Die ersten Verse des Buches „Bamidbar“ schreiben vor, die gesamte jüdische Gemeinschaft zu zählen (Num. 1:2 ff.), und deshalb trägt dieses ganze 4. Buch der Tora die Überschrift „Zahlen“ oder „Gezählte“ („Pekudim“).

Eine Zahl ist etwas, das in keiner Weise mit dem gezählten Ding als solchem organisch verbunden ist noch als Attribut etwas darüber aussagt. Denn alles wird gleichförmig gezählt, ohne Unterschied, ob groß oder klein, bedeutend oder unbedeutend. So auch hier: Die Vorbedingung des Gezähltwerdens – nämlich dass jemand 20 Jahre als sein soll – sagt nichts über die Person selbst oder ihren Charakter aus; es handelt sich lediglich um einen Lebensabschnitt, der automatisch erreicht wird. Wenn dem so ist, dann ist es jedoch schwierig, zu verstehen, wieso dieser Vorschrift eine so besondere Wichtigkeit beigemessen wird, wieso sie so wesentlich ist, dass sie als erste in diesem Buche des Chumasch erscheint und dem ganzen Buch seinen Namen gibt. Dazu ist folgendes zu sagen:

Nach jüdischem Recht kann eine Sache, die normalerweise gezählt (d.h. quantitativ erfasst) wird, niemals „nichtig“ oder „null“ werden, wenn sie mit anderen Sachen vermischt wird. Denn wenn etwas gezählt wird, so ist schon allein durch diese Tatsache angezeigt, dass es einen Wert an sich und als solches hat.

Aus beiden obigen Gesichtspunkten müssen wir folgern, dass das Zählen zwar nicht – wie gesagt – den Wert des Gezählten bemisst, dass es aber nichtsdestoweniger beweist, dass es nicht ohne Wert ist.

Dies allein jedoch genügt noch nicht. Das Zählen zeigt uns zwar einen Wert für den ganzen Typus von Dingen an, doch ist die Zahl nur ein Zeichen für den Wert und nicht seine Ursache. Auf der anderen Seite ist nichts in der Tora zufällig, sondern alles beruht auf dem G-ttlichen Willen. Man ist daher jedes Mal zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass selbst ein Zeichen für eine Sache von direkter Bedeutung für die Sache selbst ist. So lehrt schließlich das oben Angedeutete (das nämlich eine Zahl keinen Wert in sich selbst hat), dass dies nur für die bloße Zahl als solche gelten kann. Wenn die Zahl aber eine Nummer für eine an sich wertvolle Sache ist, dann erhält diese Zahl unmittelbar auch eine eigene Wichtigkeit. In unserem spezifischen Beispiel daher, wo das Gezählte sehr wichtig ist, wurde die Zahl selbst dadurch ebenfalls wichtig, so dass das ganze Buch nach dem Vorgang des Zählens betitelt wurde.

Die werden als „das eine Volk auf der Erde“ beschrieben (II. Sam. 7:23; und I. Chron. 17:21). Das heißt: selbst in erdgebundenen Dingen sind sie das „EINE“, und Quantität und Qualität sind vereint. Das auf Qualität auch durch die Quantität hingewiesen werden kann, dafür gibt es deutliche Beispiele. Wenn sich z.B. eine Gruppe von zehn Juden zusammenfinden, so bringen sie ipso facto – was immer auch die Eigenschaft der Personen sein mag – die G-ttliche Gegenwart in ihre Mitte, heilige Worte des Gebetes dürfen gesprochen werden, und dadurch wird kollektiv ihre Qualität erhöht. Ebenso ist es beim Tischgebet: Je größer die Anzahl, desto größer die Heiligkeit, die dieser Gruppe zukommt, und weitere G-ttesnamen dürfen zitiert werden.

Ähnliches gilt für die Ausführung von Mizwot; denn wenn man gerade mit einer Mizwa beschäftigt ist, ist man bekanntlich so lange von anderen Mizwot befreit. Das heißt doch auch wieder, dass in der Quantität schon die Qualität liegt und die kleinsten und größten Mizwot gleichwertig sind. Dieselbe Idee unterliegt der Offenbarung der Tora: 600.00 mussten zugegen sein, und hätte, G-tt behüte, einer gefehlt, dann wäre uns die Tora nicht gegeben worden.

Die Lehre für uns heute aus all diesem ist diese: Heutzutage sehen wir oft, wie Quantität wichtiger als Qualität ist. Man muss sich daher bemühen, mehr Juden „heranzuziehen“, ohne Rücksicht auf ihr religiöses Niveau; und mit der größeren Anzahl wird so auch automatisch die Qualität gehoben. Zuerst ist die Dimensionalität dieses Bemühens gar nicht so wesentlich; dass sie überhaupt „herangezogen“ werden, ist jedenfalls wichtiger. Wo immer mehr Juden zum Judentum gebracht werden, wird damit (in der Auswertung eines Gedankens des „Alten Rebbe“) dazu beigetragen, den G-ttlichen Willen zu erfüllen, nämlich aus dieser Welt ein Heiligtum für Ihn zu machen.

Gleichfalls aber hat man eine Verpflichtung zu sich selbst, nicht nur zu anderen. Vor der Offenbarung der Tora wurde, dem Midrasch zufolge, jeder geheilt; das heißt, dass wir in vollkommenem Zustand an die Tora herantreten sollen, mit all unseren Gliedern heil. Nur bei anderen soll man weniger verlangen; man muss sich jedem Juden freundlich erweisen. Für sich selbst jedoch muss man ganz genau wissen, wo man steht; und wenn man bei sich einen Fehler findet, so muss dieser beseitigt werden.