Und du sollst sie einschärfen deinen Kindern und davon reden, wenn du sitzest in deinem Hause und wenn du gehest auf dem Wege und wenn du dich niederlegest und wenn du aufstehest.“ (Deut. 6,7)

Rabbiner Josef Jizchak Schneersohn, der sechste Lubawitscher Rebbe, hat diesem Bibelvers eine sehr aufschlussreiche Erläuterung gegeben. Beim Tora-Lernen gibt es mehrere Ebenen und mehrere Phasen. Die Tora gehört zu jeder Phase der Existenz einer Person.

Mit „wenn du sitzest in deinem Hause“ ist der Zustand der Seele vor ihrem Abstieg in die physische Welt gemeint. Drüben, im Himmel, sitzt die Seele vor G-tt und lernt ständig Tora.

Des Weiteren könnte dieser Bibelvers so interpretiert werden, dass der Status eines Menschen im Mutterleib auch als „im Hause sitzend“ bezeichnet wird. Der Talmud lehrt uns, dass, wenn eine Frau schwanger ist, dem Kind im Mutterleib die ganze Tora gelehrt wird. Außerdem „brennt eine Kerze über seinem Kopf, und es sieht von einem Ende der Welt bis zum anderen“. Die erste Phase in diesem Bibelvers bezieht sich auf die Lebensphase vor der Geburt, wenn das Kind noch heilig und völlig mit Tora-Lernen beschäftigt ist.

Die nächste Phase, „wenn du deinen Weg gehst“, bezieht sich auf den Zeitpunkt, zu dem die Seele von der oberen Welt in die untere Welt hinabsteigt, von Ebene zu Ebene, bis sie in den physischen Körper dieser niedrigen Welt eindringt. Durch das Tora-Lernen in dieser Welt lernt die Seele das Fortschreiten („gehen“) in spirituellen und sogar in materiellen Angelegenheiten, falls diese im Rahmen der Tora-Regeln bleiben. Dieser Ort ist nicht wirklich der natürliche Platz der Seele, ihr wahrhafter Lebensraum ist oben. Wenn die Seele in einem menschlichen Körper geboren wird, muss sie lernen, mit einer neuen Welt umzugehen und dennoch G-tt treu zu bleiben. Darin besteht die Aufgabe der Seele hier in dieser Welt.

Wenn die Seele ihren himmlischen Wohnsitz verlässt und in die irdische Sphäre geboren wird, sinkt sie stufenweise ab. Auf jedem Niveau wird ihr die Tora – entsprechend diesem Niveau – gelehrt. Sobald das Kind in diese Welt geboren wird, muss man beginnen, es zu lehren: „Am Anfang schuf G-tt …“ Das ist ein viel niedrigeres Niveau als das, welches es vor der Geburt gewohnt war. Das heißt, dass die Tora sich an die Seele im menschlichen Körper anpassen muss. Allerdings ist das Endergebnis des Abstiegs der Seele in diese Welt – wo sie die Tora dieser Welt lernt und die physischen Gebote einhält –, dass sie bis zu einem Niveau aufsteigt, das höher ist als das Niveau vor dem Abstieg in diese Welt. Der Sinn des Abstiegs ist ein viel bedeutenderer Aufstieg.

Die nächste Phase ist: „wenn du dich niederlegst“. Damit ist der Tag gemeint, an dem die menschliche Seele in den überirdischen Bereich zurückgerufen wird, wenn der Mensch begraben wird.

Wenn der Mensch stirbt, nimmt er nichts Materielles, das er in dieser Welt erworben hat, mit sich. Sein Haus, sein Auto – er lässt alles zurück. Nichts von all dem, was er in seiner weltlichen Existenz angesammelt hat, geht mit ins Grab. Dennoch begleiten ihn seine Tora und seine gute Taten.

Auch wenn die Seele sich im Himmel befindet, lernt sie Tora.

Die nächste Phase, „wenn du aufstehst“, weist auf die Periode der Auferstehung der Verstorbenen hin. Die Auferstehung ist auch einer der Grundsätze unseres Glaubens. Ganz gleich, wie lange jemand begraben war, er wird in Moschiachs Zeiten bei der Auferstehung erwachen. Zu dieser Zeit wird die Tora wieder auf einem ganz anderen Niveau sein. Alle Beschränkungen, die uns das Tora-Lernen so erschweren, werden verschwinden.

Warum fällt uns zurzeit das Tora-Lernen so schwer? Weil wir so viele andere Dinge im Sinn haben. Wie kann jemand den ganzen Tag sitzen und Tora lernen? Wir haben eben weder die Zeit noch die Fähigkeit dazu, oder es gibt noch zu viele Dinge, die uns davon ablenken. In Moschiachs Zeiten werden all diese Störfaktoren, die uns das Tora-Lernen erschweren und uns von echter Konzentration abhalten, nicht mehr existieren. Hindernisse für wahres Tora-Lernen, wie zum Beispiel physische Müdigkeit, werden zu Moschiachs Zeiten kein Problem mehr sein.

Wenn Moschiach kommen wird, so sagt der Midrasch, wird „eine neue Tora von Mir weiterkommen“. Damit ist gemeint, dass all die Geheimnisse der Tora, die während der Jahre des Exils verheimlicht wurden, in Moschiachs Zeiten enthüllt werden. Mit anderen Worten: Nicht nur wir werden anders sein, sondern die Tora selbst wird von einer viel tieferen, klareren und höheren Qualität sein als bisher. Möge sich dies, so G-tt will, bald in unseren Zeiten ereignen.