In der dieswöchentlichen Sidra erreichen die intensive Unterdrückung der Israeliten in Ägypten und ihr schweres Leiden ihren Höhepunkt. So furchtbar wurden die Zustände, dass Moses sich gezwungen sah, G-tt anzurufen: "Warum hast Du diesem Volke so viel Unglück beschieden ...? und Dein Volk hast Du nicht gerettet" (Exodus 5, 22-23). Nicht einmal Moses, der doch G-tt völlig ergeben und Ihm getreu war, konnte eine Erklärung für das gewaltige Elend und die Finsternis des Exils finden. Doch kurz danach änderte sich das Bild vollständig und dramatisch. Unmittelbar nach dieser dunkelsten Stunde des ägyptischen Exils setzte G-tt den Erlösungsprozess in Gang. Als scheinbar alle Hoffnung aufgegeben war, gerade in dem Augenblick schienen den Juden die ersten Strahlen einer neuen Morgenröte.
Bekanntlich ist die Nacht immer am allerdunkelsten gerade kurz vor der Morgendämmerung. Unsere Weisen vergleichen die Diaspora mit der Nacht. So war es auch damals: als die Not der Juden auf einen solchen Grad anstieg, dass selbst Moses klagte: "Warum hast Du so viel Unglück beschieden ...?", da war der Augenblick, da die ersten Strahlen der Erlösung zu sehen waren.
Der Talmud stellt fest (Sukka 29a), dass im Gegensatz zu anderen Völkern, die den Ablauf des Jahres nach dem Umlauf der Erde um die Sonne berechnen, das jüdische Volk seinen Kalender auf dem Mondzyklus aufbaut. Denn die Juden selbst werden mit dem Monde verglichen, dessen Licht zuerst zunimmt und dann abnimmt und am Schluss ganz zu verschwinden scheint. Aber genau zu dem Zeitpunkt ist es, dass der Neumond geboren wird; und danach wächst der Mond wieder stetig an. Die jüdische Geschichte, alle Zeitalter hindurch, kann durch den Mondzyklus versinnbildlicht werden. Im ägyptischen Exil, da das Volk durch die Unterdrückung auf den Tiefstand seiner Existenz gebracht worden war, als die lange Nacht der Versklavung ihren finstersten Stand erreicht hatte, genau da begann die Errettung und mit ihr die Erneuerung der Hoffnung; und ebenso geschah es in jedem späteren Exil der Juden.
Aus diesem Gedankengang lassen sich ermutigende und erhebende Schlüsse ziehen. In der Tat gibt es im Leben fast jedes einzelnen Menschen Zeitpunkte, da das "Rad des Schicksals" für ihn auf dem tiefsten Stand angelangt ist. Dann sieht seine Lage völlig hoffnungslos aus. Doch darf er auch dann nicht verzweifeln und sein G-ttvertrauen nicht aufgeben, sondern er soll sich dessen bewusst bleiben, dass die dunkelste Stunde des "Galut" (d.h. Exil – Exil sowohl unseres Volkes in seiner Gesamtheit wie auch, im weiteren Sinne, "Exil" jeder Einzelperson) unmittelbar dem Augenblick vorausgeht, an dem die "Geula" (Erlösung) einsetzt.
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