Vater spielte gerne mit seinem kleinen Sohn, denn er liebte ihn sehr. Einmal brachte er ihm einen wunderschönen Apfel - aber er gab ihm den Apfel nicht sofort. Der kleine Junge streckte die Hand nach dem Apfel aus, doch der Vater zog ihn schnell weg. Der Junge versuchte es noch einmal, und wieder wurde ihm der Apfel vor der Nase weggeschnappt. Das wiederholte sich sieben Mal. Natürlich war es ein Spiel, aber der Kleine wollte den Apfel wirklich haben.
Nun war der Junge ziemlich schlau. Er überlegte, wie er seinen Vater dazu bringen konnte, ihm den Apfel sofort zu geben. Ratet mal, was er getan hat.
Als der Vater den Apfel wieder wegzog, sprach der Junge rasch den Segen über dem Apfel, weil er wusste, dass alle braven Kinder das tun sollen. Jetzt hatte der Vater keine andere Wahl, als ihm den Apfel zu geben, sonst wäre ja der Segen falsch gewesen!
Etwas Ähnliches tun wir auch am Jom Kippur, am Bußtag. Wir fasten und bitten G-tt um Vergebung für unsere Sünden. In unseren Gebeten an diesem Tag sprechen wir einen Segen, in dem wir G-tt als “König, der unsere Sünden vergibt” preisen.
Natürlich will G-tt nicht, dass wir einen falschen Segen sprechen. Darum vergibt er uns, wenn wir es aufrichtig wollen. Aber vorher muss uns alles, was wir falsch gemacht haben, leid tun, und wir müssen von ganzem Herzen versprechen, nicht mehr zu sündigen.
Nissan Mindel, The Complete Story of Tischrei, Kehot Publication Society
Das Bieten am Erew Jom Kippur
Im alten Rom lebte einmal ein jüdischer Schneider. Er arbeitete hart und lebte einfach und bescheiden. Die meisten seiner Ersparnisse gab er am Schabbat und Jomtow aus, denn beide hielt er in hohen Ehren. Eines Tages, es war Erew Jom Kippur, ging er auf den Markt, um für das Festmahl Fisch zu kaufen. Er wusste, dass es eine wichtige Mizwa war, den Tag mit einer Feier zu ehren, und Fisch passte gut zu diesem Anlass.
Aber er fand zunächst keinen einzigen Fisch auf dem Markt. Schließlich sah er einen Fischer, der einen großen Fisch zu verkaufen hatte. Der Schneider war froh darüber und holte seinen Geldbeutel aus der Tasche. Doch in diesem Augenblick kam ein vornehm gekleideter Mann, der sehr wichtig aussah.
“He, Fischer”, rief der Fremde. “Was willst du für diesen Fisch?”
“Herr, dieser Jude war zuerst da. Ich verkaufe an ihn, wenn er meinen Preis zahlt”, erwiderte der Fischer.
“Ich zahle alles, was du verlangst”, warf der Schneider hastig ein.
“Weißt du nicht, wer ich bin? Ich bin der Verwalter des Bürgermeisters! Außerdem zahle ich dir mehr als dieser Jude”, sagte der Fremde.
Der Fischer wusste nicht, was er tun sollte. Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge versammelt und schaute neugierig zu. Einer aus der Menge rief: “Verkaufe an den Meistbietenden!”
“Ich gebe dir einen ganzen Dinar!” rief der Verwalter und hoffte, den jüdischen Schneider damit zum Verstummen zu bringen und gleichzeitig, die Zuschauer zu beeindrucken.
“So viel Geld für einen Fisch!” riefen ein paar Leute erstaunt. Doch bevor ihre Überraschung sich gelegt hatte, sagte der Schneider ruhig:
“Zwei Dinar.”
“Zwei Dinar!” stöhnte die Menge. “Habt ihr das gehört? Zwei Dinar!”
“Drei!” bot der Verwalter an.
“Vier” erwiderte der Schneider.
“Fünf!” sagte der Verwalter, der seinen Ärger nicht mehr verbergen konnte.
“Sechs” entgegnete der Schneider.
So ging das Bieten weiter, bis der Schneider nicht weniger als zwölf Dinar für den Fisch bot. Da gab der Verwalter auf, denn er fürchtete, sein Herr werde ihn für verrückt halten, wenn er einen Fisch für einen derart unerhörten Preis kaufte.
Der Schneider zahlte, nahm den Fisch und ging nach Hause, um ihn für das Festmal am Jom Kippur zuzubereiten.
Als der Verwalter ohne Fisch zu seinem Herrn kam und ihm erzählte, was auf dem Markt geschehen war, ließ der Bürgermeister den jüdischen Schneider rufen und fragte ihn, warum er einen so hohen Preis für den Fisch bezahlt habe.
“Heute ist für uns Juden ein heiliger Tag, Herr”, antwortete der Schneider. “Es ist der Tag vor Jom Kippur, an dem G-tt uns unsere Sünden vergibt, wenn wir sie aufrichtig bereuen. Am Jom Kippur fasten wir, aber den Tag vorher müssen wir mit einem Festmahl ehren. Zwölf Dinar waren alles, was ich hatte, aber wenn es um eine Mizwa geht, ist das Geld nicht entscheidend.”
Die Aufrichtigkeit und Frömmigkeit des jüdischen Schneiders machten großen Eindruck auf den Bürgermeister, und er ließ ihn unbehelligt gehen. Der Schneider hatte keine Ahnung, was ihn zu Hause erwartete. Als seine Frau den Fisch öffnete, fand sie im Inneren eine große Perle!
“G-tt hat uns wahrhaftig belohnt!” sagte der Schneider. Danach lebten sie bis ans Ende ihres Lebens im Wohlstand, und jedes Jahr feierten sie Erew Jom Kippur noch ehrfürchtiger als im Jahr zuvor.
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