Rabbi Israel Baal Schem Tov, der Begründer des Chassidismus, pflegte – unter Bezugnahme auf das Schofarblasen – folgende Geschichte zu erzählen.

Ein König hatte einen einzigen Sohn, den er sehr liebte. Der Prinz hatte eine gute Erziehung genossen, und Vater und Sohn beschlossen, der Sohn solle andere Länder bereisen, um so seine Studien weiter auszudehnen und auch andere Sitten und Bräuche kennenzulernen. Der Vater ernannte Bedienstete für ihn und wies ihm auch Edelmänner zu, die ihn begleiten sollten; auf diese Weise würde der Prinz in vollem Luxus reisen und auch die entferntesten Länder und Inseln erreichen können. In erster Linie bestand die Absicht darin, dass mit diesen Reisen sich der Horizont des Prinzen erweitern und er sich zusätzliche Weisheit und Kenntnis aneignen könnte.

Viele Jahre vergingen. Die großen Geldsummen, die der König seinem Sohne mit auf den Weg gegeben hatte, waren alle ausgegeben worden, um den Luxus beizubehalten, und so dass der Prinz standesgemäß leben konnte. Tatsächlich hatte dieser im Laufe seiner Reisen noch mehr Lust am luxuriösen Leben bekommen als vordem; und so vergeudete er den Reichtum seines Vaters in der Erfüllung eines jeden seiner Wünsche. Schließlich also hatte der Prinz sein ganzes Vermögen ausgegeben, bis zum letzten Pfennig, den er sein eigen nannte.

Inzwischen nun war der Prinz in ein Land gekommen, das so weit von seiner Heimat entfernt war, dass die Einwohner dort überhaupt nichts von seinem Vater, dem großen König, zu hören bekommen hatten; sie kannten ihn nicht, und als der Prinz sagte, er sei der Sohn jenes Königs, glaubten sie ihm nicht einmal, dass der ein Prinz sei. Als er am Ende einsah, dass die Lage für ihn dort aussichtslos und hoffnungslos war, beschloss er, in tiefer Verzweiflung, zu seinem Heimatland zurückzukehren, zu seinem königlichen Vater.

Eines aber hatte sich im Verlauf der vielen Reisejahre ergeben, und das war, dass der Prinz die Sprache seines eigenen Landes vergessen hatte! Bei seiner Rückkehr hatte er keine andere Wahl, als zu versuchen, sich durch Gebärden zu verständigen und zu gestikulieren, um den Leuten zu verstehen zu geben, er sei der Sohn ihres Königs. Die Leute aber verspotteten ihn: "Es kann doch nicht möglich sein, dass der Sohn unseres mächtigen Monarchen in Lumpen und Fetzen herumläuft!" So schlugen sie auf ihn ein und fügten ihm viele Wunden zu; und in diesem Zustand erreichte er schließlich den Vorhof des königlichen Palastes. Auch hier versuchte er wieder, durch Gebärden die Wachposten zu überzeugen, dass er der Sohn des Königs sei; sie aber ignorierten ihn.

In seiner Verzweiflung fing da der Prinz an, laut aufzuschreien, laut zu weinen und stark zu rufen, in der Hoffnung, sein Vater würde dies hören und seine Stimme erkennen. Und in der Tat, als der König das Geschrei hörte, rief er aus: "Ist dies nicht die Stimme meines Sohnes, der da in seiner tiefen Not aufschreit?" Seine große Liebe für seinen Sohn quoll in ihm auf, und er lief hinaus, ihn zu umarmen und zu küssen.

Der Symbolismus der Parabel ist klar: Der "König" ist G-tt – der König der Könige. Das jüdische Volk ist G-ttes einziger Sohn, wie es in der Tora heißt (Ex. 4, 22): "Mein Sohn, Mein Erstgeborener ist Israel", und weiter (Deut. 14, 1): "Kinder seid ihr dem Ewigen, eurem G-tte." G-tt ließ die Seele in den Körper hinuntersteigen, um ebenso wie der Plan für die Reisen des Prinzen darin bestand, seine Erziehung zu erweitern, so tritt die Seele in den Körper zu dem Zwecke ein, dass durch die Ausführung von Mizwot und guten Taten sie sich verfeinern und einen höheren Stand als vorher erreichen möge. Allzu häufig jedoch ist der Mensch motiviert von Selbstsucht, von Gier und anderen materiellen Verlangen, und so wandert er schließlich zu einem weit entlegenen "Platze" (das ist: zu einem Gemütszustand), wo sogar der Name des "Vaters" völlig unbekannt ist. Wie der Pharao im Ägypten der Antike es ausdrückte (Ex. 5, 2): "Wer ist G-tt? Ich kenne G-tt nicht."

Am Rosch Haschana schließlich kehrt der Jude zum "Vater" zurück; und da denn tut er den lauten Aufschrei – das ist die Stimme des Schofars –, so dass sein Vater doch die Stimme des Kindes erkennen möge. Da ist der Schofarton gleich einem Schrei aus tiefstem Herzen; und die Liebe des Königs der Könige zu Seinem Sohn wird wieder erweckt. Er kommt heraus und umarmt Seinen Sohn; das ist das "Umarmen" und "Umschließen" des Menschen in der Sukka.