Nebukadnezar, der König von Babylon, zerstörte das Reich Juda, seine Hauptstadt Jerusalem und den Beit Hamikdosch, den Heiligen Tempel. Er ließ den größten Teil der Königsfamilie und der Edlen des Landes töten oder gefangen nehmen. Die Führungsschicht Judas, einschließlich der Priester und der zivilen und militärischen Elite, wurde nach Babylon verschleppt. Viele wurden in Ribla gnadenlos getötet. Juda war vernichtet und seiner besten Söhne beraubt.

Doch Nebukadnezar wollte Juda nicht in eine Wüste verwandeln. Darum erlaubte er dem armen Teil des Volkes, in Juda zu bleiben, um den Boden zu bearbeiten und die Weinberge zu pflegen. Gedalia, den Sohn Ahikams, setzte er zum Regenten ein.

Dem Propheten Jeremia hatte man erlaubt zu wählen. Er durfte entweder in Juda bleiben oder als Ehrengast der Königsfamilie nach Babylon gehen. Er beschloss, bei seinem Volk auf dem heiligen Boden zu bleiben. Jeremia ging nach Mispa, das nicht weit von Jerusalem im Norden lag. Dort hatte Gedalia seine Verwaltung eingerichtet und ihm volle Unterstützung angeboten. Gedalia freute sich über die Entscheidung des Propheten, und Mispa wurde zum spirituellen Zentrum des Volkes.

Gedalia war ein weiser, sanfter und bescheidener Mann. Eifrig ermutigte er das Volk, die Felder und Weinberge zu bebauen und dadurch sein Überleben zu sichern. Unser seiner weisen Führung begann das jüdische Volk zu gedeihen, und sein Ruhm verbreitete sich bis ins Ausland. Viele Juden, die während des Krieges in benachbarte Länder geflohen waren, hörten von der aufblühenden jüdischen Gemeinde in Juda. Sie zogen nach Mispa und wurden von Gedalia herzlich aufgenommen.

Der jüdische Regent ermahnte seine Brüder und Schwestern, gegenüber dem König von Babylon loyal zu sein, und versprach ihnen Frieden und Sicherheit. Sein Rat wurde befolgt. Die babylonischen Soldaten im Land belästigten die Juden nicht - im Gegenteil, sie boten ihnen Schutz vor feindlichen Nachbarn an. Die junge jüdische Gemeinde war auf dem besten Weg zu neuer Blüte, als feiger Verrat und Blutvergießen sie erschütterte.

Unter den Flüchtlingen, die nach Mispa gezogen waren, befand sich auch Ischmael, der Sohn des Natania und ein Nachkomme des Königshauses von Sedekia, des letzten Königs zu Juda. Ischmael war ehrgeizig und ließ sich von niemandem aufhalten, wenn er etwas haben wollte. Die Ehre und der Erfolg von Gedalia machten ihn eifersüchtig. Darum schmiedete er ein Komplott gegen Gedalia. Er fand einen Verbündeten im König von Ammon, der das Wachstum der neuen jüdischen Gemeinde mit Argwohn verfolgte.

Die Verschwörung wurde Johanan, dem Sohn des Korea, bekannt. Er war ein treuer Beamter Gedalias. Johanan warnte den Regenten vor der Gefahr, die ihn bedrohte. Doch Gedalia, der von Natur aus wahrhaftig und großzügig war, wollte an einen derartigen Verrat nicht glauben. Als Johanan sich erbot, Ischmael heimlich umzubringen, ehe er seinen bösen Plan ausführen konnte, wies Gedalia diesen Vorschlag entrüstet zurück.

Inzwischen nutzte Ischmael seine Zeit. Bald bot sich ihm die Gelegenheit, auf die er wartete. Der Regent lud ihn zu einem Fest am Neujahrstag nach Mizpa ein. Ischmael erschien in Begleitung von zehn Männern, und während der Feier töteten die ruchlosen Banditen den Regenten. Danach veranstalteten sie ein schreckliches Blutbad. Sie ermordeten Hunderte von Anhängern Gedalias und auch die kleine babylonische Garnison in Mispa. Nach dem Morden verließ Ischmael mit vielen Gefangenen Mispa und zog nach Ammon.

Jetzt war die Not der Juden groß. Der Mord an Gedalia und an den babylonischen Soldaten würde die Rache Nebukadnezars heraufbeschwören. Alle fürchteten sich vor der Strafe. Doch wohin sollten sie sich wenden? Der einzige sichere Hafen schien Ägypten zu sein, denn so weit reichte die Macht Nebukadnezars noch nicht. Aber sie verabscheuten dieses Land, obwohl seit der Befreiung aus Ägypten nach Jahrhunderten der Knechtschaft neunhundert Jahre vergangen waren. Doch ihre Verzweiflung war so groß, dass die armen Leute beschlossen, nach Ägypten zu fliehen. Also machten sie sich auf den Weg nach Süden.

Zehn Tage lang betete Jeremia zu G-tt, dann erhielt er eine g-ttliche Botschaft, die er unverzüglich dem versammelten Volk verkündete:

“So spricht der G-tt Israels: Wenn ihr in diesem Lande bleibt, werde ich euch stützen und nicht zerstören. Ich werde euch hegen und nicht ausrotten ... Fürchtet nicht den König von Babylon, denn ich bin bei euch und werde euch erretten ... Doch wenn ihr sagt: Wir wollen nicht in diesem Lande bleiben, und der Stimme eures G-ttes nicht gehorcht und sagt: Nein, wir wollen nach Ägypten ziehen, dann wird euch dort in Ägypten das Schwert treffen, das ihr fürchtet, und der Hunger, vor dem ihr Angst habt, wird euch dort in Ägypten überwältigen, und ihr werdet dort sterben ... G-tt hat zu euch gesprochen, ihr Überreste von Juda. Geht nicht nach Ägypten ... ich habe euch heute gewarnt!”

Doch Jeremias Worte stießen auf taube Ohren. Die Menschen hatten ihren Entschluss bereits gefasst und nur darauf gewartet, dass der Prophet ihn bestätigte. Obwohl sie Jeremia feierlich versprochen hatten, seinen Rat zu befolgen, beschuldigten sie ihn nun, er habe sich mit seinem Schüler Baruch, dem Sohn des Neria, verschworen und wolle sie den Babyloniern ausliefern. Also machten sich alle auf den Weg nach Ägypten und zwangen Jeremia und Baruch, sie zu begleiten.

Als die Flüchtlinge die Grenze von Ägypten erreichten, hielten sie an. Hier warnte Jeremia sie erneut: Die Sicherheit, die sie in Ägypten suchten, werde von kurzer Dauer sein. Er sagte voraus, Nebukadnezar werde bald Ägypten erobern und zerstören. Der Prophet warnte sie außerdem vor der Gefahr, die ihnen drohte, wenn sie sich mit den Ägyptern - also mit Götzendienern - vermischten. Götzendienst sei die Ursache ihres Unglücks in der Vergangenheit gewesen, und jetzt werde er ihr Schicksal besiegeln. Leider hatte der Prophet keinen Erfolg. Die jüdischen Flüchtlinge siedelten sich in Ägypten an und verloren bald ihren Glauben an G-tt. Sie beteiligten sich an den heidnischen Praktiken der Ägypter.

Einige Jahre später wurde Pharao Hophra ermordet, und es gab Aufruhr in Ägypten. Nebukadnezar nutzte diese Gelegenheit. Er drang in Ägypten ein und zerstörte das Land, und die meisten Juden kamen dabei ums Leben. Wieder hatte Jeremias düstere Prophezeiung sich bestätigt.

Wir wissen nicht, wo und wann der alte Prophet starb. Man sagt, er und sein treuer Schüler Baruch hätten ihre letzten Jahre bei ihrem Volk in Babylon verbracht.

Zum Gedenken an die Ermordung Gedalias und der Tragödie unserer damaligen Brüder und Schwestern so bald nach der Zerstörung des Beit Hamikdosch fasten wir am dritten Tag von Tischrei.