Die dieswöchige Sidra schließt ab mit den Worten (Leviticus 18, 30): "Und ihr sollt das von Mir zur Hut Übergebene hüten." Der Talmud erklärt diese Ausdrucksweise an zwei Stellen (Moed Katan 5a und Jewamot 21a), und zwar dahingehend, dass man eine "Schutzwehr" um G-ttes Aufträge (Anordnungen) errichten soll.
Damit ist ein elementares Prinzip für die Authentizität der rabbinischen Vorschriften ausgesprochen; und dies gilt gleichermaßen in Bezug auf die Beschränkungen, die ein Mensch sich sogar für Dinge auferlegen kann, die an sich erlaubt sind, damit er nicht, andernfalls, in eine Situation gleiten könnte, wo er ein tatsächliches Verbot übertreten würde. Wie unsere Weise es anheimstellen, muss man, um das Übertreten eines "Issur" (eines Verbotes) zu vermeiden, äußerste Vorsicht beim einem "Hetter" (etwas Erlaubtem) walten lassen.
Manche Leute vertreten die Fehlansicht, man dürfe sich selbst keine weiteren Beschränkungen auferlegen. Es sei völlig ausreichend, so meinen sie, wenn man diejenigen einhält, die im Laufe der Zeit von den rabbinischen Autoritäten angeordnet worden sind (wobei man stets im Auge behalten müsse, dass dies rabbinische Anordnungen seien, mit denen man "es nicht so genau nehmen brauche"), und daher sie es überhaupt nicht erforderlich, noch nach weiteren Einschränkungen Ausschau zu halten – die Verbote, die in der Tora selbst stehen, gingen ja schon weit genug. Die Betreffenden glauben sogar, einen Beleg für dieses Argument im Talmud Jeruschalmi zu finden, der bekanntlich die Aussage macht, dass jeder einzelne einst Rechenschaft für die (erlaubte) Speise, die er sich versagt hat, ablegen muss.
Darüber hinaus vertreten sie noch die Ansicht, dass es ohnehin schwer genug sei, alles einzuhalten; und daher sei es überhaupt unratsam, sich noch weitere Beschränkungen aufzuerlegen, weil dies sogar dazu führen könnte, dass man dann die Hauptsache aus dem Auge verliere.
Derartige Schlussfolgerungen jedoch sind fehlerhaft. Vielmehr stützt die richtige Einstellung sich darauf, dass alles von einem "Hirten" gegeben worden ist. Aufgrund des Tora-Dictums (Deut. 17, 11) "Du sollst nicht abweichen von dem, das sie dir sagen werden", ist den rabbinischen Anordnungen dieselbe Bedeutung beigemessen wie den Tora-Vorschriften selber (s. Talmud, Brachot 19b, auch Schabbat 23a). Mögliche unterschiedliche Nuancen zwischen beiden beruhen grundsätzlich darauf, dass die Tora eben dies beabsichtigt hat.
Ähnliches gilt für persönliche und individuelle Auflagen; denn auch diese gehören in die Gruppe, die von dem Gebote unseres Verses, eine "Schutzwehr" um G-ttes Aufträge zu errichten, betroffen sind. Dieses Gebot ist ein Zusatz, eine Erweiterung der Anweisung (zu Beginn der nächsten Sidra Kedoschim): "Ihr sollt heilig sein."
Andererseits lehrt unsere Tradition, demgegenüber, dass Adam von sich aus keine zusätzlichen Beschränkungen bezüglich des Baumes der Erkenntnis hätte aussprechen sollen (s. Awot d’Rabbi Nathan 1, 5). Die Erklärung dafür – darin eingeschlossen ist auch die oben zitierte Bemerkung des Talmuds Jeruschalmi – ist diese: Damals im Garten Eden, in jenem Zustand, war Adam selbst "Träger" ("Gefäß") von G-ttlichkeit; und in diesem Zustand waren all seine Gedanken und Gefühlsmomente geeint, unversehrt, zusammengefügt. Daher benötigte er keinerlei zusätzlichen Vorsichtsmaßregeln. Bei jedem anderen Sterblichen aber ist es ein Gewinn für seine Person und seine Seele, wenn er sich beschränkt, soweit er nur dazu fähig ist.
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