sich weigerte, seinen Fuß in diese quirlige, elegante Weltstadt zu setzen, um die Menschen zur Tschuwa zu ermahnen, damit die Stadt nicht zerstört werde. Noch verständlicher ist die Überraschung des Propheten, als seine Worte bei den Bewohnern der assyrischen Metropole Gehör fanden. Die Menschen in Ninive, vom Sklaven bis zum König, hörten auf zu sündigen und kehrten zu G-tt zurück. Sie gingen in Sack und Asche und bereuten ihr böses Tun aufrichtig. Ein derartiges Ereignis sollte die Welt nie wieder erleben!

Doch nach einiger Zeit kehrte Ninive zum sündhaften Leben zurück, und ihr Ende war unvermeidlich, wie Nachum und Zephania vorhersagten: “Das Schicksal Ninives, der blutigen Stadt. Sie ist voller Lügen und Raub, das Plündern hört niemals auf ... O König von Assyrien, es gibt keine Heilung für deine Sündhaftigkeit, deine Wunde ist tödlich. Alle, die von dir hören werden, werden mit den Händen klatschen, denn es gibt niemanden, der nicht unter deinen Lastern leidet!

Etwa im Jahr 612 vor der Zeitenwende zerstörten die Meder und Perser die Stadt vollständig, und sie wurde nie wieder bewohnt. Das mächtige assyrische Reich, das den Norden Israels vernichtet hatte, wurde schwer bestraft. Ninive wurde vom Angesicht der Erde vertilgt, und seine Ruinen sind heute noch ein beredtes Zeugnis dafür, wie es den Hochmütigen und Mächtigen ergeht.

Rabbi Tachlifa lehrte: Alles, was ein Mensch im kommenden Jahr verdient, wird in der Zeit von Rosch Haschana bis Jom Kippur festgelegt, außer den Kosten für den Schabbat und die Feiertage sowie die Gebühren des Toraunterrichts für die Kinder. Diese Ausgaben werden nicht im Voraus festgelegt, so dass wir mehr bekommen, wenn wir mehr dafür aufwenden, und weniger bekommen, wenn wir weniger dafür aufwenden. (Talmud Bawli, Beza 16a)