Den Höhepunkt der dieswöchtlichen Sidra bildet das Drama der Spaltung des Schilfmeeres. Als Moses sah, dass alle Unterjocher seines Volkes in den Wogen ertrunken waren, führte er die Männer in einem Jubelgesang zum Lobe G-ttes an. Darauf brach Miriam, die Prophetin, begleitet von allen Frauen Israels, ebenfalls in Singen aus; und ihr Chor war noch jubilierender als der der Männer, denn sie begleiteten ihren Gesang mit Paukenschlag und Trommeln (Exodus 15, 20).

Und so ergibt sich gleich die Frage: Warum frohlockten die jüdischen Frauen noch mehr als die Männer ob des schließlichen Unterganges Pharaos und seines Heeres? Eine Antwort hierauf ist in der elementaren Natur der Frauen und der besonders zärtliche Mutterliebe zu finden. Das schlimmste aller Dekrete Pharaos war doch dieses gewesen: "Jeden neugeborenen Knaben sollt ihr in den Fluss werfen ..." (Exodus 1, 22). Dieses Massentöten ihrer Kinder hatte die Mütter noch härter geschlagen als ihre Männer. Als sie daher Zeugen des Untergangs ihrer Bedrücker und sich somit bewusst wurden, dass die ägyptische Versklavung endlich vorüber war, da war auch ihr Jubel dementsprechend größer.

Jenem diktatorischen Erlass Pharaos, die jüdischen Knaben im Nil zu ertränken, unterliegt noch ein tieferer Sinn: Die Ökonomie Ägyptens hing völlig vom Nil ab, und folglich wurde dieser Fluss zum Mittelpunkt des gesamten religiösen und kulturellen Lebens des Landes. Die Ägypter beteten ihn an (s. Raschi zu Exodus 7, 17). So war denn Pharaos Absicht diese: "Ertränkt eure Kinder in der ägyptischen Kultur; erstickt ihre jüdische Identität; seht zu, dass sie gänzlich vom reißenden Strom wirtschaftlicher und finanzieller Geschäftigkeit mitgeschwemmt werden".

Die Tora hat ewige Gültigkeit. Ihre Lehren, ihre Gesetze und ihre Berichte haben immer Relevanz; sie künden eine unverkennbare Botschaft für jede Generation und in allen Zeitumständen.

Pharaos Ideen und Absichten herrschen auch heute noch vor. Ein ägyptischer Kult gedeiht weiterhin, unsere ganze moderne Gesellschaft unterstützt und fördert ihn: In der Tat kann man ein Echo jener pharaonischen Verordnung in dem alltäglichen Ratschlage so mancher freundlicher Nachbarn hören: "Was für die Kinder heutzutage wichtig ist, das ist der materielle Erfolg. Man muss sie in eine richtige Karriere hineintreiben, und zwar so früh im Leben wie nur möglich. Religion? G-tt? Eine jüdische Schule? Nun ... das könnte vielleicht noch bis zur 'Bar Mizwa' angehen, aber danach soll man ihnen nicht länger damit zusetzen".

Wem obliegt es, gegen den modernen Pharao Widerstand zu leisten? Viele Väter haben wenig Zeit, die sie zu Hause in Ruhe verbringen können, und so sind sie so selten in der Lage, sich ihren Kindern richtig zu widmen, dass es vorzüglich die Aufgabe der Mutter geworden ist, einen festen Standpunkt zu vertreten; sie muss sich weigern, die Kinder in den "Nil" unserer Zeit zu werfen, sie in den Wettlauf nach materiellem Wohlstand eintreten zu lassen. Und wenn die Mütter dies tun, wenn sie dann in späteren Jahren sehen, wie die von ihnen großgezogenen jungen Männer und Mädchen ihre ganze Lebensführung auf Glauben und ethischen Werten aufbauen, dann sind sie es, mehr als jeder andere, die über "Pharaos" Niederlage Jubeln dürfen.