Wie Wasser kunstvoll sein Gefäß ausfüllt, so nimmt auch die Seele die Konturen ihres Behälters – des menschlichen Körpers – an. Sie fließt in jeden Körperteil, in jedes Organ, mit dem biologischen Mechanismus entsprechend interagierend, und erlaubt dem Körper, die ihm innewohnende Lebenskraft zum Ausdruck zu bringen. Die Seele belebt die große Zehe nicht weniger als das Gehirn, doch die spirituelle Energie der großen Zehe ist auf die Funktion jenes Körperteils begrenzt, während die Energie, welche durch das Gehirn vermittelt wird, von größerer Intensität und Reichhaltigkeit ist. Es ist das Gehirn, durch das die Lebenskraft der Seele in die übrigen Bereiche des Körpers strömt.

Auf kosmischer Ebene füllt ebenfalls ein „Atem der Schöpfung“ die galaktischen Teile und kommt durch sie zum Ausdruck, seien es physikalische Phänomene des Sonnensystems oder des Weltalls generell, oder sei es durch die geistige Flora und Fauna der höheren Welten.

Ein subtilerer Ausdruck der Seele der Schöpfung ist die Dimension der Zeit. Zeit ist ebenso wie Raum gekennzeichnet durch Unterschiede in Kontur, Form und Inhalt. Doch die Konturen der Zeit sind für das Auge nicht sichtbar. Sie werden durch die Auffassungsgabe der Weisheit und der Einsicht gefühlt.

Auch die Zeit hat einen – metaphorischen – Kopf und Körper. Der hebräische Monat Tischrei ist das „Gehirn“ durch welches die Seele der Zeit fließt bevor es die Lebenskraft in den Rest des Zeit-Körpers weiterleitet.

Jeder der hebräischen Monate ist durch einen Charakter gekennzeichnet – durch eine spirituelle Kontur. Der Monat Nissan, zum Beispiel, deckt die geistige Macht nationaler Stärke auf – und ist daher der Monat des Auszugs aus Ägypten. Siwan ist der Monat des Akzeptierens von Einsicht – daher fand in diesem Monat die Gabe der Tora am Berg Sinai statt. Tischrei ist der Kopf zum Körper all der anderen Monate des Jahres. In der gleichen Art in der wir die Weisheit eines großen Meisters zu schätzen wissen, und uns darauf freuen, zu Füssen des Meisters zu sitzen, und von der Quelle der Einsicht zu trinken, so sitzen wir zu Füssen des Monats Tischrei, und suchen den schöpferischen Fluss der Zeit, den dieser Monat bringt.

Doch sogar ein Schüler, der zu Füssen des Meisters sitzt, muss sich zuerst vorbereiten, um wert zu sein, die Weisheit aufzunehmen. So verbringen wir den Monat davor, Elul, uns geistig vorbereitend für den Moment da die Seele der Schöpfung neu fließt, und die Schöpfung mit dem neuen Gewand einer neuen Zeit umhüllt.

Das größte Potential des Monats Tischrei liegt im Anfang dieses ersten aller Monate. So wie der kreativste Moment jedes Gedankens sein Beginn ist, - der Moment des Bewusstseins, wenn der Funke der Erleuchtung zum ersten Mal erscheint – so sind die ersten beiden Tage des ersten Monats die schöpferischsten Tage des Jahres.

Diese bestimmenden Tage des Tischrei heißen Rosch Haschana – „der Kopf des Jahres“. Und du und ich verbringen den Rest des Jahres damit, die neue Gabe dieser „neuen Zeit“ anzunehmen, und sich darum zu bemühen, ein würdiger Mitschöpfer der noch unvollendeten Symphonie der Schöpfung zu sein.

Möge der Fluss der „neuen Zeit“ uns allen die Weisheit und Einsicht bringen, um den Prozess des spirituellen Bauwerks, der Mizwot, auszuführen, und die Verwirklichung eines neuen Gesangs geistiger Schönheit hervorzurufen, den die Welt singen wird, wenn unsere Augen wahrhaft geöffnet sein werden.

Übungen

Meisterschaft: Alle Ereignisse finden im „Gefäss der Zeit“ statt. Sie mögen als ein einfacher Faden von unbedeutenden, nicht zueinander in Beziehung stehenden Geschehnissen erscheinen. Und doch hast du die Gabe, durch Bewusstseinsbildung, sie zu erheben, indem du Einsicht aus ihnen schöpfst, und sie auf eine Ebene von Bedeutung zu heben. Bewusst und mit Tiefe zu leben heisst, die Momente der Zeit aufzunehmen und sie mit deiner tiefsten Erkenntnis zu verbinden. Dann sind nicht nur die Ereignisse gehoben, auch die Zeit von „hier und jetzt“ wird geheiligt.

Meditation: Sitze ruhig und beobachte die Veränderungen, die ständig rund um dich passieren. Das mag ein Moment auf der Strasse sein, eine Fliege am Fenster surrend, oder die sanfte Bewegung deines Brustkorbs und Zwerchfells während du atmest. Was sagen dir diese zufälligen Ereignisse? Wie sprechen sie zu dir? Finde eine Bedeutung in der Art in der sie zusammenhängen könnten. Nichts geschieht ohne Grund. Der Baal Schem Tow lehrte, dass sogar das scheinbar Zufällige eine Bedeutung für den Beobachter enthält. Wenn du wirklich hinschaust, nicht nur gedankenlos siehst, dann kippen die Wellen der Unsicherheit in einen Moment wahrer Wirklichkeit. Mach dein Jahr in Wahrheit wirklich. Sei dir der fortlaufenden Schöpfung bewusst.