In der dieswöchentlichen Sidra erzählt uns die Tora, wie das jüdische Volk durch die Wüste zog: "Auf G-ttes Befehl lagerten (ruhten) sie, und auf G-ttes Befehl zogen sie" (Num. 9, 20). Ferner: "... G-ttes Bundeslade zog ihnen voran" (Ibid. 10, 33).
Ob nun, im Laufe unserer langen Geschichte, das jüdische Volk Frieden und Wohlstand besaß ("sie ruhten") oder ob es sich im Exil und auf steter Wanderung befand ("sie zogen"), war es den Juden doch stets klar, dass dieses jedes Mal "auf G-ttes Befehl" geschah. Dieselbe G-ttliche Vorsehung, die unserem Volk Frieden und Wohlstand gewährte, ordnete auch die Zerstreuung und das Leiden an. Die "Bundeslade" – d.h. die Tora – hat uns immer geleitet; unsere Bindung an G-tt blieb unerschütterlich in Zeiten des Druckes wie in Zeiten der Behaglichkeit.
Was für das jüdische Volk als Gesamtheit gilt, gilt auch für jeden einzelnen Juden. Von dem Augenblick seiner Geburt bis zu seinem letzten Atemzug muss der Jude eine Vielzahl von "Wanderungen" unternehmen, physischer wie spiritueller Art. Die "Bundeslade" – die Tora – "zieht ihm voran", gibt ihm Zeichen und bittet ihn: "Folge mir!" Unglücklicherweise können manche Juden diese Bundeslade nicht sehen, noch vermögen sie ihren Ruf zu hören. Es ist unsere Verpflichtung diesen Juden gegenüber, ob jung oder alt, ihnen auf ihrer Wanderung durch das Leben beizustehen. Dies ist eine lebenswichtige Aufgabe, gleich wichtig für die Einzelperson, die Gemeinde und für unser Volk in seiner Gesamtheit. Auf diesem Gebiete werden von uns die größtmöglichen Anstrengungen verlangt.
Jüdische Erziehung
Eins der Hauptziele jüdischer Erziehung ist es, das jüdische Volk für das Leben in einer Umgebung vorzubereiten, in der sich die Juden in der Minorität befinden. Die Juden waren immer "das kleinste aller Völker" (Deut. 7, 7), aber unsere Stärke liegt nicht in Zahlen. Es ist vielmehr jüdische Bestimmung, "ein Reich von Kohanim ('Priestern') und eine heilige Nation" zu sein (Exodus 19, 6). Dass wir gemäß unserer heiligen Tora, der Torat Chajim (Gesetz des Lebens), leben, und dass wir die schwere Norm unserer Mizwot auf uns nehmen und sie im täglichen Leben befolgen: dieses hat uns "unterschiedlich" gemacht; aber darin liegt auch unsere Stärke, und es ist dies, was uns in allen Zeitaltern erhalten hat. Dieses Bewusstsein, ein Jude zu sein – der angemessene Stolz auf unsere Bestimmung – muss unseren Kindern von frühester Jugend an eingeprägt werden; die überaus große Wichtigkeit dieser Aufgabe kann nicht zu oft betont werden. Die Tatsache, dass wir in einem demokratischen Staat leben, in völliger Freiheit, macht es noch wesentlicher, dass wir dieses Bewusstsein des Jude-Seins unterstreichen, denn nachdem wir eine Minderheit sind, sind auch die Einflüsse der Assimilation hier stärker als anderswo.
Es ist die Pflicht der jüdischen Erzieher, das Kind von jeglichem Minderwertigkeitskomplex über sein Jude-Sein in einer überwiegend nichtjüdischen Umgebung zu befreien, bis es versteht, dass Demokratie und Freiheit nicht Mittel zur Assimilation, sondern gerade das Gegenteil sind: Sie geben jedem das Privileg, einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, seine Rechte zu genießen und seinem Glauben gemäß zu leben, ohne Kompromiss; und dadurch wird es dem Juden ermöglicht, seine Lebensbestimmung zu erfüllen. (Außerdem ist dies auch eine viel bessere Methode, die Achtung des nichtjüdischen Mitmenschen zu gewinnen, als zu versuchen, es ihm nachzumachen und sein Privatleben, seine Religion, seine Gebräuche usw. zu kopieren.)
(Obige zwei Abhandlungen basieren auf zwei Briefen des Lubawitscher Rebbe aus den Jahren 1958 und 1964.)
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