In unserer Parascha Waetchanan beschreibt Mosche nochmals, wie sich G-tt dem jüdischen Volk offenbarte und ihnen die zehn Gebote mitteilte. Dabei bezeichnet er die g-ttliche Stimme, welche zu hören das Volk privilegiert war, als "eine große Stimme, welche nicht aufhörte".

Der Midrasch (eine Sammlung homiletischer Erklärungen zur Tora) interpretiert dieses nicht Aufhören der Stimme auf drei verschiedene Arten:

  1. Die Stimme ertönte nicht nur in der heiligen Sprache, sondern die zehn Gebote wurden gleichzeitig in siebzig verschiedenen Sprachen gesprochen.
  2. Die g-ttliche Stimme endete nicht mit den zehn Geboten, sondern alle Propheten und Weisen, die in zukünftigen Generationen neue Dimensionen der Tora eröffneten, waren ein Sprachrohr für diese Stimme.
  3. Die Stimme, welche die zehn Gebote verlauten liess, hatte keinen Widerhall und kein Echo.

Nun müssen wir uns fragen, weshalb es für nötig befunden wurde, ein spezielles Wunder geschehen zu lassen, dass die Stimme kein Echo abgeben sollte?

Die drei obengenannten Interpretationen des Midrasch sind miteinander verbunden und eröffnen uns eine völlig neue Einsicht in das Wesen der zehn Gebote.

Man könnte denken, dass zwar auch die anderen Teile der Tora heilig sind und ihre Gültigkeit haben, dass jedoch die zehn Gebote einen viel höheren Status inne haben. Schließlich beginnen die zehn Gebote mit den Worten: "Ich bin Haschem, Dein G-tt ..." – G-tt selbst richtete seine Worte an jeden Einzelnen und berührte ihn bis ins Innerste der Seele. Die anderen Teile der Tora jedoch wurden dem Volk nicht direkt gesagt und es hörte dabei nicht die g-ttliche Stimme. Doch in Wirklichkeit verbirgt sich in jedem Wort der Tora, der Propheten und selbst der Weisen dieselbe ursprüngliche Kraft der g-ttlichen Stimme und der zehn Gebote.

Genauso verhält es sich mit der zweiten Idee, welche im Midrasch ausgesprochen wird. Obwohl die Tora ursprünglich in der heiligen Sprache gegeben wurde und an das jüdische Volk gerichtet war, ist es doch das Ziel der Tora, die ganze Menschheit, welche in den siebzig Weltsprachen der Völker repräsentiert ist, anzusprechen. Dies ist ein wesentlicher Kern unserer Tora und im Wesen eins mit den zehn Gebote und erreicht diese Völker mit derselben ursprünglichen Kraft der zehn Gebote.

Doch nicht nur alle späteren Generationen und nicht nur alle Völker der Welt wurden von der Kraft der Worte G-ttes durchdrungen. Selbst die Tier- und Pflanzenwelt bis zur mineralischen unanimierten Welt wurden durch die Heiligkeit dieser g-ttlichen Worte geprägt. Die Kraft dieser „großen“ Stimme war so ungeheuerlich, dass kein Stein und kein Fels ein Echo abgaben. Denn ein Echo entsteht, wenn die Tonwellen an einem Hindernis abprallen und wieder in die andere Richtung gesandt werden. Die g-ttliche Stimme kannte jedoch kein Hindernis, denn sie durchdrang alles. Dies war nicht ein übernatürliches Wunder. Es war die Natur dieser g-ttlichen Stimme, die alles durchdrang und überall den g-ttlichen Kern jedes Wesens erreichte.

Es ist auch unsere Aufgabe, nicht nur in allen Teilen der Tora die ursprüngliche g-ttliche Stimme zu vernehmen, sondern mit dieser Kraft auch allen Weltvölkern als leuchtendes Beispiel für die Erfüllung der sieben noachidischen Gesetzte zu dienen und mit dieser Kraft auch der Heiligung unserer materiellen Welt verpflichtet zu sein.