1. Am heutigen Schabbat werden die Wochenabschnitte Matot und Masej zusammen gelesen (dies bezieht sich auf dem Schabbat, an dem dieser Vortrag ursprünglich gehalten wurde – Anm. d. Übers.). Der Wochenabschnitt Matot behandelt Gelübde und deren Beendigung. Es gibt drei Weisen, wie dies geschehen kann: erstens durch einen Weisen, der das Gelübde im Nachhinein aufhebt, zweitens durch einem Vater und drittens durch einem Ehemann, welche ein Gelübde von jetzt an widerrufen können.
Beim Ehemann selbst wird zwischen der Periode – vor der Hochzeit und nach der Hochzeit unterschieden. Vor der der Hochzeit hat der Mann dem Status eines Verlobten, nach ihr den Status des Gatten. In beiden Perioden hat der Mann das Recht Gelübde zu widerrufen, es gelten allerdings für Verlobten und Gatten jeweils unterschiedliche Gesetze.
Nun hätte es scheinbar so sein müssen, dass der Gatte mehr Rechte hat als der Verlobte. Trotzdem finden wir im Gesetz zum Beenden von Gelübden, dass gerade der Verlobte einen Vorzug vor dem Gatten hat.
Dieses Gesetz besagt, dass der Gatte keine Gelübde widerrufen kann, welche vor der Heirat getan wurden1, da sie nichts mit dem Gatten zu tun haben. Ein Verlobter wiederum kann frühere Gelübde widerrufen2. Wie könnte es aber sein, dass der Verlobte mehr Macht hat als der Gatte?
Eine der Erklärungen besagt, dass dies daher rührt, dass der Verlobte nicht aufgrund seiner selbst das Gelübde widerruft, sondern gemeinsam mit dem Vater, denn „bei einer verlobten Jungfrau sind es ihr Vater und ihr Ehemann, die ein Gelübde widerrufen“3. Beim Vater wiederum kann es keine Abgrenzung gegenüber früheren Gelübden geben. Dies wird durch ihn auf den Verlobten übertragen, so dass es auch für ihn diese Abgrenzung nicht mehr besteht und er auch frühere Gelübde widerrufen kann.
Anders beim Gatten, der die Kraft hat, selber Gelübde zu widerrufen, da ja die Frau den Einflussbereich ihres Vaters verlassen hat. Doch eben dadurch wird er zu einer eigenständigen Person, die natürlich auch ihre Grenzen haben muss.
2. Die Bedeutung des Gesagten für den G“ttesdienst ist: Der G“ttesdienst kann auf zwei Weisen erfolgen: als Dienst im Sinne einer Verlobung oder als Dienst im Sinne einer ehelichen Beziehung.
Nun wird die Phase des Exils mit der Verlobungszeit verglichen, und es ist eben gerade der zukünftige G“ttesdienst, welcher der ehelichen Vereinigung entspricht. Genauer betrachtet finden sich aber auch beim G“ttesdiens in der Zeit des Exils beide Stufen wieder.
Die Stufe der Verlobung kommt darin zum Ausdruck, dass mit der Verlobung, die Verlobte „der ganzen Welt verboten ist“. Losgerissen sein von der Welt – das ist die Stufe im G“ttesdienst, welche der Verlobung gleichkommt. Diese Stufe hält an, bis durch den G“ttesdienst eine dauernde Verbindung – „und er haftete...“ – geschaffen wird, welche darin gipfelt, dass Mann und Frau „zu einem Fleisch werden“4, man also mit der G“ttlichkeit eins wird und dadurch den Dingen dieser Welt fern bleibt.
Der G“ttesdienst auf jener Stufe, welche der Ehe entspricht, bedeutet man sich mit G“ttlichkeit vereinigt bis man „ihm gleiches gebärt“, womit sich ja Sinn und Zweck der Ehe erfüllen. Daher sagen auch unsere Meister seligen Andenkens: „Die Nachfahren der Gerechten sind gute Taten“5. Man wird also durch seine Taten ein Gefäß für G“ttlichkeit. Ein Gefäß zu sein, dies heißt die eigene Existenz ganz dem Inhalt des Gefäßes unterzuordnen und sich mit ihm vereinen.
3. Obwohl die Stufe der ehelichen Vereinigung sehr weit höher ist, als die der Verlobung, so birgt doch jene Stufe des G“ttesdienstes, welche der Verlobung gleicht, auch einen gewissen Vorteil.
Man könnte meinen dass man, wenn man einmal die Stufe der Ehe im G“ttesdienst erreicht hat, schon zu einem vollkommenen Gerechten geworden ist, der die Hilfe G“ttes nicht mehr braucht und, ganz so wie der Ehegatte, ohne Beistand des Vaters allein ein Gelübde widerrufen kann.
Die Wahrheit ist aber, dass sich immer, wenn jemand so sprach6, sich bald herausstellte, dass er kein Bar Kochwa (aramäisch: Sohn des Sterns, ein falscher Erlöser aus der Zeit Rabbi Akiwas – Anm. d. Übers) war, welches sich auf dem Schriftvers „und ein Stern ging aus von Jaakow“ bezieht, sondern dass es sich um einen Bar Kosiwa – einen Sohn der Täuschung – handelte, der im physischen Krieg, und noch weit mehr im geistigen Krieg, versagte.
Und darin besteht der Vorzug des Verlobten, also dem G“ttesdienst auf der Stufe der Verlobung, vor jenem G“ttesdienst, welche mit der Ehe verglichen wird. Denn wenn auch diese Stufe an sich niedriger ist, so ist es doch der Verlobte gemeinsam mit dem Vater, welche ein Gelübde widerrufen. Der Verlobte handelt mit der Kraft G“ttes. Dadurch überwindet er all seine Begrenzungen und kann dermaßen bis zu eine Ort gelangen, den er aufgrund seiner selbst nicht erreichen könnte.
Das Tohu (der Urzustand der Welt vor ihrer Formung) geht doch dem Tikkun (der Formung der Welt) voraus, und vom Tohu entstammen die physischen Dinge und der schlechte Trieb, der daher auch behauptet, dass seine Ansprüche noch vor der Formung der Welt ihren Grund hatten. Nun kann man mit eigener Kraft nicht ein Gelübde zu widerrufen, welches in der Vorzeit, zu Zeiten des Tohu, beschlossen wurde. Da man nicht dorthin gelangen kann, hat man auch nicht die Fähigkeit jene Dinge, die auf dort Geschehenem zurückgehen zu ändern und zu läutern.
Dadurch aber, dass man gemeinsam mit G“tt, dem Vater, widerruft, werden diese Begrenzungen überwunden, denn es gibt nichts, was vor Ihm existiert hätte. Auch im Bereich des Tohu, welches dem Tikkun vorausging, gibt der Heilige, gelobt sei Er, dem Verlobten die Kraft, jenen schlechten Trieb, dessen Anspruch noch von früher stammt, zu bekämpfen und zu besiegen. Auf diese Weise kann er (der Verlobte – Anm. d. Übers.) die Funken, welche sich in den physischen Dingen befinden, erreichen und erlösen. Denn eben darin besteht Sinn und Zweck eines Gelübdes: dem Menschen die nötigen Kräfte zu verleihen, um die Funken in den physischen Dingen zu erreichen und zu erlösen.
4. Auf den Punkt gebracht, besagt dies folgendes: Wie hoch man auch gestiegen sein mag, selbst wenn man den G“ttesdienst auf der Stufe der ehelichen Verbindung erreicht hat, so muss man doch wissen, dass man mit eigenen Kräften nicht vorankommen kann. Man muss stets nach Höherem streben, wissend, dass darüber noch Höheres wartet, höher und höher steigend, auf Ebenen, auf denen man erst ganz am Anfang steht. Dadurch, dass man sich mit Höherem verbindet, ohne außer Acht zu lassen, dass man die Arbeit auf den tieferen Ebenen noch nicht abgeschlossen hat, eben dadurch wird der Vater den Verlobten mit sich ziehen, alle Begrenzungen überwinden und ermöglichen, dass man auch Früheres widerrufen kann.
Fußnoten
1.
Nedarim 67a, Schulchan Aruch Jore Dea Abschnitt 234, §35.
2.
Ebenda 67b, Schulchan Aruch Jore Dea ebenda, §5.
3.
Nedarim 67b.
4.
Bereschit 20:24.
5.
Raschi zu Beginn von Wochenabschnitt Noach, Bereschit Rabba Kapitel 30, 6.
6.
Siehe Jeruschalmi Taanit Kapitel 4, Anweisung 8 und Bawli Gittin 56a, Sanhedrin 93b.
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