Die dieswöchentliche Sidra berichtet, dass den Juden vor ihrem Auszug aus Ägypten befohlen wurde, ein Lamm zu opfern.

Kultur und Zivilisation der Ägypter waren weitgehend auf den Naturkräften und Naturerscheinungen aufgebaut, insbesondere wo diese auch mit dem Nil zusammenhingen (Ezekiel 29, 3). In Ägypten regnet es sehr selten (s. Raschi zu Genesis 47, 10 und Deut. 11, 10), doch hatte die menschliche Erfindungsgabe ein Bewässerungssystem geschaffen, mit Hilfe dessen Ägypten in einen blühenden Garten verwandelt wurde (Raschi zu Genesis 41, 1), wiewohl auf allen Seiten von Wüstenlandschaften umgeben. Diese Umstände brachten einen ausgedehnten und ausgeklügelten Götzenkult mit sich, der zwei charakteristische Merkmale zeigte: eine Vergötterung der Naturkräfte einerseits, und andererseits eine Vergötterung der Macht des Menschen, der da die Begabung hatte, sich die Natur nutzbar zu machen. Kult und Aberglaube der Ägypter erreichten ihren alljährlichen Höhepunkt zu der Zeit, da die Naturkräfte erwachten und sich erneuerten, d. h. im Frühlingsmonat. Dieser Monat stand unter dem Tierkreiszeichen "Widder" (Aries), und der Widder war eins der wichtigsten "heiligen" Symbole des ägyptischen Kultes.

Nach 210 Jahren der Unterwerfung unter die Pharaos wurde den Israeliten plötzlich von Moses verkündet, dass G-tt sie befreien würde – unter einer Bedingung: "Ziehet zurück und nehmt euch ein Lamm für eure Familien, und schlachtet das Pessachopfer" (Exodus 12, 21).

Zahlreiche Juden hatten sich assimiliert und waren vollständig in der ägyptischen Kultur und Religion aufgegangen (Schmot Rabba 14, 3; s. auch Tanja, Kap. 31). Mit dem Gebote "ziehet zurück" wurde ihnen bedeutet, dass sie sich vom Götzenkult des Landes "zurückziehen" und diesen absolut verwerfen sollten, indem sie G-tt das den Ägyptern heilige Lamm opferten. Es genügt nicht, wenn man dem ägyptischen Götzendienst bloß in seinem Herzen entsagt, oder auch in der häuslichen Zurückgezogenheit, heimlich und verstohlen. Nein, dieses muss in aller Öffentlichkeit geschehen, ohne Furcht (Schulchan Aruch Haraw, Anfang von Kap. 430), und bis zur kleinsten und letzten Einzelheit – so wie es mit dem Pessachopfer in die Tat umgesetzt wurde. Wenn es auf diese Weise geschieht, dann – so versichert Moses dem Volke im Namen G-ttes – wird die Befreiung kommen, nicht zu einer Zeit, da die Naturkräfte schlafen und verborgen liegen, sondern genau im Frühlingsmonat, wenn die Natur ihre größten Kräfte offenbart.

Ähnlich wie im alten Ägypten stehen heute viele in "Anbetung" vor der Oberherrschaft des Menschen und seinen wundervollen Leistungen. In diesem unserem Zeitalter der Wissenschaft gäbe es, so vermeinen sie, für G-tt keinen Platz. Da gibt Pessach, von je her und immer wieder, die Mahnung, dass wir uns "zurückziehen" und den Götzenkult des Landes verwerfen müssen, in welcher Form er immer sich auch zeigen mag. Wir müssen G-ttes Herrschaft über das Universum anerkennen, aller äußerlichen "Tarnung" durch die "Wunder der Natur" zum Trotz.