Die Diener des Grafen fingen einen großen Fisch. Der Fisch schnappte nach Luft und hörte jemand sagen: „Wie schön er ist! Der Graf wird sich freuen. Er liebt Fisch.“ Obwohl der Fisch viel leiden musste, tröstete er sich mit der Aussicht auf bessere Zeiten. Denn alle Leute riefen ja: „Der Graf wird sich freuen. Er liebt Fisch!“
Doch zu seiner Überraschung setzte man ihn nicht in einen Teich des Schlossparks, sondern brachte ihn in die Küche. Auch dort riefen die Leute: „Der Graf wird sich freuen. Er liebt Fisch!“ Jetzt wusste der Fisch, welches Schicksal ihm drohte, und als der Koch das Messer schwang, klagte er: „Der Graf liebt die Fische nicht. Er denkt überhaupt nicht an mich. Er liebt sich selbst!“
Wenn wir behaupten, einen Menschen zu lieben, wollen wir oft nur etwas von ihm haben. Der andere bewirkt, dass wir uns wohl fühlen, und das gefällt uns. Diese Geschichte ist eine gute Einführung in Lag BaOmer, einen jüdischen Feiertag. Warum feiern wir an diesem Tag? Unter anderem deshalb, weil an ihm eine Pestkrankheit endete, an der Tausende von Anhängern des Rabbi Akiwa gestorben waren. Was war die Ursache der Pest? Unsere Weisen sagen, Akiwas Schüler hätten einander nicht respektiert. Das wirft viele Fragen auf. Rabbi Akiva legte großen Wert aufs Teilen und auf Einigkeit. Er lehrte: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Das ist ein großes, allgemeines Prinzip der Tora.“ Wie war es möglich, dass seine Anhänger vom Weg ihres Lehrers abwichen und einander nicht achteten?
Die Antwort lautet: Wahre Liebe bedeutet, über sich selbst hinauszuwachsen und vom anderen nichts zu verlangen. Selbst wenn wir das Beste im Sinn haben – und das müssen wir von Rabbi Akiwas Schülern annehmen –, kann Egoismus uns vom rechten Weg abbringen. Dann gelingt es uns nicht, einem Menschen Respekt und Rücksicht entgegenzubringen, selbst wenn wir ihn eigentlich lieben wollen.
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