Die folgende Sicha handelt von der Schwierigkeit des Übersetzens. Es ist nicht unbedingt richtig, dass es für jedes Wort in einer Sprache eine genaue Entsprechung in einer anderen Sprache gibt. Das gilt erst recht für die wichtigen und für das Judentum einzigartigen Ideen.

Wir dürfen nicht den Irrtum begehen, einen jüdischen Gedanken mit einem Gedanken aus einer anderen Kultur gleichzusetzen - es kann sogar sein, dass beide sich widersprechen.

Genau das ist der Fall mit drei Worten, die wir an den zehn Tagen von Tschuwa ständig im Sinn haben: Reue, Gebet und Almosen.

Wie sehr diese Worte sich von ihren jüdischen Gegenstücken - Tschuwa, Tefilla und Zedaka - unterscheiden, hat der Rebbe sehr gefühlvoll erklärt.

Das religiöse Leben an den zehn Tagen

Wir drücken unsere Hoffnung aus, dass G-tt uns an Rosch Haschana mit einem „guten und süßen“ neuen Jahr segnen und uns Kinder, Gesundheit und Nahrung geben möge. Aber Güte und Segen haben keine Grenze. Darum haben wir während der zehn Tage von Tschuwa die Möglichkeit, G-tt durch unser religiöses Leben zu noch größeren Gaben zu veranlassen.

Worin besteht diese Religiosität? Es handelt sich, wie wir in unseren Gebeten sagen, um „Reue, Gebet und Almosen“, die das Böse abwehren und das Gute anziehen. Aber diese drei Worte sind irreführend, wenn sie falsche Vergleiche zwischen dem Judentum und der Welt außerhalb des Judentums provozieren.

In Wirklichkeit gibt es erhebliche Unterschiede. Tschuwa ist nicht Reue, Tefilla ist nicht Gebet, und Zedaka ist nicht Almosen.

Tschuwa und Reue

„Reue“ ist im Hebräischen nicht Tschuwa, sondern Charata. Diese Worte sind nicht nur keine Synonyme, sondern Gegensätze.

Charata meint ein Gefühl der Schuld angesichts der Vergangenheit und die Absicht, sich in Zukunft anders zu verhalten. Wir beschließen, „ein neuer Mensch“ zu werden. Aber Tschuwa bedeutet „Umkehr“ oder „Rückkehr“ zu unserer alten, ursprünglichen Natur.

Dem liegt die Tatsache zugrunde, dass ein Jude seinem Wesen nach gut ist. Gier oder Versuchungen können ihn jedoch zeitweilig daran hindern, er selbst zu sein.

Aber das Böse, das ein Jude tut, ist kein Teil seiner wahren Natur und kann diese auch nicht beeinflussen.

Tschuwa ist also die Rückkehr zu uns selbst. Während die Reue den Bruch mit der Vergangenheit und einen Neubeginn bedeutet, ist Tschuwa die Rückkehr zu unseren Wurzeln in G-tt und zu unserem wahren Selbst. Der Rechtschaffene hat vielleicht keinen Grund zur Reue, und der Sünder ist möglicherweise unfähig dazu. Trotzdem können beide Tschuwa praktizieren!

Auch der Rechtschaffene, der nie gesündigt hat, muss ständig danach streben, zu seinem Selbst zurückzukehren. Und der Sünder, der G-tt fern ist, kann jederzeit zurückkehren, weil Tschuwa nicht bedeutet, etwas Neues zu schaffen. Es bedeutet, das Gute neu zu entdecken, das immer da war.

Tefilla und Gebet

„Gebet“ ist im Hebräischen nicht Tefilla, sondern Bakascha. Auch das sind Gegensätze. Bakascha heißt beten, verlangen, fordern. Tefilla bedeutet, „sich selbst binden“. Beim Bakascha bitten wir G-tt, uns zu geben, was uns fehlt. Wenn uns nichts fehlt oder wenn wir nichts haben wollen, ist Bakuscha also überflüssig.

Bei Tefilla versuchen wir jedoch, uns an G-tt zu binden. Das ist eine Bewegung von unten, vom Menschen hinauf zu G-tt. Und das brauchen wir alle zu jeder Zeit.

Die jüdische Seele ist mit G-tt verbunden. Aber sie wohnt in einem Körper, dessen Neigung zur materiellen Welt das Band schwächen kann. Darum müssen wir es ständig erneuern und stärken. Das ist der Sinn von Tefilla, und darum braucht jeder Jude Tefilla.

Es mag zwar Menschen geben, denen nichts fehlt und die keine Bitte an G-tt haben, aber es gibt keinen Menschen, der sich nicht mit der Quelle alles Lebens verbinden müsste.

Zedaka und Almosen

Das hebräische Wort für „Almosen“ ist nicht Zedaka, sondern Chesed. Wiederum handelt es sich um Gegensätze.

Chesed bedeutet, dass der Empfänger keinen Anspruch auf die Gabe hat und der Gebende nicht verpflichtet ist, etwas zu geben. Er gibt, weil er großzügig ist, und darum ist seine Gabe keine Pflicht, sondern eine Tugend.

Zedaka bedeutet dagegen „Rechtschaffenheit“ oder „Gerechtigkeit“. Der Gebende handelt aus Pflichtbewusstsein. Denn erstens gehört alles auf der Welt letztlich G-tt. Was wir besitzen, ist somit nicht unser Eigentum, sondern es ist uns von G-tt anvertraut, und eine der Bedingungen dafür ist Mildtätigkeit gegenüber Bedürftigen.

Zweitens hat der Mensch die Pflicht, andere so zu behandeln, wie er von G-tt behandelt werden möchte. Wir bitten G-tt um seinen Segen, obwohl er uns nichts schuldet. Darum sind wir auch verpflichtet, denen zu geben, die uns darum bitten, selbst wenn wir ihnen nichts schulden. Dafür werden wir belohnt, Maß für Maß: Weil wir anderen geben, gibt G-tt auch uns.

Das gilt vor allem für Zedaka, die den Einrichtungen für das Studium der Tora zugute kommt. Denn jeder, der dort ausgebildet wird, ist Teil des künftigen Fundaments eines Hauses in Israel und ein Vorbild für die künftige Generation. Das ist die Folge von Zedaka, und danach richtet sich der Lohn.

Drei Wege

Diese drei Wege führen zu einem Jahr, in dem der Erfolg „eingeschrieben und versiegelt“ ist. Wir kehren zu unserem wahren Selbst zurück (Tschuwa), binden uns ans G-tt (Tefilla) und teilen unseren Besitz aus Rechtschaffenheit (Zedaka). Damit verwandeln wir die Verheißung von Rosch Haschana in die Fülle von Jom Kippur - in ein süßes, reiches Jahr.1