Die Kabbala lehrt, dass jeder Mensch nicht eine, sondern zwei Seelen in seinen Innern trägt. Die Eine wird als „Nefesch Haelokit“ – „die g-ttliche Seele“ bezeichnet, während die Andere „Nefesch Habahamit“ – „die animalische Seele“ genannt wird.

Dies erklärt, weshalb der Mensch so voll mit Widersprüchen ist, weshalb er sich mal in diese Richtung (zur Spiritualität und zu G-tt) hingezogen fühlt, mal in jene Richtung (zum Materialismus und Körperlichen).

Die Aufgabe des Menschen ist, seiner g-ttlichen Seele die Oberhand zu gewähren und ihr die Herrschaft über den Körper zu sichern. Dies bedeutet, dass der Mensch manchmal seine körperlichen Neigungen unterdrücken muss, um seine Geistigkeit entfalten zu können. Doch auch der Körper und die animalische Seele sind g-ttliche Geschöpfe und das höchste Ziel des gelebten Judentums ist nicht, sie zu verdrängen und negieren, sondern sie für die Dienste der g-ttlichen Seele einzuspannen.

Wie können diese zwei grundverschiedene Seelen, dasselbe Ziel verfolgen? Die Antwort lautet, dass die g-ttliche Seele nur durch ihr herab niedern in eine materielle Welt und ihre Erfahrungen mit der animalischen Seele ihr eigentliches Ziel, nämlich nicht nur sich selbst, sondern die ganze materielle Welt G-tt näher zu bringen, erfüllen kann. Ohne Körper und ohne animalische Seele hat die g-ttliche keinerlei Bezug zu dieser Welt und könnte sie auch nicht positiv beeinflussen.

Der erste Satz in unserer Parascha lautet: „Ein Mensch, der darbringen will von Euch, von den Tieren, von den Rindern und von dem Vieh sollt ihr Euer Opfer darbringen.“ Die Worte „von Euch“ scheinen am falschen Platz im Vers zu stehen. Sollte es nicht eher heissen: „Ein Mensch von Euch, der darbringen will usw. ...“?

Die chassidische Erklärung dafür lautet, basierend auf der obenerwähnten kabbalistischen Idee der animalischen Seele, der Mensch müsse von sich, von seinem inneren Tier ein Opfer zu G-tt bringen, d.h. seine animalische Seite auch in den Dienst G-ttes stellen, anstatt diese zu unterdrücken und zu bekämpfen.

Wie kann diese Idee in der Praxis verstanden werden? Wir wollen nur ein kleines Beispiel dafür angeben: Der Hunger ist ein körperliches Bedürfnis. Nun könnte der Mensch, im Bestreben, seine Spiritualität zu entfalten, versucht sein, den Hunger zu bekämpfen und zu fasten. Doch der richtige Weg ist, für G-tt zu essen, den Körper gesund zu erhalten, um so G-tt besser dienen zu können.