Das zentrale Thema der dieswöchigen Sidra ist Mattan Tora (die Offenbarung der Tora am Sinai), ein Ereignis, das uns alle immer wieder begeistern und anfeuern muss, im Einklang mit dem Dictum des "Alten Rebben", des Begründers des ChaBaD-Lubawitsch-Chassidismus, der die Tora als eine "zeitgemäße" Quelle der Anfeuerung und Belehrung für jeden Juden bezeichnet hat. Das heißt, dass sie besonders maßgebend – "programmierend" – ist für alle Dinge, die sich in der Woche ereignen, während der jeweils die laufende Sidra zur Vorlesung kommt.
In Bezug auf Mattan Tora geht dies sogar noch weiter; hier gilt, dass sie jeden Tag als ein neues Erlebnis anzusehen und zu verstehen ist. Dies findet zum Beispiel seinen Niederschlag in den Worten des Segensspruches über die Tora, den wir täglich im Morgengebet (wie auch beim "Aufruf" zur Tora) aussprechen: "Der uns die Tora gibt", im Präsens; unsere Weisen haben ausdrücklich bemerkt, man müsse die Worte der Tora jeden Tag als "neu" ansehen.
Einer der Grundpfeiler der Zehn Gebote ist das "Ich bin" (Exodus 20, 2), mit dem sie beginnen, ist doch hierin schon das großartige Prinzip des Monotheismus verdeutlicht. Gerade in jenen Tagen eines weit verbreiteten Götzenkults war der Monotheismus eine außerordentlich revolutionäre Idee. Gerade damals hatte die polytheistische Gedankenwelt Ägyptens die Oberhand; und eben darauf ist dann das zweite Gebot spezifisch gemünzt, worin alle Formen von Götzenkult streng untersagt sind. (Es darf noch auf folgendes hingewiesen werden: Betonung des Monotheismus und Absage an den Polytheismus werden uns nicht nur dadurch bedeutet, dass sie das Thema der ersten zwei Gebote bilden, sondern all dies wird auch durch die Anzahl und Wahl der Worte unterstrichen und durch die im Text enthaltenen Einzelheiten.) Den Schluss des Zehnwortes demgegenüber bilden Einschärfungen, die scheinbar offensichtlich und selbstverständlich sind, wie "Du sollst nicht stehlen" usw.
Dieser äußerliche Gegensatz zwischen Anfang und Ende der Zehn Gebote – also die Tiefgründigkeit des Monotheismus auf der einen Seite und die Einfachheit der ethischen und moralischen Gesetze auf der anderen – enthält eine wichtige Lehre.
Erstens: Wahrhaft g-ttesfürchtig ist nicht derjenige, der sich in abstrakten Ideen verliert, sondern derjenige, dessen Wissen um G-tt sein tägliches Leben bestimmt, sogar in den "gewöhnlichen" Angelegenheiten, im Verkehr mit den Nachbarn, in der Rücksichtnahme auf ihr Eigentum, selbst wenn dieses aus einem Ochsen oder Esel besteht.
Zweitens: Die ethisch-moralischen Gesetze, auch solche so offensichtlich wie "Du sollst nicht stehlen" und "Du sollst nicht morden", haben nur dann wirkliche Gültigkeit, und werden nur dann richtig eingehalten, wenn sie auf dem ersten und zweiten Gebot fußen, das heißt also, wenn sie auf die g-ttliche Autorität zurückgehen, auf den einen einzigen G-tt.
Gewiss, es hat eine Generation gegeben, noch gar nicht so lange zurück, wo von vielen die Notwendigkeit bestritten wurde, dass auch "gewöhnliche" Moral und Ethik der g-ttlichen Autorität bedürfen. Stattdessen, so glaubt man, könne allein die menschliche Vernunft zu ihrer Begründung ausreichen. Unsere eigene Zeit hat zwar diese Fehlansicht widerlegt, aber auf welch verheerende, tragische Weise! War es doch genau das Volk, das sich in den exakten Wissenschaften auszeichnete, auch in den Geisteswissenschaften und sogar in Philosophie und Ethik, welches sich dann als das verderbteste Volk der Welt entpuppte: In seinem Namen wurden Mord, Raub und andere Verbrechen zum Ideal erhoben. Jedem, der weiß, wie klein die Zahl der Deutschen war, die dem Hitlersystem aktiv die Stirn boten, ist bekannt, dass der Nazikult nicht etwas war, dem ein paar Einzelpersonen folgten, sondern die Mehrheit der Nation, die sich als "Herrenrasse" betrachtete, war von ihm erfasst worden.
Es dürfte sich erübrigen, auf dieses Thema in all seiner Tragweite noch näher einzugehen; hier jedenfalls haben wir ein konkretes, augenfälliges Beispiel, das unsere These bestätigt und erhärtet.
Diskutieren Sie mit