Die Idee, „Mein Körper gehört mir“ trug dazu bei, das moderne Leben säkularer und freizügiger zu machen. „Ich darf mit meinem Körper tun, was ich will“, behaupten manche Leute, „solange ich anderen nicht schade.“ Das hört sich logisch an. Wir leben ja ständig mit unserem Körper. Natürlich muss es Regeln über den Umgang mit anderen Menschen geben. Aber mein Körper ist „ich“, also geht er andere nichts an. Und warum sollte die Tora Regeln für den Umgang mit ihm aufstellen?

In der Tat geht es bei vielen Regeln und Lehren der Tora um unseren Körper. Das Gesetz des koscheren Essens betrifft den Körper. Vor und nach dem Essen sprechen wir besondere Gebete. Es gibt Gebote über Bescheidenheit und Moral. Wir dürfen unseren Körper nicht schädigen und ihn nicht einmal tätowieren.

Gewiss, G-tt ist der Herr des Universums und darf uns daher durch seine Tora Regeln geben, die jedes Detail unseres Lebens beeinflussen. Er hat die Welt erschaffen, und unser Körper ist Teil der Welt. Darum ist es vernünftig, dass die Tora uns sagt, was wir mit unserem Körper tun oder nicht tun dürfen. Aber das ist nicht alles.

Die Tora sagt, unser Körper gehöre gar nicht uns, sondern G-tt. Insofern unterscheidet er sich von unserem Besitz: Geld, Computer, Haus, Auto. Es stimmt, dass „die ganze Welt G-tt gehört“, aber er hat uns dennoch materiellen Besitz gegeben, der tatsächlich uns gehört, obwohl wir ihn natürlich im Sinne der Tora benutzen müssen. Der materielle Körper gehört uns hingegen nicht. Die Weisen sagen, G-tt habe ihn uns geliehen und daher behalte er seine spirituelle Komponente immer. Das bestätigt ein Kommentar zu einem Gesetz im Wochenabschnitt, den wir an diesem Schabbat in der Synagoge lesen: Schoftim (Deut. 16:18-21:19).

Die Tora berichtet von Gerichtsverfahren im alten Israel. Damals drohte die Todesstrafe für bestimmte Verbrechen. Diese konnte aber nur verhängt werden, wenn Zeugen gegen den Beschuldigten ausgesagt hatten. Maimonides erläutert, das jüdische Gesetz verbiete die Hinrichtung eines Menschen allein aufgrund seines Geständnisses. Wenn er behauptet, er habe jemanden ermordet, und es gibt keine Zeugen, wird er nicht als Mörder bestraft. „Dies ist ein g-ttliches Gebot“, schreibt Maimonides. Anders sieht es in alltäglichen Rechtsfällen aus, wenn um Geld oder materiellen Besitz gestritten wird. Gibt jemand zu, dass er im Unrecht ist, gilt dies als stärkster aller Beweise. Dem Talmud zufolge ist „das Geständnis einer Prozesspartei so viel Wert wie hundert Zeugen“.

Warum gibt es diesen Unterschied zwischen Geboten, die den Körper betreffen, und solchen, die den materiellen Besitz betreffen? Weil unser Körper im Gegensatz zum materiellen Besitz nicht uns gehört, sondern G-tt. Wir haben kein Recht, unseren Körper zu schädigen, nicht einmal durch ein Geständnis vor Gericht. Nur ein vollständiges legales Verfahren, das zur Zeit des Tempels sehr selten angewandt wurde, konnte zu einer Todesstrafe führen.

Wenn unser Körper geliehenes g-ttliches Eigentum bleibt, verstehen wir, warum es so viele Gebote gibt, die ihn betreffen.

Er ist besonders heilig. Wir haben im Leben die Aufgabe, die Heiligkeit unseres Körpers zu respektieren und dadurch, dass wir die Gebote der Tora einhalten, auch alle unsere materiellen Besitztümer und die ganze Welt zu heiligen. Dann begreifen wir, dass alles, was existiert, G-ttes Ruhm verkündet.