Die in der dieswöchigen Sidra geschilderte Spaltung des Schilfmeeres war eins der größten G-ttlichen Wunder, Vorbereitung für die Verkündigung der Tora wie auch für die endgültige Erlösung. Wie stellten sich die unmittelbar Beteiligten dazu? Uns wird erzählt, dass der noch jugendliche Nachschon ben Aminadav sich aufopferte, indem er vorher in das Meer sprang und dadurch das Wunder der Spaltung möglich machte.

Eigentlich war diese Tat Nachschons zu jener Zeit nicht ganz in Ordnung. In unserer Tradition herrscht die Ansicht vor, dass vor der Offenbarung der Tora die Israeliten als "Noachiden" galten. Unter den Dezisoren gehen die Meinungen auseinander, ob ein solcher zur Selbstaufopferung verpflichtet ist. Wenn man sich der Ansicht anschließt, dass er es nicht ist, dann darf er es auch nicht tun; denn das wäre dann Selbstmord welcher verboten ist. Aber auch nach der gegenteiligen Ansicht, nämlich dass die "Söhne Noachs" zur Selbstaufopferung verpflichtet sind, darf dies nicht in einer Weise geschehen, die zur Übertretung eines Gesetzes führt. Somit hätte Nachschon unter beiden Gesichtspunkten nicht handeln sollen, wie er es tat.

Demgegenüber war aber, ganz offensichtlich, dem Nachschon bekannt, dass der Auszug des Volkes aus Ägypten zum Sinai führen müsse (vgl. Exodus 3, 12). Dann jedoch sind Hindernisse auf diesem Wege nicht mehr von Belang. So wusste Nachschon, dass auch er zum Sinai kommen würde; und wenn ein Meer dazwischen lag, dann musste er eben hineinspringen, um jenem Ziele näher zu kommen.

Ein bekannter Midrasch lehrt, dass es zu diesem Zeitpunkt unter den Israeliten vier verschiedene Gruppen gab, mit vier Haltungen, nämlich:

  1. "Lasst uns nach Ägypten zurückkehren."
  2. "Wir müssen gegen die Ägypter kämpfen."
  3. "Wir müssen in die Wüste fliehen."
  4. "Lasst uns ins Meer gehen."

Nachschon hatte also die Mehrheit auf jeden Fall gegen sich; und so wäre er zu Zweifeln über den einzuschlagenden Weg wohl berechtigt gewesen. Gleichwohl war er nicht gewillt, sich in eine Debatte einzulassen; er kannte G-ttes Anweisung, zum Sinai zu gehen, und ihm leuchtete dies ein: Um dieses Ziel zu erreichen, hatte es keinen Zweck, nach Ägypten zurückzukehren, gegen die Ägypter Krieg zu führen oder in die Wüste zu fliehen. Es gab nur einen Weg – ins Meer, einen Schritt näher zum Ziele.

Der damalige Zustand der Juden ist eine Lehre für alle Generationen. Der frühere Lubawitscher Rebbe s.A. hat in einer Abhandlung den Unterschied in der Selbstaufopferung von R. Akiwa und unserem Vater Abraham diskutiert. Er erklärt, dass R Akiwa eine Gelegenheit suchte, um sich zu opfern, während Abraham dies nicht tat. Abrahams Aufgabe war es, G-ttes Namen und Anerkennung unter den Menschen zu verbreiten. Wenn es im Verfolg dieser Aufgabe zur Selbstaufopferung kommen musste, dann gehörte dies eben dazu. Wenn es zu diesem Zwecke also galt, ein Meer zu überqueren, so musste er hineinspringen – was die spätere Folge war, ging ihn nichts an.

Damit gab der frühere Rebbe uns und allen, die sich auf die endgültige Erlösung vorzubereiten haben, diese Botschaft: Immer müssen wir dem Prinzip getreu bleiben, "dem Meister zu dienen". Unsere Aufgabe ist es, die Mitmenschen zu lieben und sie der Tora näher zu bringen – und nicht mehr. Sollte es dabei andere Auffassungen geben – nämlich: zurück nach Ägypten, oder Kampf den Ägyptern, oder hinein in die Wüste –, so ist dies nicht unser Weg; denn keiner dieser bringt uns der Tora näher: Wir müssen vielmehr "gehen", um die Tora zu empfangen. G-tt "gibt die Tora" ständig, und das müssen wir ohne weitere Debatte hinnehmen. Liegt ein Meer dazwischen, dann springen wir hinein, ein Berg, dann übersteigen wir ihn. Wenn wir auf dem Wege zur Tora uns so verhalten, dann wird eintreten, was unsere Sidra uns sagt (Exodus 14, 14):

"G-tt wird für euch streiten, und ihr sollt schweigen."

Nachschon erhielt seinen Lohn: Er wurde zum ersten der Stammesfürsten bestimmt, erster bei der Einweihung des Heiligtums (Numeri 7, 12). Wir müssen uns wie ein "Nachschon" fühlen, um unser eigenes Heiligtum zu weihen. Ein Jude, der sich so führt, wird (nach Tikkune Sohar) mithelfen, den Maschiach herbeizubringen, und wird, zusammen mit uns allen, Maschiachs "innere Tora" empfangen. Dann wird die Zeit kommen, auf die sich das Lied am Schilfmeer bezieht, mit seiner Einleitung (Exodus 15, 1): "Dann wird er singen."